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Tagebuch zu führen, obwohl ein Tagebuch, wie er selbst schreibt, »nicht zu meinem Charakter nicht zu meinem Temperament nicht zu meinen Gewohnheiten« paßte.63 Das Gefühl, zusehen zu müssen, wie sein Leben dem Ende zuging, ließ ihn die Abneigung gegen das Tagebuchschreiben überwinden.

      Die Jahre nach 1945 waren begleitet von Selbstmordgedanken. Er wäre nicht der erste Emigrant gewesen, der seinem Leben ein Ende bereitete, nachdem er Hitlers Regime heil entkommen war und endlich in Sicherheit und Freiheit leben konnte.64 Doch so weit kam es nicht. Das Verantwortungsgefühl für seinen noch halbwüchsigen Sohn Dan hielt Morgenstern am Leben. Wie viele Schriftsteller, die von Hitlers Regime aus ihrer Heimat vertrieben worden waren und im Exil leben mußten, so fühlte sich auch Morgenstern im fremden Land seiner Sprache und damit seines Werkzeugs, seines Mediums, beraubt. So notiert er am 18. Mai 1949 in seinem Tagebuch: »Das alles ändert nichts an der Tatsache, daß ich mich seit einigen Jahren schon – ich weiß nicht genau, wann es angefangen hat – als ein Schriftsteller ohne Sprache fühle. Ich habe mich in die Deutschen so sehr verhaßt, daß ich auch die deutsche Sprache nicht lieben kann. Und ein Schriftsteller, der seine Sprache nicht liebt, hat keine Sprache.«65 Im Nachlaß Morgensterns fand sich darüber hinaus eine Notiz, in der er seine Situation nach dem Krieg mit einem Alptraum vergleicht, in dem man versucht zu schreien und feststellen muß, daß man seine Stimme verloren hat: »Like in a nightmare, trying to cry and finding you lost your voice. Problem is to find voice again to write about horrors.« 66

      Dieses Gefühl, diese im wahrsten Sinne des Wortes ›Sprachlosigkeit‹, sollte Morgenstern zeit seines Lebens nicht mehr ganz verlassen. Dennoch hielt er im Gegensatz zu manch anderem Exil-Schriftsteller an der deutschen Sprache fest und verfaßte auch weiterhin alle Manuskripte auf Deutsch. In seinem Tagebuch begründet er diesen Entschluß damit, daß er sich zu alt fühlte, um noch einmal die Sprache zu wechseln: »Jetzt ist es zu spät. Der einzige Trost, der mir übrig bleibt, ist: es war schon vor 10 Jahren zu spät. Was für eine Art hebräischer Schriftsteller wäre ich schon geworden? Eine Sprache wechseln kann man spätestens zwischen 20–30. Später ist es immer zu spät. Im Grunde halte ich nichts davon auch zwischen 20–30.«67 Interessant ist, daß Morgenstern es offensichtlich niemals in Erwägung gezogen hat, ein englischsprachiger Schriftsteller zu werden. Die einzige Alternative, die es für ihn zur deutschen Sprache gegeben zu haben scheint, war das Hebräische, so wie Israel ihm als einzig wirklich erstrebenswerter Ort erschien, an dem er seinen Lebensabend verbringen wollte. Die Verwirklichung dieses Traumes scheiterte allerdings an seiner finanziellen Situation, so daß es lediglich zu einer Reise nach Israel im Jahr 1950 gekommen ist.

      In seinen Lebenserinnerungen erwähnt Morgenstern eine Anekdote, die Aufschluß darüber gibt, warum er auch in Amerika an der deutschen Sprache festgehalten hat, die ja nicht einmal seine Muttersprache war. Im zweiten Teil seiner Erinnerungen an Alban Berg schildert er eine Begegnung ›Mit Schönberg in Kalifornien‹ – so auch der Titel des entsprechenden Kapitels: »Beim ersten Besuch bei ihm zu Hause war er [Schönberg] zunächst nicht gerade herzlich. […] Auf einmal sagte er: ›Sie werden natürlich jetzt anfangen, englisch zu schreiben.‹ Ich erklärte ihm, daß ich zu alt sei, die Sprache zu wechseln. […] ›Ich schreibe alles in englisch‹, sagte er, ›Sie müssen das auch tun.‹ Ich meinte, daß ich wahrscheinlich mit der Zeit es so weit bringen würde, einen Artikel in englischer Sprache zu schreiben, aber sicherlich nie einen Roman. […] ›Wenn man einen Artikel schreiben kann, kann man auch einen Roman schreiben.‹ Ich versuchte, ihm den Unterschied klar zu machen. Ohne Erfolg. Er insistierte, und zwar nicht ohne Strenge. […] Als ich ihm sagte: ›Herr Schoenberg. Sie sind Komponist. Die Noten, die Sie schrieben, haben nicht deutsch gesprochen, und die Noten, die Sie jetzt schreiben, sprechen nicht englisch. Was Sie englisch schreiben, ist nicht Literatur und will es nicht sein.‹ Das genügte ihm noch immer nicht, obwohl er etwas nachdenklich wurde. Ich fragte ihn, wie er die vielen schönen Palmen empfinde, an denen wir in Kalifornien im Auto vorbeifahren. ›Für mich‹, sagte ich ihm, ›ist eine Palme noch lange kein Baum. Ich glaube, ich werde jahrelang hier wohnen müssen, bis ich soweit bin. Vorläufig ist für mich eine Reihe von Palmenbäumen eine sehr schöne Kulisse.‹ – ›Sie sind doch kein Maler‹, sagt er. ›Was gehen Sie die Palmen an?‹ Jetzt wurde ich etwas streng und sagte zu ihm: ›Herr Schoenberg, nehmen wir an, ich wäre kein Schriftsteller, sondern ein Pianist. Und Sie verlangen von mir, daß ich Geiger werde. Wäre das nicht zu spät verlangt?‹ Das hat er endlich eingesehen.«68

      Ende der vierziger Jahre begann Morgenstern mit der Arbeit an einem neuen Roman, in dem er die schrecklichen Nachrichten, die er über den Holocaust erfahren hatte, zu verarbeiten versuchte. Das Buch sollte ein ›Aufschrei‹ sein, mit dem Morgenstern den grauenhaften Bildern von Auschwitz Ausdruck verleihen wollte, die ihn vorübergehend hatten verstummen lassen.69 Er mußte die Arbeit jedoch wieder unterbrechen, da, wie er in den Kindheitserinnerungen schreibt, die Stimme brach und er erneut verstummte.70 Erst die im Jahr 1950 unternommene Reise nach Israel und vornehmlich der Besuch des Grabes von Rabbi Isaak Luria in Safed konnten die Schreibblockade endgültig lösen.71

      Nach seiner Rückkehr in New York beendete Morgenstern umgehend die Arbeit an dem vierten Roman, der im Jahr 1955 unter dem Titel The Third Pillar bei Farrar & Strauss erschien. In Deutschland wurde der Roman erstmals im Jahr 1964 unter dem Titel Die Blutsäule. Zeichen und Wunder am Sereth vom Hans Deutsch Verlag veröffentlicht. Morgenstern selbst bezeichnete dieses Werk auch als Epilog zu seiner Trilogie Funken im Abgrund. The Third Pillar sollte das letzte seiner Werke sein, dessen Veröffentlichung Morgenstern selbst noch erlebte.

      Nach The Third Pillar – Die Blutsäule verfaßte er neben der Arbeit an seinen ›autobiographischen Schriften‹ nur noch ein einziges Werk, das sich nicht unmittelbar auf seine eigene Lebensgeschichte bezog. Wohl noch unter dem Eindruck einer Herzattacke, die er im Jahr 1969 erlitten hatte und nachfolgend schreibend zu verarbeiten suchte, schrieb er Ende der sechziger Jahre seinen letzten Roman, den er lapidar Der Tod ist ein Flop betitelte. Dieses Fragment gebliebene Werk steht, auch wenn dies zunächst überraschend anmutet, in der Tradition der sogenannten Inselutopie-Romane. Morgenstern erzählt hier die Geschichte des ungarischen Schriftstellers Aladar Csanda. Csanda ist im Begriff, ein neues Buch zu schreiben, das er sein ›Totenbuch‹ nennen will und in dem er seine Erfahrungen im Konzentrationslager von Auschwitz zu verarbeiten gedenkt. Es soll der Erinnerung an seine Freunde gewidmet sein, die Auschwitz nicht überlebt haben. Csanda wird durch einen mysteriösen Besucher an der Fertigstellung seines Buches gehindert. Der Besucher erweist sich als Bruder und Gesandter von Csandas Verleger Sidney Condon, der Csanda und dessen Freunde auf eine Reise zu der phantastischen Insel Edenia mitnimmt. Mit Edenia entwickelt Morgenstern eine utopische Gegenwelt zu dem »in mancher Hinsicht mörderischsten« Jahrhundert der Weltgeschichte.72 Die aufgeklärten Bewohner Edenias haben jeglichem Kult abgeschworen, der – in welcher Religion auch immer – um und mit dem Tod getrieben wird. Für sie gibt es den Tod nicht, sondern nur das Sterben, denn »den Tod haben die Religionen erfunden.«73 Zu einer Veröffentlichung des Werks ist es zu Morgensterns Lebzeiten nicht mehr gekommen. Der Tod ist ein Flop war lediglich in Form eines undatierten Typoskriptkonvoluts von acht zum Teil unvollendeten Kapiteln im Nachlaß erhalten. Das Romanfragment erschien erstmals im Jahr 1998, fast zwanzig Jahre nach seiner Entstehung, als neunter Band der Morgenstern-Werkausgabe im zu Klampen Verlag.

      Anfang der siebziger Jahre waren zwei der autobiographischen Projekte so weit fortgeschritten, daß Morgenstern sie für eine Veröffentlichung vorbereiten konnte. Es handelt sich hierbei um jene Teile seiner Erinnerungen, die seinem Jugendfreund Joseph Roth und seinem, wie er ihn selbst bezeichnete, »nächsten Freund«74, dem Komponisten Alban Berg, gewidmet sind. Beide Bände fanden sich in einer druckbereiten Fassung im Nachlaß. Bevor es zu einer Publikation kommen konnte, verstarb Morgenstern nur wenige Wochen vor seinem sechsundachtzigsten Geburtstag am 17. April 1976 in New York.

      Sein Tod fand dies- und jenseits des Ozeans kaum Beachtung. In den Vereinigten Staaten brachte lediglich die New York Times einen Nachruf auf den verstorbenen Schriftsteller.75 In Europa veröffentlichte der Journalist und Musil-Herausgeber Adolf Frisé gut eine Woche nach Morgensterns Tod, am 26. April 1976, seinen Nekrolog auf Morgenstern

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