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zeichnet sich durch eine für einen in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in Prosa verfaßten Text ungewöhnliche Schlichtheit aus. Es ist ein gleichnishaftes, ein allegorisches Erzählen. Die Wortwahl mutet häufig altmodisch an – das Vokabular ist der hebräischen Bibel entnommen. So entgeht Morgenstern der Gefahr, bei dem so schwierigen, ja nahezu unartikulierbaren Thema des Holocaust eine Sprache zu benutzen, die im Alltag ganz profane Dinge bezeichnet und die Morgenstern, wie er in seinem Tagebuch schreibt, nicht mehr lieben konnte.84 Auch in der formalen Gestaltung diente die Tora Morgenstern als Vorbild. Die einzelnen Absätze des Textes sind durch Leerzeilen voneinander getrennt und werden so – ähnlich wie in der Bibel – optisch besonders betont.

      Das fünfte und gleichzeitig letzte Werk Morgensterns, das in diesem Zusammenhang zu nennen ist, ist der Fragment gebliebene Roman Der Tod ist ein Flop, auf den im vorhergehenden Kapitel bereits kurz eingegangen wurde. Da Morgensterns Romanschaffen nicht Gegenstand dieser Untersuchung ist, sei an dieser Stelle lediglich noch auf einige wissenschaftliche Arbeiten verwiesen, die sich näher mit Morgensterns Romanen auseinandersetzen. Obwohl die Forschungsliteratur zu Soma Morgenstern und seinen Werken noch in ihren Anfängen steckt, gibt es vor allem über die Roman-Trilogie bereits einige lesenswerte Arbeiten. So geht Alfred Hoelzel in seinem Artikel über Morgenstern ausführlich auf die Roman-Trilogie und den Folgeroman Die Blutsäule ein.85 Hoelzel schildert nicht nur die genaueren Entstehungsumstände der einzelnen Bände, sondern liefert auch ein detailliertes Resümee der Romanhandlungen, so daß hier auf weiterführende Angaben zum Inhalt dieser Werke verzichtet werden kann.

      Nach der Vollendung seines vierten Romans Die Blutsäule. Zeichen und Wunder am Sereth Mitte der fünfziger Jahre widmete sich Morgenstern fast ausschließlich der Aufzeichnung seiner Lebenserinnerungen. Hatte er seine schriftstellerische Laufbahn als Romancier begonnen, dessen Romane immer wieder um das eine Thema kreisen – die Auseinandersetzung mit dem jüdischen Glauben –, so beendete er sie als Memoirenschreiber, als Berichterstatter einer vergangenen Epoche.

      Es steht außer Frage, daß auch Morgensterns Romanwerk stark autobiographische Züge aufweist. Allein schon die Tatsache, daß die Romane überwiegend in Morgensterns ostgalizischer Heimat spielen, zeigt, wie präsent und prägend die eigenen Erinnerungen auch in den Romanen sind. Die Lektüre der Kindheitserinnerungen In einer anderen Zeit, in denen Morgenstern seine Kinder- und Schuljahre in Ostgalizien schildert, erinnert in vielen Details an die Welt, die er in der Roman-Trilogie Funken im Abgrund erschaffen hat. Ja, es geht sogar soweit, daß Personen aus dem näheren Umfeld von Morgensterns Kinder- und Jugendzeit als Vorbilder für seine Romanfiguren Eingang in die Trilogie gefunden haben. So stand zum Beispiel Morgensterns Großonkel Jankel Turner Modell für die Gestalt des Jankel Christiampoler, der als Gutsverwalter von Welwel Mohylewski eine zentrale Rolle in den drei Romanen spielt. Morgenstern selbst weist in seinen Kindheitserinnerungen gleich zweimal auf diese Vorbildfunktion hin. So heißt es dort im Kapitel ›Trauriges Wiedersehn in der Alten Schul‹: »Dieser Großonkel ist mein Modell zu der Gestalt des Jankel Christiampoler, der durch die drei Romane meiner Trilogie leibhaftig fortlebt.«86 An einer anderen Stelle schreibt Morgenstern: »Denn dieser Jankel Turner ist das Vorbild zu meinem Jankel Christiampoler, der der Liebling aller meiner Leser geworden ist.«87 Es sei noch kurz darauf hingewiesen, daß das Schicksal des ›verlorenen Sohnes‹ entfernt an Morgensterns eigene Geschichte erinnert. Der abtrünnig gewordene Bruder von Welwel Mohylewski, Josef, hat wie Morgenstern seinen Willen gegen den Widerstand des strenggläubigen Vaters durchgesetzt und einen säkularen Bildungsweg eingeschlagen. Wie ihr Schöpfer gerät auch die Romanfigur in Konflikt mit ihrem Glauben und fällt von diesem ab.

      War eingangs davon die Rede, daß Morgensterns ›autobiographische Schriften‹ im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen, so war damit nicht der eben erläuterte autobiographische Aspekt in seinem Romanwerk gemeint. Diese Arbeit befaßt sich vielmehr mit jenen Schriften Morgensterns, die unter dem Arbeitstitel Ein Leben mit Freunden im Rahmen eines großangelegten autobiographischen Planes entstanden sind. Daß er tatsächlich vorhatte, einen umfassenden und abgeschlossenen Bericht seines Lebens zu schreiben, ist unbestritten. So erwähnt er die Arbeit an seiner Autobiographie wiederholt in Briefen an den jüdischen Religionshistoriker Gershom Scholem. Beispielsweise schreibt er am 2. November 1970 an Scholem: »Ich bin seit Jahren mit meiner Autobiographie beschäftigt.«88 Und am 21. Dezember 1972 heißt es: »Wie ich Ihnen ebenfalls schon vor Jahren mitgeteilt habe, arbeite ich seit vielen Jahren an meiner Autobiographie.«89 Und auch aus den Texten selbst geht eindeutig hervor, daß sie im Rahmen eines autobiographischen Gesamtvorhabens entstanden sind.

      Bei den Werken, die hier unter dem Sammelbegriff ›autobiographische Schriften‹ zusammengefaßt werden sollen, handelt es sich einerseits um die beiden Bände Joseph Roths Flucht und Ende und Alban Berg und seine Idole, die Morgenstern selbst noch für eine Veröffentlichung vorbereitet hatte. Sie waren von Anfang an als eigenständige Publikationen konzipiert. Gleichzeitig wollte ihr Verfasser sie aber auch als Teile seiner Autobiographie verstanden wissen. Sie entstanden im Rahmen des großangelegten autobiographischen Projektes Ein Leben mit Freunden. In beiden Bänden weist Morgenstern ausdrücklich auf den engen Zusammenhang dieser Aufzeichnungen mit seiner Autobiographie hin. Dennoch handelt es sich bei beiden Bänden um zwei autarke, in sich abgeschlossene Werke, die zweifellos stark autobiographischen Charakters sind und aus Morgensterns Idee, seine Memoiren zu verfassen, hervorgegangen sind, aber dennoch nicht als Autobiographie im traditionellen Sinne bezeichnet werden können. Sie entstanden parallel zu der Arbeit an der eigentlichen Autobiographie. Neben den beiden Erinnerungsbänden über die Freunde Joseph Roth und Alban Berg gehören auch die im Band In einer anderen Zeit veröffentlichten Texte zum Komplex der ›autobiographischen Schriften‹.

      Als viertes Werk wird der sogenannte Romanbericht Flucht in Frankreich im Kontext der ›autobiographischen Schriften‹ behandelt, selbst wenn dieser auf den ersten Blick nicht unbedingt als dorthin gehörig erscheinen mag. Morgenstern schildert in diesem Werk seine Zeit in französischer Internierungshaft und seine Flucht aus dem Lager von Audièrne. Die vom Herausgeber Ingolf Schulte als Untertitel gewählte Bezeichnung ›Romanbericht‹ vergegenwärtigt die Sonderstellung, die dieser Band in Morgensterns Gesamtwerk einnimmt. Der Gestalt nach ist dieses Werk eine Mischform. Morgenstern ersinnt hier weder eine rein fiktive Romanhandlung – der autobiographische Hintergrund ist hier noch wesentlich ausgeprägter als in Morgensterns anderen Romanwerken –, noch verbleibt er ausschließlich im authentischen Rahmen seiner Memoiren. Er verbindet beide Ebenen – die authentische und die fiktive –, indem er nicht für sich selbst spricht, sondern eine fiktive Figur, ein Alter ego, erfindet, dessen Geschichte der Morgensterns allerdings äußerst ähnlich ist. Ingolf Schultes Terminus ›Romanbericht‹ versucht, eben diese Zwitterstellung zwischen Roman und autobiographischem Bericht zu erfassen.

      Im Kontext dieser Arbeit ist der ›Romanbericht‹ Flucht in Frankreich aufgrund seines besonders deutlichen autobiographischen Hintergrundes ebenfalls Gegenstand der Untersuchung und wird gleichermaßen als fester Bestandteil von Morgensterns Lebenserinnerungen behandelt. Diese Zuordnung erscheint gerechtfertigt, da Morgenstern selbst seine Aufzeichnungen über die Zeit in französischer Internierungshaft zum Komplex seiner Lebenserinnerungen gezählt hat. Hierauf läßt folgende Bemerkung aus den Erinnerungen an die Zeit mit Joseph Roth im Pariser Exil schließen: »Ich habe an einer anderen Stelle meiner Erinnerungen genau geschildert, wie es uns [Morgenstern und Serge Dohrn] dort gelungen ist, aus dem Lager [von Audièrne] zu entkommen.«90 Die Schilderung, auf die Morgenstern hier verweist, findet sich in eben jenem Typoskript, das unter dem Titel Flucht in Frankreich veröffentlicht wurde. Morgensterns »autobiographisches Tryptichon«, wie es in einer Rezension seiner Werke in der Frankfurter Zeitung heißt, muß demnach zum ›autobiographischen Quartett‹ erweitert werden.

      Gerade rechtzeitig vor Abschluß dieser Arbeit über Soma Morgensterns autobiographisches Werk erschien im Oktober 2001 der elfte und letzte Band der Morgenstern-Werkausgabe, so daß die in ihm enthaltenen Texte Morgensterns noch mit berücksichtigt werden konnten. Der Band versammelt Morgensterns Feuilletons der Jahre 1924 bis 1934, essayistische Texte, Berichte, Manuskriptvarianten und neben zahlreichen Aufzeichnungen aus Notizheften auch die wenigen erhaltenen Tagebuchhefte

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