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Die Frauen, vielleicht drei Dutzend, trugen einfache Kleider und hatten die Haare mit Tüchern hochgebunden. Die Luft war gesättigt von Feuchtigkeit und Schweiß.

      Während ich mich noch umsah, übertönte plötzlich ein Ruf alle Gespräche und ließ sie verstummen:

      »Seht!«

      Im selben Moment wandten sich sämtliche Blicke in meine Richtung. Für endlose Herzschläge sagte niemand ein Wort. Alle starrten mich an, manche ausdruckslos, einige ablehnend. Das Surren der Webstühle brach ab, als alle Frauen auf einen Schlag ihre Arbeit ruhen ließen. Nur das Rauschen der Wasserräder an der Rückseite zerstörte die Vollkommenheit des Schweigens.

      Etwas Merkwürdiges war mit diesen Augen, die mich aus allen Richtungen ansahen, als wollten sie mich kraft ihrer Blicke an die Tür nageln. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was es war. Sie wirkten seltsam leblos, wie Perlen aus glasiertem Ton, unheimlich und leer. Die meisten dieser Frauen hätten ebenso gut tot sein mögen, seelenlose Körper, von den Wasserrädern in Bewegung gehalten, ihr Dasein allein von harter Arbeit bestimmt. Es war mehr als Unbehagen, das mich dastehen ließ wie versteinert, unfähig, mich zu regen; für einen Augenblick war es nackte, frostige Angst.

      Schließlich gab ich mir selbst einen Ruck, suchte mir eine jener Frauen heraus, die mir am nächsten saßen, und sprach sie direkt an. Ich nannte meinen Namen und den meines Herrn – und wurde sogleich unterbrochen.

      »Wir kennen dich, der du dich nun Robert von Thalstein nennst«, sagte eine der Arbeiterinnen und erhob sich von ihrem Platz. Es war nicht jene, die ich angesprochen hatte, sondern eine hagere, hoch gewachsene Frau mit spindeldürren Händen und knochigem Hals. Ihr Gesicht sah aus wie ein Stück alte Baumrinde, obgleich sie ihr dreißigstes Jahr schwerlich überschritten hatte.

      »Wir kennen dich«, sagte sie noch einmal, »und wir wollen dich nicht in Hameln sehen. Geh zurück zum Hof deines Herzogs. Geh und komm nie wieder.«

      Die Kälte in ihrer Stimme und die eisige Entschlossenheit ihrer Worte ließen mich für einen kurzen Moment in meiner Entscheidung schwanken. Wie sollte ich die Mission meines Herrn erfüllen, wenn mich schon einige Weiber schreckten? Ich tat also, als kümmerte mich nicht, was sie sagte, und entgegnete: »Ich bin wegen eurer Kinder hier. Es heißt, sie seien fort.«

      Die Frau kam näher. »Du warst selbst einst ein Kind in Hameln, doch sieh dich nun an. Sieh, was aus dir geworden ist! Robert von Thalstein war nicht immer dein Name, nicht wahr?«

      Da war etwas in ihren Bewegungen, das mich warnte. Eine unausgesprochene Drohung. Was würde geschehen, wenn sich all diese Frauen plötzlich auf mich stürzten?

      »Wie ist dein Name, Weib?«, fragte ich mit betonter Ruhe.

      »Ich bin Imma, die Frau des Hufschmieds. Ich spreche für diese Frauen, und ich sage dir: Wir wollen deine Fragen hier nicht, Ritter.« Das letzte Wort spie sie mir voller Verachtung entgegen.

      »Was geschah mit euren Kindern, Imma?« Ich hätte Zorn spüren müssen über die Weise, wie sie mit mir sprach, doch zu meinem eigenen Erstaunen war da nichts als bohrende Unruhe.

      Das Knochenweib hielt es noch immer nicht für nötig, mir Antwort zu geben, und ein Blick in die Runde versicherte mir, dass dies auch für die übrigen Frauen galt. Im Gegenteil – die Gleichgültigkeit in ihren Gesichtern wandelte sich mehr und mehr in Zorn. Ich begriff nicht, womit ich sie gegen mich aufgebracht hatte. War es wirklich nur mein Stand als Ritter im Gegensatz zu ihrer erbärmlichen Armut?

      Imma stand jetzt nur noch zwei Schritte von mir entfernt, die Arme leicht angewinkelt, die dürren Finger zu Klauen gespreizt. »Erinnerst du dich noch an deine Kindheit in diesen Gassen?«

      »Meine Kindheit hat nichts mit meiner Mission zu tun«, erwiderte ich mit aller Härte, zu der ich noch fähig war. »Ich habe einen Auftrag, und ich gedenke, ihn zu erfüllen. Hundertdreißig eurer Kinder sind verschwunden, alle auf einen Schlag. Wie viele sind übrig geblieben? Zehn oder fünf? Vielleicht keines?«

      Einen kurzen Augenblick lang sah es aus, als rege sich etwas in diesen Gesichtern aus erstarrtem Hass und trotziger Wut. Doch falls da wirklich etwas gewesen war, so verschwand es binnen eines einzigen Herzschlages.

      »Der Rattenfänger nahm unsere Kinder mit sich, und sie sind nun an einem besseren Ort als diesem dunklen Loch.« Immas Augen verengten sich; Zorn loderte in ihnen. »Keine hier wird dir eine andere Antwort geben. Sie können es nicht, denn was ich sage, ist die Wahrheit. Und nun geh! Geh endlich!«

      Ein Raunen ging durch die Menge, als sei jedes ihrer Worte eine geheime Losung, eine Aufforderung zum Angriff. Einige der Frauen erhoben sich langsam von ihren Hockern. Ihre Gebärde unterstrich die Drohung in Immas Worten, stärker als eine gezogene Klinge es vermocht hätte. Entgegen meines Vorsatzes verspürte ich Angst.

      Noch einmal machte ich den Versuch, die Lage zu entspannen: »Ich bin hier, um euch zu helfen und die Schuldigen ihrer gerechten Strafe zuzuführen.«

      Imma lachte auf, ein hoher, grauenvoll schriller Laut, der die Luft durchschnitt wie ein Pfeil. »Gerechtigkeit, Ritter Robert? Was ist mit deiner eigenen gerechten Strafe?«

      Ich blickte ihr direkt in die Augen und sah Wissen darin, ein Wissen viel schlimmer als jede Waffe. Vor Fäusten und Krallen mochte mich mein Dolch bewahren, doch nichts konnte die entsetzliche Macht der Vergangenheit zerschlagen, die aus diesen Augen über mich kam wie eine Heerschar vergessener Geister. Die Erinnerung übermannte mich mit all ihrer Macht, ich fuhr herum wie vom Blitz getroffen, riss die Tür auf und rannte ins Freie. Panik trieb mich voran, rasend schnell durch fremde Gassen, fort von diesen Augen, fort von dem, was sie wussten.

      Ich erreichte die Grenze der kargen Bauwüste, fast blind vor Grauen, stolperte vorwärts über Stege aus Balken und Brettern, schwankend auf zähem Morast. Eine Wand aus Holz und Stein wuchs vor mir in den grauen Himmel, ich umrundete sie und sank in den trügerischen Schutz ihres Schattens. Hingehockt, die Knie fest an die Brust gezogen, blieb ich sitzen, lauschte dem Grollen fernen Donners und dem Flüstern des Regens auf tiefschwarzen Pfützen.

      Eine rohe Stimme riss mich schließlich aus traumloser Gleichgültigkeit.

      »He, du! Verschwinde!«

      Vor mir stand, aufgestiegen aus der Tiefe eines Moors, ein riesiger Mann, über und über mit Schlamm bedeckt. In einer Hand hielt er einen schweren Hammer. Seine Stimme war kraftvoll und bestimmt. Ich blinzelte zu ihm auf und erkannte, dass es sich um einen Steinmetz handeln musste.

      »Was hast du hier zu suchen?«, fragte er.

      Hinter ihm erschienen weitere Männer, vier an der Zahl. Sie wirkten mir kaum weniger kräftig als der erste.

      Ich stemmte mich rücklings an der Mauer auf die Beine und bemühte mich, so gelassen wie möglich zu wirken. Falls mir dies gelang, schien es die Tagelöhner nicht zu beeindrucken.

      »Er hat dich was gefragt«, brüllte einer aus dem Hintergrund.

      »Du bist nicht von hier«, stellte ein anderer fest.

      »Seht euch den Dolch an«, rief ein dritter.

      Der Steinmetz beugte sich vor und starrte mir ins Gesicht. »Wer bist du?«, fragte er.

      »Robert von Thalstein«, erwiderte ich wahrheitsgemäß, ehe mir schlagartig die Erkenntnis kam, dass dies ein Fehler sein mochte. Wahrscheinlich war auch mein Name – mein neuer Name – längst allseits bekannt.

      Zu meiner Erleichterung schienen die fünf Männer ihn jedoch zum ersten Mal zu hören. »Was tust du hier?«, fragte der Steinmetz, offenbar Wortführer des kleinen Bautrupps. »Niemand darf die Baustellen betreten, solange hier gearbeitet wird. Anweisung des Vogts.«

      »Das wusste ich nicht.« Einen Augenblick lang erwog ich, mich als Ritter des Herzogs zu erkennen zu geben, dann aber verwarf ich den Gedanken. Im Genitium hatte wenig gefehlt, und die Frauen hätten sich mit bloßen Händen auf mich gestürzt. Nicht auszudenken, was diese Kerle mit ihren Werkzeugen anstellen mochten.

      »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Kerl«, donnerte

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