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breit und breiter, drückte gegen Darm und Bauchdecke, schob alles zur Seite. Der Ballon drückte auf Muskeln und Nerven.

      Weißt du noch, fragte Nummer eins, wie sie uns angesehen hat? In der Apotheke? Wir haben unsere Pillen geholt. Sie hatte ihr Haar nach oben gesteckt und wir sahen ihren Nacken. Jedes kleine Härchen und sogar den Leberfleck hinter ihrem Ohr.

      Thomas erinnerte sich. Wie schön die Frau war. Wie verwirrt er den Kopf unter ihrem Blick senkte und sein Herz raste und … und er das Wasser nicht mehr halten konnte, es einfach so aus ihm herausgelaufen war, am Tresen der Apotheke.

      Warme Tropfen fielen auf seine Hand.

      Endlich ließ er es laufen! Und es tat ihm so unendlich gut. So gut. Thomas atmete tief und hörbar aus, der erste Laut, den er seit Stunden von sich gab.

      Als der Urin in seine Thermoskanne sprudelte, klang es erstaunlicherweise genau so, wie wenn er am Morgen heißes Wasser einfüllte und seinen Melissentee aufgoss. An Tagen wie diesem. Zuerst das laute, erste Auftreffen von Flüssigkeit am Boden der Metallkanne, anschließend plätscherte es gleichbleibend. Nur die Höhe des Tones änderte sich dabei, war zuerst tief und wurde langsam, mit zunehmendem Flüssigkeitsstand, immer höher. Und genau so klang es jetzt auch, selbst die Flasche wurde außen etwas warm.

      Nummer zwei hatte sich wieder einmal geirrt, denn das Licht ging nicht an, die Fahrstuhltür öffnete sich nicht und demzufolge blieben ihm auch die anderen Peinlichkeiten erspart.

      Aber es hätte sein können.

      Der Schmerz verließ seinen Unterleib, ganz langsam, gerade so, dass Thomas diesem Gehen folgen konnte und voll Dankbarkeit wahrnahm, wie Zufriedenheit den Platz des Schmerzes einnahm. Er war gerettet!

      Thomas hielt die Augen während des Urinierens geschlossen. Als er fertig und die Flasche zu drei Vierteln gefüllt war, schraubte er den Verschluss sorgfältig wieder zu und tastete sich zu seiner schwarzen Aktentasche. Hier würde niemand etwas anderes als Tee vermuten und niemals würde jemand von diesem Moment erfahren.

      Hättest du doch noch ein paar Minuten gewartet, jammerte Nummer drei. Wenigstens fünf. Dann wären wir geplatzt, hihi. Ach, wär das schööön gewesen! Unser Blut und unsere Innereien kleben an den Wänden und vermischen sich mit dem, was du jetzt in der Flasche da versteckst! Dass du immer alles verderben musst, du böser, böser Junge! Oh, ich bin sooo traurig … und tatsächlich tönte die Stimme voller Weltschmerz durch Thomas’ Kopf.

      Über dreizehn Stunden dauerte nun schon seine Einzelhaft hier im Aufzug. Inzwischen hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Hatte die Welt sich weitergedreht? War überhaupt Zeit vergangen? Oder geschah dies alles vielleicht in einem winzigen Moment, in dem er die Augen kurz geschlossen und geträumt hatte, und kam ihm nur als dieser unendlich lange Zeitraum vor? Er wusste es nicht, wusste nicht, ob es heute oder morgen war. Oder vielleicht auch gestern. War er allein im Aufzugsschacht oder war der Tod inzwischen näher gekrochen und suchte seine Witterung mit schnüffelnder Nase? Es war egal. Er hatte Wasser gelassen und der krampfende Schmerz war weg. Endlich glitt er die Kabinenwand hinab und hockte sich auf den kalten Boden. Alles andere zählte nicht.

      24

      20:24 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen, Klinikküche

      Mehmet drückte einfach ab.

      Peng, fiel dem Alten die Metallschüssel aus der Hand und tanzte mit einem Scheppern über den Fliesenboden.

      Peng, gingen fast im selben Moment plötzlich die Lichter aus!

      Peng, flog dem Koch ein kleines Projektil durch den Schädel. Als es wieder austrat, riss es ihm ein Ohr ab.

      Peng!

      Das war es also. So fühlte es sich also an. War doch ganz einfach: Peng und fertig.

      Tot.

      Während die Schüssel ihren rosa Inhalt zwischen Mehmet und dem Koch verteilte, blieb der Mann noch einen Moment stehen. In seinen Augen kämpften Überraschung und Angst. Hat er es also getan, der widerliche, kleine Bastard, der … Dann brach der Blick, brach ein Leben − wie ein Eiszapfen, der auf einem Stein zerspringt. Langsam ging der Koch in die Knie. Sein abgerissenes Ohr erreichte vor ihm den Boden und fiel mit einem Plopp in die Erdbeercreme. Die Erdbeercreme, das musste Mehmet zugeben, war sogar besser als das, was seine Mutter immer zubereitete. Aber er hatte nun mal nicht um irgendeine, und sei es auch die weltbeste, Erdbeercreme gebeten, sondern um die seiner Mutter! Und diese Creme, in die gerade das Gesicht des Koches klatschte, war definitiv etwas anderes!

      Die Maschinenpistole im Anschlag, stürmte Hermann Fuchs in die Großküche. Ritter humpelte hinterher und ihm waren die Schmerzen, die der kurze Spurt verursachte, deutlich anzusehen.

      Aus der großen Wunde am Kopf des Koches quoll Blut. Mehmet sah interessiert zu, wie sich Blut und Erdbeercreme vermengten und half mit der Spitze seines Turnschuhs noch etwas nach.

      »Jetzt sieht es langsam aus wie richtige Erdbeercreme!«, klärte er die verdutzten Männer auf und lächelte.

      »Der spinnt! Der hat sie nicht alle, der Türke!« In Fuchs’ Augen flackerte Entsetzen. Und Angst. Abwechselnd sah er auf Mehmet, dem seine Blut-Erdbeercreme-Kreation sichtlich Freude bereitete, und den Koch, dem die Überraschung selbst im Tod nicht aus dem Gesicht wollte.

      »He Ritter, der Typ ist krank.« Fuchs setzte sich auf einen Plastikschemel und stützte den Kopf in beide Hände, die MP auf dem Schoß.

      »Jetzt stell dich nicht so an!«, wiegelte Ritter ab. »War doch bloß ’n unfähiger Suppenkoch.«

      Er hinkte zu Mehmet und nahm ihm, bereits zum zweiten Mal an diesem Tag, die Pistole ab. »Der da«, er wies mit dem Kinn auf den Toten, »würde es bestimmt als Fehler bezeichnen, dass ich dir die Waffe vorhin wiedergegeben habe, he.«

      »Frag ihn doch.« Mehmet wandte sich ab. Das zufriedene Lächeln in seinem Gesicht blieb. Dann ging er an einen Wasserhahn. »Fuckmist, verdammter! Funktioniert denn hier gar nichts mehr?«

      »Was hast du mit dem Licht gemacht?«, fragte Fuchs.

      »Ich? Nichts. Kann mich ja nicht um alles kümmern.«

      »Aber bis zu deiner sinnlosen Ballerei hat es noch funktioniert!«

      »Soll das heißen, ich wäre schuld oder was?« Mehmet, einen Kopf kleiner als Fuchs und schmal wie ein Handtuch, ging auf den ehemaligen Sozialhilfeempfänger zu. In seinen Augen funkelte es.

      »Hehehe, beruhigt euch, Männer!« Ritter hätte es gern vermieden, aber die beiden zwangen ihn zum Gehen. Er humpelte zwischen sie und baute sich vor Mehmet auf. »Du wirst dich jetzt mal ein bisschen zusammenreißen, verstanden? Sieh zu, dass du dich in den Griff kriegst und nicht immer gleich ausrastest!« Er drehte sich zu Fuchs um: »Und du könntest dich mal umschauen, ob du irgendwo was zu trinken findest. Es muss doch hier irgendwas geben! Aber pass auf, dass es keine Milch ist!« Ritter schüttelte sich bei dem Gedanken an Milch. Als Fuchs außer Hörweite war, nahm er Mehmet in den Arm. »Hör mir jetzt mal genau zu, Junge! Alex und Mario haben sich verpisst.« Mehmet versuchte sich loszureißen, aber Ritters durchtrainierte Arme hielten ihn zurück. »Vergiss sie, die sind sicher schon wer weiß wo. Aber du und ich, Mann, wir sind ein tolles Team, kapierst du? Wenn wir zusammenhalten, erreichen wir sicher noch Großes. Aber im Moment«, er zeigte auf sein Bein, das nach dem kleinen Spurt wieder zu bluten angefangen hatte, »aber im Moment brauchen wir Fuchs. Noch! Kapiert? Ich mag ihn auch nicht, aber ich bin verletzt und kenn mich hier nicht aus und, nicht zu vergessen, er hat eine Maschinenpistole.«

      »Und ein Bündel Scheine«, ergänzte Mehmet.

      »Hab’s auch gesehen«, nickte Ritter. »Haben wir uns verstanden? Im Moment brauchen wir ihn noch. Was morgen oder übermorgen ist, steht auf einem anderen Blatt. Okay?«

      Fuchs fand in einem der Kühlräume, die neben der Küche lagen, ein paar Kisten Bier. »Was auch sonst«, murmelte er mit einem Blick auf das Etikett. Er mochte das Zeug hier nicht. Rülpswasser nannte

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