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Schwan einen so kostbaren Ausdruck seiner Vision machten, per Hand ausgearbeitet. Aber das musste nun warten. Der Käufer, ein Waffenhändler, der in Londons Connaught Square lebte, würde sich gedulden müssen.

      Ben war kein Geldwäscher. Er wusch gestohlenes Gold. Er verwandelte Barren in Bargeld und das zum 1,38-fachen des Marktpreises pro Unze zur Zeit des Verkaufsabschlusses, so geschätzt war seine Kunstfertigkeit. Bisher hatte das System funktioniert. Sechsunddreißig Millionen Dollar hatte er schon mit dieser Methode erzielen können. Die gesamten Einnahmen gingen nach Smith Island. Genauer gesagt, der Verkaufspreis jedes Stücks, abzüglich der Galeriekommission, wurde auf ein Nummernkonto der Scotiabank auf den Cayman Islands transferiert. Ben und seine Leute vertrauten auf die Sicherheit von Inseln. Manhattan allerdings, wie sich herausstellte, war wohl doch nicht so narrensicher.

      Während Ben die Skulpturen anfertigte, schmiedeten seine Mitverschwörer Pläne, eine Ladenfront im Village zu mieten, um die derzeitigen Galeriekommissionen zu umgehen. Die Smith Islander konnten es sich jetzt leisten. Bis vor Kurzem hatten viele in der Heimat aufgrund der mageren Zeiten kaum mehr als eine Mahlzeit pro Tag gehabt. Das hatte sich geändert. Der Goldpreis stieg schneller als die Grundstückspreise in New York City. Bens langsame Produktionsweise von seinem Kellerstudio aus hatte ihre Vorteile im Durchschnittskosteneffekt.

      Der Absender der Nachricht hatte recht. Die Zelte abzubrechen und die Stadt zu verlassen gehörte nicht zu Bens Plänen; nicht, falls er seine Arbeit hier in Manhattan jemals abschließen und nach Hause zu dem offenen Himmel und den Gewässern von Smith Island zurückkehren wollte.

      Es war gar keine Frage, ob Ben der Aufforderung Folge leisten würde. Andererseits lief er nur ungern blindlings in ein mögliches Verderben, dennoch musste er einen Besuch abstatten.

      Ben verließ den Keller, machte die Kette wieder mit dem Vorhängeschloss an der Tür fest und sah sich noch einmal die Nachricht an. Zorn wallte in ihm auf. Falls sich eine richtige Mission hinter dem Code verbarg, würde es seine Arbeit hier verzögern und seine Rückkehr nach Hause in eine ungewisse Zukunft schieben. Er hatte sich New York nur für einen heftigen, kurzfristigen Arbeitseinsatz verpflichtet, um aus dem Gold harte Währung zu machen. Er war bereit gewesen, den Kontakt zu allem, was er liebte, zu opfern, weil es so viel Not und Elend auf Smith Island gab. Doch er hatte niemals vorgehabt, lange fortzubleiben. Sein Vater hatte vor ewiger Zeit ihr Zuhause verlassen und damit alles aufgegeben, was ihm wichtig war. Ben fragte sich, ob er am Ende doch wie sein Vater geraten war, obwohl er sein Leben lang versucht hatte, einen anderen Weg einzuschlagen.

      Mit all der Verstohlenheit, die er als Scharfschütze besaß, erklomm Ben die Feuerleiter auf der Rückseite des Gebäudes. Er bewegte sich langsam, da die Metalltreppe alt war und seine Schritte vielleicht Erschütterungen auslösen konnten, die die Person, auf die er es absah, warnen würden oder schlimmer noch, die ganze Konstruktion zum Einsturz bringen.

      Auf dem Treppenabsatz im dritten Stock spähte er durch eine ungetrübte Stelle einer verschmutzten Glasscheibe, die als Guckloch von der Bewohnerin sauber gemacht worden war. Sie lag da drin auf ihrer Matratze und schlief tief und fest. Ω war das Zeichen, mit dem sie ihre Arbeit signiert hatte. Omega. Sie war schwarz, ungefähr zwanzig, zu dünn. Sie lebte nicht gerade das pralle Leben in diesem besetzten Gebäude, aber sie schätzte die Freiheit, zu tun, was ihr gefiel. Sie schlief in ihren Baggypants, eine zerfetzte Decke um die Arme geschlungen. Omega war ein Ein-Mädchen-Betrieb, eine Hardcore-Sprayerin, die sich in der Nachbarschaft einen Namen machte. In letzter Zeit verteilte sie ihre Graffiti in der ganzen Stadt; geniale Wandbilder, die die Insel sprenkelten. Ben hatte sie eines Nachts heimlich beobachtet; er bewunderte ihren ungewöhnlichen Stil und hielt die Augen nach neuen Werken offen. In ihrer Welt war sie eine große Nummer. Er war sich sicher, dass Omega die Nachricht neben seiner Tür geschrieben hatte. Da er ihre Arbeit in den letzten Monaten oft genug gesehen und bestaunt hatte, erkannte er ihre Schrift.

      Ben schob seine Finger unter den Fensterrahmen und schob das Fenster nach oben. Es ließ sich leicht bewegen. Das musste es auch, denn es war die Eingangstür zu Omegas illegalem Zuhause. Die innen liegende Tür zu der Wohnung war wegen der Junkies, die im restlichen Gebäude lungerten, verbarrikadiert. Genau wie Ben scheute sie Aufmerksamkeit jeglicher Art, es sei denn, es betraf ihre Kunst.

      Als er das Fenster etwa einen halben Meter angehoben hatte, ließ ein kühler Luftzug Omega im Schlaf die Stirn runzeln und stöhnen, woraufhin sie die Decke fester um sich zog. Ben bemerkte über fünfzig Dosen farbenprächtiger Sprühfarbe mit dicken und dünnen austauschbaren Sprühköpfen, alle gereinigt und bereit für das nächste Projekt. Die verschiedenen Schattierungen standen farblich sortiert auf dem Boden, wie ein Farbkreis aus dem Kunstunterricht. An einer Wand des Raumes prangte das Wandgemälde einer Unterwasser-Traumwelt, in der sich Dämonenfische tummelten.

      Das war das erste Mal, dass Ben sie aus der Nähe ohne die Atemschutzmaske über ihrem Gesicht und dem Tuch über ihrem Haar sah. Sie war hübsch, tief-goldene Haut, ein schmales Gesicht, hohe Wangenknochen mit Sommersprossen, ein wilder Schopf schwarzer, lockiger Haare, lange Wimpern, volle Lippen und eine kleine Narbe an der rechten Kiefernseite. Ben schlüpfte durch das Fenster. Er schlich sich nur ungern so an sie heran, da es für sie beide gefährlich war. Er hatte nicht die Zeit für gute Manieren.

      Er schloss das Fenster hinter sich, nahm zwei Sprühdosen zur Hand und schüttelte sie kräftig. Die Kugeln in den Dosen klapperten laut, wie Kastagnetten bei einem lahmen Tango. Er rief: »Omega!«

      Sie riss die Augen auf. Ben ignorierte das Messer, das sie zur Verteidigung unter der Decke hervorzog. Er war völlig gebannt von ihren lebendigen, blauen Augen.

      »Was zum Teufel!« Omega sprang auf die Beine, trat ihm mutig in der Mitte des Raums entgegen, das Messer auf seine Kehle gerichtet.

      »Was soll die Scheiße!« Sie war noch nicht richtig wach, aber da sie schnell munterer wurde, wusste Ben, dass sie tödlich sein konnte. Er stellte die Sprühdosen weg und hielt ihr seine Hände entgegen. Das allgemeingültige Zeichen für friedliche Absichten in heiklen Situationen.

      Wieder schrie sie: »Was zur gottverdammten Hölle!« Angst versteckte sich nun hinter der geläufigeren Maske des Zorns.

      Ben versuchte, das Thema zu wechseln. »Du hast in letzter Zeit 'n paar krasse Pieces gerockt. Du hast mit den Dosen echt was drauf. Bin beeindruckt.«

      »Das wird das Letzte sein, was du bist«, entgegnete sie.

      Ben legte nach. »Das Quickpiece an meiner Wand. Nicht deine beste Arbeit. Kam wohl nicht von Herzen. Wer hat dich beauftragt?«

      Omega ließ sich nicht beirren. »Hau ab, solange du noch kannst. Ich will mir mit deinem Blut nicht die ganze Bude versauen.«

      Ben nickte. »Ich hab selbst schon öfter in dieser Farbe gearbeitet. Komm mal runter. Sag mir, wer dir die Nachricht gegeben hat, dann bin ich gleich wieder weg. Ganz ohne Probleme.«

      Omega sagte nichts. Das Messer senkte sich ein Stück.

      »Die Stehlerei und das Sprühen sind mir egal«, meinte Ben. »Mir geht's um das Throw-up an meiner Wand. Seh ich wie ein Bulle aus? Komm schon, Nachbarin. Du kennst mich vom Sehen. Das wird nicht zu dir zurückführen. Du hast mir da 'ne heftige Botschaft überbracht. Ich muss alles erfahren, was ich kann.«

      Omega zögerte. »Ich dachte, er wär 'n Wachhund.«

      Wachhunde waren ungewöhnlich engagierte ältere weiße Männer, die in einem Anflug von Selbstjustiz Graffiti von Gebäuden schrubbten oder sie im Namen von Recht und Ordnung übermalten. In den Augen der Polizei waren die Leute, die Farbe verwendeten, genauso sehr Vandalen wie die Sprayer.

      Ben nickte. »Aber er war kein Wachhund. Kannst du das Messer runternehmen?«

      Das Messer rührte sich nicht. »Nein, ich glaube nicht.«

      »Okay. Wie du willst. Hat er dich bezahlt?«

      »Von irgendwas muss man leben.«

      »Ganz bestimmt. Ich greife jetzt schön langsam in meine Tasche. Bleibst du cool?«

      Sie antwortete nicht, sondern schaute zu, wie er seine Hand in seine rechte Jackentasche schob.

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