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den Anlass ausgehandelt hatte, schien zu halten. Sie wurde auch im wahren Leben langsam zu ihrer Filmfigur; die große Vereinigerin. Ihre Revolution war bereits im Gange.

      Endlich war es so weit. Die neun Parade-Lowrider stahlen sich davon, um sich auf der Sycamore Avenue außerhalb der Polizeikette aufzustellen, wo sie nach der Vorstellung wieder zu ihnen stoßen wollte. Es waren einige After-Partys angesetzt und sie hatte vor, bei jeder dieser Partys mit ihrem vollen Konvoi anzurücken. Luz' Skyliner hielt weiter auf das Kino zu, aber natürlich war er nicht allein.

      Eine Schar überprüfter Paparazzi-Cabrios und Motorräder rückte nach, um die Lücke zu füllen, die von den neun Lowriders hinterlassen worden war. Blitzgeräte von unzähligen Kameras machten aus der Nacht helllichten Tag. La Luz' Auto hüpfte nun nicht mehr, damit sie vor dem Kino auf der Kofferraumklappe sitzend vorfahren konnte, die Beine drapiert über der Rücksitzrückenlehne, ohne wie ein Rodeoreiter abgeworfen zu werden. Sie war wie ein wunderschönes Wildtier, das den Jägern von lauten Treibern in die Fänge getrieben wurde.

      Luz' Auto kam vor dem Kino zu stehen. Ihre Fans kreischten. TV-Sprecher in Abendkleidern und Smokings checkten ihre Positionen und warfen flüchtige Blicke auf ihre Kamerateams. Bereit.

      Die ohrenbetäubende Explosion kam mit einer solchen Sprengkraft daher, dass die Druckwelle jedem im Umkreis von zweihundert Metern in die Brust fuhr. Luz' Oberkörper zerteilte sich in grobe Stücke und die Bröckchen flogen in hohem Bogen davon. Ihre Hüfte und Beine blieben im Rücksitz des Wagens. Begeisterte Fans, überglücklich, für die Chance auf ein Autogramm ausgesucht worden zu sein, wurden auf dem Asphalt in blutigen Fetzen aus Fleisch niedergemäht. Das Licht erlosch für immer, aber erst nach einem nassen Blitz aus Rot.

      Kapitel 2

       Tote Männer sollen in Frieden ruhen. Sie erzählen keine Geschichten. Sie geraten bald in Vergessenheit, trotz der tiefen Furchen in ihren Grabsteinen. Ben Blackshaw, seit den letzten vier Monaten der Welt entschwunden, war eigenartig nervös. Das sollte nicht so sein. Er sollte so etwas wie diese Unruhe, die über seine Haut kroch und ihm die Nackenhaare aufstellte, nicht spüren. Aber die Schrift war nun mal an der Wand und er erkannte die Handschrift wieder.

      Der Winter im Greenwich Village war hart und kalt gewesen. Weihnachten und Neujahr waren an Ben vorübergegangen, mit wenig mehr als einem leeren Verlangen nach Menschen und Orten, die entweder zu weit entfernt lagen oder von denen er durch Tod und Zeit getrennt war. Sein Heimweh grenzte an Depression. Er hätte sich noch schlechter gefühlt, wenn die Arbeit nicht seine Tage und große Teile seiner Nächte beansprucht hätte. Er konnte nicht schlafen, war stets erschöpft. Er war nicht aus New York. Das Schnitzen neuer Vorlagen für die Wachsformen, die für seine ungewöhnlichen Aufträge nötig waren, genügte nicht, um ihn von dem Gefühl abzulenken, ein Fremder weit hinter den feindlichen Linien einer fremden Stadt zu sein. Ben war von Smith Island in der Chesapeake Bay und doch war Manhattan anders als jede Insel, die er je gekannt hatte. Es war überhaupt nicht wie zuhause.

      Die Frühlingskälte hielt sich mit eisigen Krallen in den Schatten zwischen den alten Fabrikgebäuden fest. Die meisten Gebäude in der Gegend waren schon vor langer Zeit zu luftigen oder zugigen Räumlichkeiten umgebaut worden, je nachdem, ob man Makler oder Mieter war. Nun waren sie hochwertiger Wohnraum oder trendige, minimalistische Großraumbüros mit ums Überleben kämpfenden Einzelhandelsgeschäften auf der Fußgängerebene. Es war so früh am Tag, dass nichts geöffnet hatte.

      Ben schleppte sich durch Vierundzwanzig-Stunden-Tage in einem unausgebauten Keller eines heruntergekommenen Gebäudekomplexes, der von den hungrigen Bauunternehmen geschmäht wurde, wegen einer belastenden Menge an ungeklärten Besitzansprüchen, gepfefferten Steuerrückständen, die niemand zahlen wollte, Gerichtsverfahren, Bauvorschriftsverstößen und Problemen mit der Bauordnungsbestimmung. Ein gesamtes fünfstöckiges Gebäude, dass unter Papierkram begraben war. Wäre er am Leben, hätte man Ben einen Besetzer genannt. Heute war er ein Geist.

      Das hätte er zumindest sein sollen. Nun, im Gegensatz zu den vielen Toten, für die er selbst verantwortlich war oder deren Ableben er während des ersten Golfkrieges und auf anderen Einsätzen beobachtet hatte, anders als der Tote, der er eigentlich sein sollte, verspürte er Furcht. Das fasste es ganz gut zusammen. Ein flaues Gefühl im Bauch. Er hatte Angst.

      Er war von seinen unruhigen Träumen vom Sonnenaufgang über der Chesapeake in dem kalten Kerker erwacht. Wie üblich war er an diesem Morgen aus dem versteckten Hintereingang seines Gebäudes gekrochen und vorsichtig sieben Blocks zu einem Imbissladen gegangen, der die ganze Nacht geöffnet hatte. Er variierte seine Route täglich, wobei er manchmal ziemliche Umwege für einen schlechten Kaffee auf sich nahm, der auch durch Milch und Zucker nicht besser wurde.

      Wenn das Heimweh besonders stark war, übertrug er die mäandernden Wasserwege und Ströme des Smith Island Archipels auf das winklige Straßenraster. Ein Bummel zum Drum Point Market zuhause auf Smith führte ihn stadtauswärts und auf die Westseite. Ein imaginärer Besuch im Haus seines guten Freundes Knocker Ellis bedeutete einen Marsch stadteinwärts und dann nach Osten. Er brach seine Fantasiepfade immer ab, bevor er seine eingebildeten Ziele erreichte. Es war sogar zu schmerzhaft für ihn, sich vorzustellen, wie seine Braut LuAnna seine Hand auf diesen Streifzügen hielt. Es würde keine wundersame Heimkehr in der verwitterten Smith Island Saltbox geben, die er sein Zuhause nannte. Kein Geplänkel mit seiner Frau. Keine Witze oder Sticheleien, die man mit Freunden teilte. Er landete immer in dem koreanischen Vierundzwanzig-Stunden-Imbiss, wo niemand jemals auf die Idee käme, Käse in den Kaffee zu tun, wie es auf Smith Island Brauch war.

      Ben brauchte das Koffein nicht. Er wollte verzweifelt an die frische Luft, sofern sie in New York zu finden war. Kaffee zu holen, war lediglich eine Mission. Der Imbiss, ein Ziel. Sein Jäger-Verstand, von den Jahren im Militärdienst geschärft, funktionierte besser, wenn es einen Plan gab. Die Akkordarbeit seiner derzeitigen Beschäftigung, so lukrativ sie auch war, betäubte seine Seele. Erschöpfung erledigte den Rest und alles zusammen machte ihn anfällig für ein Heimweh, wie er es nie gespürt hatte, als er im Golf gedient hatte; das war eine unverzeihliche Gefühlsduselei, die ihn dazu veranlassen konnte, unachtsam zu werden und am Ende dem Tod sehr viel näher zu kommen, als er bereits war.

      Jemand wusste, dass er in der Stadt war, aber Bens anonyme Arbeitskluft hatte ihn nicht verraten. Der Stoff war dunkel, von seinem Schöpfer gefärbt, um den Schmutz und die Schmiere von harter, niederer Arbeit über viele Tage zwischen den wenigen Waschgängen zu verstecken. Er zog den Reißverschluss seiner Jacke bis zum Kinn hinauf. Die Jacke war aus billigem Nylon, ein verhaltenes Dunkelblau. Es war eine unförmige, wattierte Kopie aus Übersee und wurde in den Billigläden Manhattans an Arbeiter verkauft, die gerade so über die Runden kamen. Er hatte die paar Löcher, die durch die enorme Hitze bei seiner Arbeit entstanden waren, mit schwarzem Duct Tape zugeklebt. Ben zog seine Rollmütze tiefer über seine Ohren. Das Walle-Polyester-Gemisch war ebenfalls dunkel. Nichts Besonderes. Keine Logos.

      Von Kopf bis Fuß war Ben ein unbeschriebenes Blatt. Ein Geheimnis. Er passte sich seiner Umgebung an. Er war nicht mehr von dieser Welt, und nun versuchte jemand, ihn zurückzuholen.

      Auf dem umständlichen Rückweg nahm er etwa jeden halben Block einen Schluck Kaffee. Wenn er seinen Kopf leicht zurückneigte, um zu trinken, ließ er seine Augen über den Gehweg vor ihm, die andere Straßenseite und die darüberliegenden Fenster schweifen. Ohne nachzudenken, filterte er die sanften Schritte seiner eigenen Gummisohlen aus; rechnete stets mit Geräuschen hinter sich. Alles, was auch nur annähernd wie verstohlene Schritte auf sechs Uhr klang, wie es im Militär hieß, oder direkt hinter ihm, ließ ihn lässig über seine Schulter blicken. In der ersten Woche in der Stadt hatte er befürchtet, diese Vorsicht würde ihn verdächtig wirken lassen und daher Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Doch er lernte schnell, dass dies der Big Apple war und dass hier jeder Augen im Hinterkopf hatte.

      Dennoch, zu dieser Stunde waren nur wenige auf den Straßen unterwegs und sie hatten größere Probleme als irgendeinen Typen, der mit einem lausigen Käffchen herumlief. Straßenräuber waren im Bett, nachdem sie bis spät in die Nacht denjenigen aufgelauert hatten, die völlig betrunken oder auf Drogen waren. Sie zehrten von den Party-Kids, die einen schnellen und stillen

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