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Eber im Nebel. Francis Kirps
Читать онлайн.Название Eber im Nebel
Год выпуска 0
isbn 9783947106714
Автор произведения Francis Kirps
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Tag vier
Bald würde meine Familie wieder nach Hause kommen, und zur Feier des Tages hatte ich ein zünftiges Irish Stew vorbereitet, das jetzt fröhlich auf einem Holzfeuer in der Garage vor sich hin schmurgelte. Um genug Feuerholz zusammenzubekommen, hatte ich den Fliederbusch, die kleine Blautanne und noch ein paar namenlose Sträucher gerodet, der Garten sah jetzt schon viel aufgeräumter und urbaner aus. Das Schaf, das die Katze mir gestern gebracht hatte, hatte ich eigenhändig ausgeweidet und entbeint. Ich war wirklich stolz auf mein Werk. Da das mittelgroße und die kleinen Messer irgendwo unter Mehl und leeren Afterbite-Sticks verschollen waren, hatte ich nur das große Hackmesser zur Verfügung gehabt, und das war bei der Feinarbeit, also Sehnen und Knorpel, nicht gerade praktisch. Dennoch war das Schaf von meinen sensiblen Metzgerhänden nach und nach in mundgerechte Stücke zerteilt worden. Die Fleischabfälle und Knochen hatte ich einfach in den Garten geworfen, für das Rabenvolk, gegen 9:34 Uhr konnte ich sogar die erste Sichtung eines Bartgeiers in Luxemburg seit 458 Jahren vermelden.
Für die Katze und mich bereitete ich ein nahrhaftes Eichhörnchenragout zu, dann leerte ich einen Afterbite-Stick in meiner Nase aus und nahm eine Martini-Dusche, um das Schafsblut abzuwaschen. Danach rollte ich mich in Paniermehl. Warum? Weil es irgendwie Spaß machte. Weil ich es konnte, keine Ahnung, warum. Die Katze betrachtete mich kopfschüttelnd und machte sich Notizen.
Gegend Abend traf meine Familie ein. Ich hoppelte ihnen freudig schnurrend auf allen vieren entgegen, ganz mit Panade bedeckt. Meine Schwester bedachte mich mit einem merkwürdigen Blick. Es war der gleiche Blick, den Gregor Samsas Schwester Gregor Samsa zugeworfen haben musste an jenem Morgen, als alles begann.
Ich miaute sie vorwurfsvoll an und deutete mit der linken Vorderpfote auf meinen leeren Fressnapf.
Die Katze saß rauchend am Laptop und tippte irgendwas, wahrscheinlich diesen Text.
EBER IM NEBEL
Ein Rascheln in der Maisplantage, eine kaum wahrnehmbare Bewegung, dort, wo das Feld in Mischwald übergeht.
»Sie kommen«, flüstert Sir Percival Batchelor mir aufgeregt zu. »Bleiben Sie dicht hinter mir, und machen Sie mir alles nach, dann wird man Sie für ein Jungtier aus meiner Rotte halten.« Er lässt seine 120 Kilo Lebendgewicht (»Kartoffeln, seit 20 Jahren nichts als Eicheln und Kartoffeln, old boy!«) auf alle viere plumpsen und nimmt Witterung auf. Der Schnurrbart zittert, sein verbeulter Tropenhelm ist in den Nacken gerutscht, borstige Haarbüschel gucken aus seinen Ohren, der Blick der rot geränderten Äuglein ist ins Weite gerichtet. »Oink, oink«, gurrt er zärtlich. »Oink-o? O-ink?«
Wieder mal falscher Alarm, denke ich verdrießlich. Ein Betrunkener auf dem Heimweg oder ein Eingeborener, der seinen Hund Gassi führt. Ich lehne mich gähnend gegen das rostige Chassis des alten Traktors mit DDR-Kennzeichen, der uns als Basislager dient.
Doch Sir Percival macht mir hektisch Zeichen. Widerstrebend lasse auch ich mich auf allen vieren nieder und grunze lustlos.
Mir ist kalt. Und es ist nass. Der Schlamm, in dem wir uns gesuhlt haben, damit die Wildschweine uns akzeptieren, will in der feuchten Kühle des Morgens einfach nicht trocknen. Seit Ewigkeiten habe ich nicht mehr richtig geschlafen. Nachts finden wir keine Ruhe wegen des Geheuls der Wölfe, die sich immer näher an die menschlichen Siedlungen heranwagen, hier in Deutschlands wildem Osten, wo Europa langsam in Asien übergeht und sich Pole und Mongole Gute Nacht sagen.
Seit zwei Wochen harren wir in der vernebelten, verregneten Einöde der Vorstadtlandschaft aus, ohne ein einziges Wildschwein gesichtet zu haben. Wir sind auf der Suche nach dem Familienverbund, mit dem Sir Percival Batchelor, der legendäre Wildschweinflüsterer, in den Achtzigerjahren zusammengelebt hat. Zum wiederholten Mal frage ich mich, worauf ich mich hier eingelassen habe.
Sir Percival möchte beweisen, dass die letzten Prenzlauer-Berg-Wildschweine, die durch seine zahllosen Bücher und Filme (Eber im Nebel, Keilerdämmerung, Der Sommer des Überläufers, Ein Bett im Kornkreis) weltberühmt wurden, immer noch hier am Rand des Schrebergartengürtels hausen.
Durch Gentrifizierung und invasive Schweinebanden aus der Provinz wurden die einst häufigen Tiere im zwanzigsten Jahrhundert aus ihrer Pankower Heimat verdrängt und wichen in die dünn besiedelten Sumpfwälder von Treptow-Köpenick südlich des Müggelsees aus.
Sir Percys Filme zeigten der Welt, dass es auch Wildschweine gibt, die sich zu benehmen wissen, »gentleboars« und »ladysows«, wie er sie nennt. Damit vermittelte er der zivilisierten Welt ein neues Bild der sanften Riesen, die hier im abgelegenen Berlin – die nächste menschliche Siedlung ist Minsk – gerade wieder gnadenlos bejagt und von ängstlichen Radfahrern und Badegästen als mordlustige Bestien und notorische Langfinger verteufelt werden.
Nachdem die Geschichte der »Klausau vom Teufelssee« um die Welt ging, ist das Wildschwein in Berlin ja endgültig zum Problemtier geworden. Sir Percival hat den ominösen Videoclip, in dem man einen nackten Mann sieht, der ein Wildschwein und zwei Frischlinge verfolgt, die seine Tasche samt Laptop gestohlen haben, gründlich analysiert: »Das war keine von meinen Sauen«, erklärt er kategorisch. »Die fürchten sich nämlich vor Menschen, und das mit Grund. Wir haben es hier mit Rotten von Zugezogenen zu tun, die jegliche Contenance verloren haben und in organisierten Gangs die Badeseen unsicher machen, von menschlichen Müllbergen angelockt. Old-School-Schweine machen so etwas einfach nicht.«
Während in der ganzen Welt, dank mutigen Tierfilmern wie Henry Lee Nugent aus Razorback/Arkansas, der in eine namibische Warzenschweinfamilie einheiratete, oder dem »Schweinemann von Borneo«, Dr. Luc van Eyck, der Indonesiens Hirscheber in einem modernen Staatswesen organisierte, das Bild des Schweins als nächstem Verwandten des Menschen eine Aufwertung erfuhr, herrschen in diesen rückständigen Regionen Eurasiens leider noch immer die alten Vorurteile.
»O-oink O-ink-o«, tönt es vom Waldrand. Ich fahre aus meinen trüben Gedanken hoch.
»Claire, altes Mädchen«, quiekt Sir Percival und verschwindet erstaunlich behände zwischen den meterhohen Maisstauden. Ich folge auf allen vieren.
Und dann sehe ich das mächtige Tier: Gleich Zahnstochern knickt es die Maispflanzen, wie ein T-34-Panzer walzt es auf Sir Percy zu.
Lady Claire, die gewaltige Silberrücken. Und ihre Rotte folgt auf dem Fuß, ich sehe in Schweinsgesichter, die jeder, der in den Siebzigern und Achtzigern aufgewachsen ist, aus dem Fernsehen kennt. Claires in Ehren ersilberte Ehemänner Paddington und Pinkerton, die Töchter Emily, Emma und Posh, die Söhne Lipton und Tipton, mittlerweile alle selbst mit Familie. Frischlinge und Frischlingsfrischlinge. Älter sind sie geworden, reifer, aus Frischlingen wurden Überläufer, aus Überläufern Eber …
Sie begrüßen Sir Percival wie eine Rugbymannschaft den alten Jugendtrainer, mich lassen sie zum Glück links liegen, beäugen mich bloß. Ich halte mich zurück und vermeide Blickkontakt, nur wenn ich angerempelt werde, grunze ich höflich.
Plötzlich hält Sir Percival, der sich eben noch fröhlich im Matsch wälzte, inne. Sein Blick wird suchend, fragend.
»Heathcliff«, fragt er. »Wo ist denn Heathcliff?«
Ja, wo ist er? Heathcliff, dessen Waisenschicksal Millionen vor den Bildschirmen zu Tränen rührte. Der Findelfrischling, dessen gesamte Rotte von gewissenlosen Düsseldorfer Trophäenjägern