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hatte, um die vier Frauen zu verstecken, nichts ausrichten. Die tobende Horde schlug ihr in wenigen Minuten die Möbel zusammen und warf sie aus dem Fenster. Mit einem der letzten Judentransporte wurde Hermina zusammen mit ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern nach Theresienstadt verfrachtet. Das war im September 1942.

      Die durch ihren Husten schon geschwächte Mutter starb kurz nach der Ankunft in Theresienstadt. Herminas Schwestern wurden aussortiert und nach Auschwitz weitergeschickt. Hermina bekam offenbar eine Frist. Viele Wochen verbrachte sie in Theresienstadt. Kapierte sie dort endlich, was es heißt, Jüdin zu sein? Im Winter dann wurde auch sie in einen der Viehwaggons gepfercht und nach Birkenau verfrachtet. Sie hoffte, dort doch ihre Schwestern oder ihren Vater wiederzusehen. Immer hielt sie Ausschau nach ihnen. Später erfuhr sie, daß zu der Zeit schon längst alle drei vergast worden waren. Im Juni 1944 wurde Hermina selektiert und wieder in einem Viehwaggon, der allerdings weniger beladen war als der erste, fortgeschafft. Diesmal ging die Fahrt durch eine idyllische Sommerlandschaft nach Niederschlesien in ein Außenlager von Groß-Rosen, wo sie, zum Skelett abgemagert, im Wald Baumstümpfe ausgraben sollte. Da die Häftlinge hier mit der Bevölkerung in Kontakt kamen, wurden ihnen die Haare nicht mehr geschoren.

      Als bei Kriegsende die Russen näherrückten, wurden die wenigen Häftlinge, die noch lebten, von uniformierten Männern evakuiert. Diesmal ging es zu Fuß vorwärts. Das war im Februar 1945. In der Dämmerung des dritten Abends konnte sich Hermina zusammen mit zwei anderen Frauen davonschleichen. Die Aufseher waren selbst zu erschöpft, um lange zu suchen. Überall herrschte hektische Aufbruchsstimmung, Trecks wurden zusammengestellt, manche Höfe waren schon verlassen. Die drei Frauen versteckten sich in Scheunen und Ställen, zu essen fanden sie genug. Von einem Dorfpastor bekam Hermina gefälschte Papiere. Sie war nun keine Jüdin mehr, sondern Hilde Fidler, eine junge, deutsche Flüchtlingsfrau aus dem Osten. Im Durcheinander der letzten Kriegswochen gelangte Hermina nach München, zu Tante Vera, der Schwester ihrer Mutter, die dort mit einem polternden Gamsbart-Katholiken verheiratet war. Ja, Mohrlerl, wo kommst du denn her?

      Hermina schämte sich zu erzählen, wie sie die letzten Jahre verbracht hatte. Appellstehen, Durst, vor allem Durst und Angst, Willkür, Stockschläge, Lastwagen voller Leichen, der Gestank des Rauches über dem Lager. Der SS-Mann, der munter vor sich hinpfeifend die nackten Frauen bei der Selektion Kniebeugen machen ließ. No geh scho, Mohrlerl.

      Tante Vera frühstückte jeden Morgen von ihrem Meissner-Porzellan, sie hätte das alles ohnehin nicht geglaubt, deshalb erzählte Hermina gleich eine andere Geschichte. Und die Eltern und die Schwestern, die würde sie sicher in Wien wiedertreffen. Gewiß. Onkel Sepp hatte sich mit den Nazis arrangiert. Mit Blick auf seine Frau flüsterte er Hermina ins Ohr, daß er nur auf diese Weise auch Juden hätte retten können. Seine Geschäfte liefen äußerst zufriedenstellend.

      Die Nächte verbrachte Hermina nun mit ihrer vor Angst schreienden Tante Vera im Keller. Nachdem Hermina drei Konzentrationslager überlebt hatte, wäre sie fast im Bombenhagel der Befreier umgekommen. Dann waren die Amerikaner da. Gutmütige, kaugummikauende junge Kerle. Hello! Sie wußten nicht, für wen und gegen wen sie da eigentlich gekämpft hatten. Ein jüdischer Kommandant der Militärregierung verschaffte Hermina eine Stelle bei der Organisation für »displaced persons«. Sie half, Kontakte zwischen auseinandergerissenen Familien herzustellen. Hermina wirkte bald kräftig und selbstbewußt. Sie wollte nichts Schlimmes erlebt haben, und sie wollte sich vor allem Schlimmen die Ohren verstopfen.

      Bei ihrer Arbeit lernte sie Maxim Wisniewski kennen. Er war fünfzig Jahre alt, trug einen Kaftan und sah aus wie die Figur aus einem russischen Märchen. Nie sprach er etwas anderes als jiddisch. Jiddisch, sagte er bedeutungsvoll, ist älter als deutsch, es ist die Sprache der Juden. Er war stolz darauf, Jude zu sein, und Hermina sehnte sich nach einem Menschen aus einer Bilderbuchwelt. Maxim hatte die schlimme Zeit in Amerika verbracht. Er war Vorkriegsemigrant und suchte nun in dem verwüsteten Europa nach seinen Verwandten. Mit Malech, seinem Schutzengel, führte er lange Gespräche. Durch seine unbeirrte Frömmigkeit besann sich auch Hermina auf ihr Judentum. Plötzlich bekam sie ein Heimatgefühl. Sie wollte dazugehören, vertrauen, gläubig werden und die Gebräuche halten. Vielleicht würde ihr daher eine Erklärung für alles kommen. Sie erzählte Maxim nicht, daß sie ihr Jiddisch im Konzentrationslager gelernt hatte.

      Maxim war ein russischer Bär aus dem Schtetl, ein chassidischer Bohémien, ein Künstler, ein Narr, der durch Kneipen zog, auf seinem »Harmoschke« spielte und dazu sang. Schon 1933 war er nach New York ausgewandert, um dort ein Kabarett zu gründen, nur das geeignete Auditorium von Jidden, das er sich gewünscht hatte, fehlte ihm noch, so daß er sich als Sänger bei Hochzeiten und Bar-Mízwa-Feiern durchschlagen mußte.

      Niemand vorher hatte Hermina so zum Lachen gebracht wie Maxim, wenn er rief, Herminale, gib a Guck, was da tut sich. Seine Väterlichkeit und sein Humor machten sie in manchen Augenblicken wirklich sorglos. Herminale, du sitzt in mein Herz, du sitzt auf einen weichen Scheslan in mein Herz, sang Maxim und spielte dazu auf seinem Harmoschke. Er hob sie liebevoll verehrend auf einen Thron, und alle sollten den Schatz bewundern, den er besaß.

      Wer wollte die Juden vor dem Krieg aufnehmen?

      Wer wollte die Juden während des Krieges aufnehmen?

      Wer wollte die Juden nach dem Krieg aufnehmen?

      Hermina träumte davon, nach Palästina auszuwandern. Vielleicht hätte sie von Italien aus mit einem illegalen Schiff einreisen können. Vielleicht wäre sie aber von den Engländern erwischt und auf Zypern interniert worden. Vor Lagern hatte Hermina einen Horror. Maxim schwärmte von New York. In New York sei er so gut wie zu Hause. Endlich würde er sein längst geplantes Kabarett gründen, Hermina sollte die geschäftliche Leiterin werden. In New York liege das Geld nur so auf der Straße herum. Alle Juden und alle Nicht-Juden in New York würden allabendlich Maxim Wisniewskis Kabarett füllen. Sie gab seinem sanften Drängen nach. 1948 heirateten sie und nahmen ein Schiff nach New York.

      Zuerst wohnten sie in einem von einer jüdischen Hilfsorganisation zur Verfügung gestellten Obdachlosenhaus. Bald fanden sie eine billige Einzimmerwohnung mit einer geräumigen Küche, die jedoch kein Fenster hatte. In einem mit Stoff verhängten Regal war alles, was sie besaßen. Ein paar Kleidungsstücke, drei, vier Bücher, eine Pfanne und das Eßgeschirr. Nie wurden sie den Geruch nach feuchtem Keller und Schimmel los.

      Maxim verbrachte viel Zeit damit, mit anderen Künstlern zu-sammen die Gründung des Kabaratts vorzubereiten. Sie planten und probten, aber bald war es doch wieder noch nicht ganz das Richtige. Abends zog er mit seinem Harmoschke von Kneipe zu Kneipe. Sie kamen nicht weiter. Herminale, mein Neschome, so wie an schlechta Traum kommt mir das vor.

      New York forderte Anpassung, es zeigte den Einwanderern seine Krallen, das Geld war eine ständige Sorge. Hermina nahm eine Stelle als Gesellschafterin bei einer behinderten Dame an. Wenn sie unter die Leute ging, konnte sie wenigstens ihr Englisch verbessern. Da die Zugehfrau der Dame krank war, putzte Hermina, wusch die Wäsche und kochte dem Königspudel seine Diätmahlzeit. Alle drei Stunden mußte er um den Häuserblock geführt werden. Von der Vermieterin aus Wien ließ sich Hermina die schmale Mappe schicken, die sie ihr gegeben hatte, bevor die Nazis kamen. Darin waren ein paar Briefe und Photos, Urkunden und Zeugnisse. Ihr Verlobungsring steckte noch dazwischen.

      An einer Nursing School bewarb sich Hermina um eine Ausbildung. Aber in einem Schreiben erklärte man ihr, mit achtundzwanzig sei sie zu alt und außerdem sei eine, die im Konzentrationslager war, ungeeignet dafür, als Krankenschwester zu arbeiten. Schließlich fand sie Arbeit in der medizinischen Bäderabteilung eines Krankenhauses, wo sie den Leuten Massagen und Wickel verabreichen mußte. Sie verdiente nun besser, ließ sich Dauerwellen legen und kaufte ein Kleid mit einem schwingenden Petticoat darunter. Ein Arbeitskollege lud sie abends ins Kino ein.

      Als sie nach Hause kam, brüllte Maxim wie ein Irrer. Er schlug auf sie ein und zerriß das Kleid in Fetzen. Tagelang mußte sie im Zimmer bleiben, weil sie sich schämte. Ihr Gesicht war blau geschlagen, die Lippen aufgeplatzt. Maxim heulte vor Reue wie ein Kind. Herminale, mein Neschome, das Liebste in mein ganzen Leben!

      1950 bekam Hermina einen Sohn. Sie nannte ihn Franz nach ihrem Vater, der in Auschwitz vergast worden war. Durch das Kind hing sie nun völlig von Maxim ab. Tante Vera,

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