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Carberrys dröhnendes Organ war bis in den letzten Deckswinkel der „Isabella“ zu hören. Die Männer auf der Kuhl und auf der Back wandten die Köpfe und erblickten ihren Profos in völliger Fassungslosigkeit. Auch Hasard und Ben Brighton spähten vom Achterdeck herüber.

      Ed Carberry hatte sich vorgebeugt, stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete ungläubig blinzelnd die Szene, die sich unmittelbar von dem offenen Kombüsenschott abspielte.

      Plymmie, die Bordhündin, stand mit hängenden Ohren vor der Muck, die ihr der Kutscher als Freßnapf zur Verfügung gestellt hatte. Lustlos schnupperte Plymmie an dem Inhalt der Muck, einem stattlichen Haufen Fleischbrocken, vermengt mit Resten der Bohnensuppe vom Vortag. Im nächsten Moment wandte sich die Wolfshündin demonstrativ ab und ließ sich vor den Zwillingen auf den Planken nieder. Nach einem herzhaften Gähnen legte sie den Kopf zwischen die Vorderbeine, schloß das linke Auge und linste mit dem rechten zu Ed Carberry hoch.

      „Das schlägt dem Faß den Boden aus.“ Der Profos schüttelte entnervt den Kopf, hielt aber sofort inne. Denn er besann sich der Pelzmütze, die er trotz der schon annehmbaren Temperaturen auf dem Kopf trug. Bei allzu heftiger Bewegung eben dieses Körperteils konnte es passieren, daß die Mütze herunterfiel und eine Blöße preisgab. Seit der verlorenen Wette um Luke Morgans Pelzkenntnisse in Wiborg lief Ed mit einer feinen Glatze herum. Damit nur keiner auf seine vorsichtige Kopfhaltung anspielen konnte, fuhr er grollend fort: „Erst ist sich das Vieh zu fein für das gute Fressen, und dann grinst es mich auch noch an!“

      „Verzeihung, Sir“, sagte Hasard junior vorsichtig, „Plymmie grinst ganz bestimmt nicht.“

      „Ein Hund kann überhaupt nicht grinsen“, fügte sein Bruder Philip hinzu.

      Ed Carberrys Rammkinn klappte nach unten. Sein Blick heftete sich auf die Jungen – zornfunkelnd.

      „Besten Dank für die Belehrung, ihr Rübenschweine. Wenn ich sage, das Vieh grinst mich an, dann grinst es mich an. Ist das klar?“

      Die beiden Jungen schluckten trocken hinunter. Äußerlich ähnelten sie sich wie ein Ei dem anderen. Schlank und schwarzhaarig, hatten sie den unverwechselbar gleichen Gesichtsschnitt wie der Seewolf. In ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen, und schon jetzt, in ihren jugendlichen Jahren, ließen sie erkennen, daß sie als erwachsene Männer einmal alle überragenden Eigenschaften und Fähigkeiten ihres Vaters haben würden.

      Daß sie in diesem Augenblick aussahen, als seien sie zutiefst beleidigt worden, beeindruckte den Profos nicht. Die gesamte Crew wußte, welche verteufelte Portion Temperament und Starrsinn die beiden im Nacken hatten. Welche Scherereien sie ihrem Vater und seinen Männern schon bereitet hatten – nun, daran mochten sie nicht unbedingt erinnert werden. Schließlich fühlten sie sich auch nicht mehr als kleine Kinder, denn bei den Aufgaben, die sie an Bord zu erledigen hatten, standen sie ihren Mann.

      So manches Mal hatte man die Junioren aus verzwickten Situationen herauspauken müssen. Immer dann nämlich, wenn sie sich wieder einmal einen unerlaubten Alleingang geleistet hatten. Indes mußte auch Ed Carberry ihnen zugute halten, daß sie mittlerweile gewitzt genug waren, um sich auch einmal allein zu helfen. Hasard junior hatte das zuletzt in Abo bewiesen, wo er sich aus der Gewalt von Entführern befreit hatte.

      In Abo hatten die Zwillinge auch Plymmie an Bord gebracht, das erbarmungswürdige halbverhungerte Etwas, das sie aus der Hand von jugendlichen Tierquälern befreit hatten.

      „Vielleicht darf ich auch mal was zu dem Fall sagen“, meldete sich der Kutscher zu Wort, der gemeinsam mit Mac Peelew aus dem offenen Kombüsenschott blickte.

      „Was dabei herauskommt, kann ich mir schon denken“, entgegnete Ed Carberry knurrend, „die lieben Kleinen und ihr liebes Tierchen muß man natürlich in Schutz nehmen.“

      „Mister Carberry“, sagte Mac Pellew grämlich, „ich weiß nicht, was du immer noch an Plymmie herumzumäkeln hast. Wenn sie nun mal keinen Hunger hat, dann läßt man sie eben in Frieden.“

      „Das ist es nicht, du Suppenschwenker. Das Vieh frißt sonst jeden Tag um diese Zeit. Aber langsam wird die Lady zu vornehm. Und das geht zu weit. Punktum. Hier wird gefressen, was man vorgesetzt kriegt. Wohin führt denn das, was, wie? Demnächst verlangt der Köter einen goldenen Teller – nur noch mit den besten Leckerbissen, versteht sich!“

      Der Kutscher räusperte sich.

      „Ich möchte dazu nur eins bemerken“, sagte er in seiner etwas geschraubten Art, „es handelt sich in diesem Fall um Pökelfleisch. Eine sehr salzige Angelegenheit also. Nun ist in der Medizin bekannt, daß Gewürze, wie sie Menschen genießen, nicht unbedingt auch für Tiere geeignet sind. Wenn Plymmie das Pökelfleisch verweigert, dürfte es sich um eine völlig natürliche Abwehrreaktion handeln.“

      „Himmel!“ Ed Carberry verdrehte die Augen. „Jetzt erzähl mir bloß noch, daß dein Lehrmeister Doc Freemont auch Hundeviecher behandelt hat!“

      „Keineswegs“, entgegnete der Kutscher spitz, „solche Dinge gehören für einen Humanmediziner gewissermaßen zur Allgemeinbildung.“ Die wilde Narbenlandschaft im Gesicht des Profos verzog sich zu einem breiten Grinsen.

      „Meine Allgemeinbildung sagt mir nur eins, mein lieber Freund und Kombüsenkutscher: Ein guter Hund frißt alles, und damit basta.“

      „Aber Pökelfleisch haben wir ihr doch heute zum ersten Mal vorgesetzt!“ rief Hasard junior protestierend.

      „Da kann man doch nicht verlangen …“ setzte sein Bruder an.

      Ein langgezogener Ruf aus dem Großmars brach den Disput um Plymmies Freßgewohnheiten ab.

      „Deck!“ brüllte Luke Morgan, der den Posten des Ausgucks übernommen hatte. „Signal von der Galeone voraus!“

      Ben Brighton reagierte sofort.

      „Nils!“

      Nils Larsen, der neben Englisch und seiner dänischen Muttersprache auch Schwedisch und Deutsch beherrschte, kreiselte auf der Kuhl herum.

      „Sir?“

      „Auf die Back! Sieht so aus, als ob wir angepreit werden.“

      „Aye, aye, Sir.“ Nils lief los, grinste, als er Plymmie und den verschmähten Freßnapf passierte und enterte, mit zwei federnden Sätzen über den Steuerbordniedergang zur Back auf.

      Arne von Manteuffel und Renke Eggens standen an der reichverzierten Heckbalustrade der ehemals polnischen Galeone.

      „Ich bitte meinen Vetter zu einer dringenden Besprechung an Bord!“ rief von Manteuffel.

      „Verstanden, Sir!“ Nils Larsen gab ein Handzeichen, wandte sich ab und eilte zum Quarterdeck, um die Nachricht für Hasard und Ben Brighton zu übersetzen.

      Arne von Manteuffels Galeone drehte bereits bei, und jede Hand an Bord wurde gebraucht, um die Segel ins Gei zu hängen. Nach der Versenkung der „Wappen von Kolberg“ bestand die Crew noch aus dreizehn Mann.

      Der Seewolf gab Order, dem Beispiel seines deutschen Vetters zu folgen und die kleine Jolle abzufieren – Gelegenheit für Ed Carberry, seinem Ärger über das vermaledeite Hundevieh Luft zu verschaffen. Obwohl die Männer selbstverständlich bereits im Höllentempo in den Wanten aufenterten, ließ er seine Stentorstimme donnern.

      „Bewegt euch gefälligst, ihr lahmen Säcke! Hat einer was gesagt, daß ihr jetzt schon einschlafen sollt, was, wie? Ein bißchen hurtiger, ihr Schnecken, oder ich stopf euch ’ne Ladung Pfeffer ins Achterteil! Was meint ihr, was ihr dann am Wetzen seid?“

      Den Männern war es eine vertraute Begleitmusik, wie das Salz in der Suppe ihrer tausendfach geübten Handgriffe. Keiner mochte das Gedröhn des Profos missen. Jedem an Bord der „Isabella“ hätte etwas gefehlt, wenn Edwin Carberry plötzlich auf den Gedanken verfallen wäre, seinen Dienst ohne die gewohnte Lautstärke zu versehen.

      Hasard übergab das Kommando an Ben Brighton, seinen Ersten Offizier. Gemeinsam mit Nils Larsen enterte er in die Jolle ab. Mit kräftigen Schlägen pullten

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