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seinen Stückmeister.

      Al Conroy begriff sofort, auf was Hasard hinauswollte. Er zeigte auf die geschwärzten Steine. „Ich nehme an, es ist das, worüber du dich wunderst.“

      Hasard nickte. „Ich vermisse einen Explosionstrichter. Oder liegt es daran, daß die Pflastersteine zu hart sind?“

      Al Conroy schüttelte den Kopf. „Kaum.“

      Der türkische Offizier verfolgte das Gespräch der beiden Männer mit interessierter Miene. Hasard bemerkte es und folgerte daraus, daß der Mann offenbar die englische Sprache verstand.

      „Hast du eine Erklärung?“ fragte er den Stückmeister.

      „Plausibel wird es nur folgendermaßen“, erwiderte Al Conroy, „wir gehen mit unseren Überlegungen von falschen Voraussetzungen aus. Du vermutest, daß jemand einen Sprengsatz unter die Sänfte geworfen hat. Stimmt’s?“

      „Richtig.“

      „Deshalb deine Folgerung.“

      „Auch richtig.“

      „Davon mußt du dich lösen“, sagte Al. „Der Sprengsatz oder die Bombe, was immer es war; wurde nicht unter die Sänfte geworfen, sondern hinein.“

      Hasard furchte die Stirn. „Daß es keine Wurfbombe war, erscheint mir plausibel. Der Rest deiner Erklärung aber nicht. Gerade der Boden der Sänfte muß aus so starkem Material gefertigt gewesen sein, daß es diese Spuren kaum gegeben haben dürfte.“

      „Einverstanden“, sagte der Stückmeister und nickte. „Daraus folgt aber, daß sich der Sprengsatz unter der Sänfte befunden haben muß. Und wie, bitte sehr, soll so etwas möglich sein? Der Mörder hätte sich heranschleichen müssen, um die Ladung unter dem Boden zu befestigen und die Lunte zu zünden. Das hätte er niemals schaffen können.“

      „Aber die Ladung muß unter dem Boden geklebt haben“, sagte der Seewolf beharrlich. „Anders sind die Explosionsspuren beim besten Willen nicht zu erklären.“

      Der Offizier räusperte sich. „Bevor Sie sich weiter den Kopf zerbrechen, Gentlemen, sage ich Ihnen lieber, womit wir es zu tun haben. Dies dürfte eindeutig das Werk des Höllenfürsten gewesen sein.“

      Hasard und Al starrten den Offizier an. Hatten sie es hier mit einer türkischen Ausgabe des alten O’Flynn zu tun? Mit einem, der auch gleich behaupten würde, das Zweite Gesicht zu haben?

      „Nichts für ungut“, entgegnete der Seewolf. „Aber Schauermärchen sind keine Erklärung.“

      Der Offizier schüttelte den Kopf, und er wirkte absolut ernst dabei. „Seit einiger Zeit passieren in Istanbul immer wieder Fälle dieser Art. Immer sterben einflußreiche Persönlichkeiten dabei, und immer explodiert eine Ladung, ohne daß jemand in der Nähe ist, der sie gezündet haben könnte. Der Täter ist unbekannt. Er wird der Höllenfürst genannt, weil er offenbar die Fähigkeit hat, Sprengladungen hochgehen zu lassen, wann immer und wo immer er will, ohne selbst dabeizusein.“

      „Das hört sich in der Tat teuflisch an“, sagte Hasard. „Aber Hexerei kann es nicht sein. Es muß eine Erklärung dafür geben. Hast du eine, Al?“ Er blickte den Stückmeister an.

      Al Conroy rieb sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger. „Ich bin mir nicht sicher. Ich erinnere mich an Berichte über einen deutschen Schwarzpulverfachmann, der Knochenbomben gebaut haben soll. Die Dinger sollen wie von selbst explodiert sein. Ich habe das bislang immer für eine Legende gehalten.“

      Jetzt war selbst der türkische Offizier überrascht. „Knochenbomben?“ rief er. „Was heißt das – Knochen?“

      „Ich kenne keine Einzelheiten“, antwortete der Stückmeister. „Nur so viel, daß Schwarzpulver in einen hohlen Knochen und in einer abgeteilten Kammer mit einer brennenden Lunte versehen wurde. Die Brenndauer soll dann für eine bestimmte Zeit genau berechnet worden sein. Ich konnte mir aber nie erklären, wie so was funktionieren soll. In dem geschlossenen Knochen, habe ich mir gedacht, muß die Zündflamme doch ersticken.“

      „Vielleicht funktionierte es mit winzigen Luftlöchern“, sagte der Seewolf. „Und Knochen hat dein deutscher Pulverkollege wahrscheinlich deshalb verwendet, weil man sie in Speisezimmern oder Speisesälen unauffällig auf den Fußboden plazieren kann.“

      Al Conroy nickte. „Trotzdem hat es für meine Begriffe immer sehr unwahrscheinlich geklungen.“

      „Aber es wäre eine Erklärung!“ rief der Offizier. „Vielleicht hat der Höllenfürst solche Methoden verfeinert und bietet nun seine Dienste an.“

      „Interessenten dafür gibt es in Istanbul genug, nehme ich an.“ Hasard blickte den Offizier fragend an.

      Der Türke nickte. „Die Machtverhältnisse in unserer Stadt werden immer unklarer. Teilweise finden bereits offene Kämpfe zwischen verfeindeten Gruppen statt. Und dieser Mann“, er deutete auf die Reste der Sänfte, „hatte eine Menge Feinde.“

      „Kemal Yildiz“, sagte der Seewolf. „Er wollte mich zu einer Besprechung aufsuchen. Er hatte vor, Handelsbeziehungen mit England aufzunehmen.“

      Der Offizier sah ihn überrascht an. „Dann sind Sie ein wichtiger Zeuge, Sir. Ich muß Sie bitten, sich zu meiner Verfügung zu halten.“

      Hasard hatte nichts dagegen einzuwenden. „Unser Schiff bleibt an seinem Liegeplatz. Ich nehme aber an, daß wir uns innerhalb der Stadt frei bewegen können, sofern wir immer wieder auf die Dubas zurückkehren.“

      „Selbstverständlich, Sir.“

      Der Kutscher und der Feldscher hatten ihr möglichstes für die Verwundeten getan. Sie wurden in ein Lazarett abtransportiert. Der Offizier ließ die Soldaten am Ort des grausigen Geschehens aufräumen. Schon eineinhalb Stunden nach der Explosion erinnerte nichts mehr an den Tod des Kemal Yildiz und seine Sänftenträger.

      Hasard und seine Gefährten hatten sich unterdessen vorgenommen, diese Angelegenheit nicht auf sich beruhen zu lassen. Schließlich war der Kaufmann auf dem Weg zu ihnen umgebracht worden. Fast waren sie es ihm schuldig, die Umstände seines Todes aufzuklären.

       4.

      Am späten Nachmittag verließen Hasard und Don Juan die Dubas. Ben Brighton übernahm wie üblich das Kommando an Bord. Im Labyrinth der Gassen steuerten die beiden Männer ihr Ziel an, eines der vielen Kaffeehäuser.

      Die Orientierung war einfach. Sobald man sich in einer Gasse befand, brauchte man nur dem unvergleichlichen Duft nachzugehen. Kaffeehäuser gab es überall, und es war die Tageszeit, zu der sich die Männer dem Genuß des schwarzen Getränks hingaben.

      Hasard und Don Juan entschieden sich für ein abseits gelegenes Haus, das schon von außen einen verschwiegeneren Eindruck erweckte. Die Räume, aus deren offenen Fenstern und Türen lautes Stimmengewirr drang, befanden sich an einem Innenhof, den sie durch einen Torweg erreichten.

      Der gesamte Hof war vom Kaffeeduft ausgefüllt. Je weiter sie sich dem Eingang näherten, desto mehr schien die Luft nur noch aus jenem bittersüßen Aroma zu bestehen, das sich bei der Zubereitung des Türkentranks entfaltete.

      Der Seewolf und sein Begleiter betraten den großen, saalartigen Raum, in dessen Mitte Kohle in einem Kupferbecken von Wagenrad-Durchmesser glühte. Über dem Becken hing ein mächtiger Topf, aus dem Männer mit Schürzen unablässig den Kaffee in kleine Porzellantassen schöpften.

      Der Dampf aus dem Kaffeetopf vermischte sich mit dem Rauch des Feuers und stieg in einen geschwärzten Abzug, der vermutlich durch das Dach des Gebäudes reichte. Jungen, die gleichfalls Schürzen trugen, beförderten den brühheißen Kaffee auf Tabletts zielsicher durch die Tischreihen.

      Nach einem unergründlichen System wußten sie stets genau, wann und wo jemand seine Tasse gerade geleert hatte. Niemand, so schien es, mußte länger als eine Minute ohne frischen Kaffee ausharren. Und die Bezahlung wurde offenbar nach einer Art Pauschalsystem geregelt.

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