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die Berührung. Der Aufpasser neben ihm stierte in die Sonne. Offenbar konnte er deren Untergang kaum noch erwarten.

      „Beeil dich, verdammt noch mal!“ brüllte er Ribault an. Er traf jedoch keine Anstalten, ihm wieder ein Bein zu stellen. Wenn jetzt Wasser überschwappte, würde alles nur noch länger dauern.

      Das ist die letzte Gelegenheit, dachte Jean Ribault. Die Kerle waren sorglos geworden. Ein paar der Aufpasser brüllten schon die Gefangenen an, daß sie sich gefälligst zu beeilen und ihren Kram zusammenzupacken hätten.

      Jean Ribault ging los, dreihundert Yards mit den schweren Eimern. Jeder einzelne Schritt schmerzte. Die Last wurde fast unerträglich.

      Scheinbar hielt er den Blick gesenkt, doch er beobachtete heimlich die beiden Aufpasser am Graben. Sie standen immer noch so da, als seien sie zu faul, sich zu bewegen.

      Der eine stand links etwas nach hinten versetzt dicht am Graben. Der andere rechts und etwas nach vorn versetzt.

      Er mußte genau in ihre Mitte, damit sie bequem nach dem Eichstrich in den Eimern linsen konnten und sich ja nicht unnötig bewegen mußten.

      „Bewege mal deine faulen Knochen etwas schneller“, pöbelte ihn der eine an. „Oder willst du hier Wurzeln schlagen?“

      „Er kriegt kaum noch die Knochen hoch, der Bastard. Hängt da so müde rum wie ein alter Tränensack.“

      Jean Ribault ließ sie reden und wartete darauf, daß sie ihm das Zeichen gaben, die Eimer auszukippen. Er wußte nicht, daß Roger Lutz zu diesem Zeitpunkt gerade seine Lore auf jene Stelle zuschob, wo die Schiene den gemeinsamen Weg verließ und nach Norden abschwenkte.

      Jean Ribault blieb kühl und gelassen, während er ein letztes Mal seine Chancen abwog. Nach außen hin gab er sich allerdings den Anschein eines total kaputten Mannes, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.

      Der Franzose schwenkte das Joch mit den Eimern unmerklich und wie unbeabsichtigt nach links, packte dann blitzartig härter und fester zu und riß das Joch mit einem scharfen Ruck wieder zurück. Dabei baute er auf die Hebelwirkung, die auch prompt eintrat.

      Der Aufpasser, der links von ihm stand, war total überrascht und konnte sich auch nicht mehr auf den Beinen halten. Die Holmseite krachte ihm hart ins Genick. Er griff mit einem leisen Aufschrei um sich, als suchte er Halt. Doch da war nur der Graben, und in den sauste er mit einem Affenzahn hinein.

      Der andere war noch überraschter. Die Eisenkette, an welcher der Wassereimer hing, schlang sich um seinen Hals. Mit beiden Händen griff er danach, doch der Franzose trat einen halben Schritt zurück, so daß sich die Kette noch mehr straffte.

      Stöhnend und gurgelnd brach der Aufpasser in die Knie.

      Jean Ribault zögerte keinen Augenblick. Er mußte diese Aktion durchziehen, sonst war er erledigt. Nicht auszudenken, was ihm darin alles bevorstand.

      Er ließ die Eimer fallen und war mit einem blitzschnellen Satz bei dem röchelnden Kerl. Ebenso schnell bückte er sich und hieb dem Kerl die Faust hart an die Schläfe. Gleichzeitig griff er zu und entriß dem Wärter das Messer, das er im Gurt stecken hatte.

      Das alles geschah so schnell, daß die anderen noch nicht kapierten, was hier vorgefallen war. Jean Ribault hörte sogar noch das Klatschen im Wassergraben, wo der andere Kerl jetzt schwamm.

      Er lief ein paar Schritte und hechtete in einem eleganten Bogen in den Wassergraben. In einer auf gischtenden Fontäne verschwand er.

      Auf diesen Augenblick hatte Roger Lutz nur gewartet, regelrecht gelauert hatte er darauf. Er zögerte ebenfalls keine Sekunde und nutzte geschickt den Moment der Verwirrung aus. Er sah bei den Aufpassern nur fassungslose Gesichter. Starr wie Holzfiguren standen sie herum.

      Roger Lutz sprintete los. Er rannte durch Matsch und Dreck, daß die Fetzen nach allen Seiten flogen und sprang aus vollem Lauf ebenfalls mit einem wilden Hechtsprung in den Graben.

      Er war gerade im Wasser, als er den klatschnassen Aufpasser sah, der verzweifelt um sich schlug und lauthals um Hilfe brüllte. Nach ein paar schnellen Schlägen war er mit ihm auf gleicher Höhe.

      „Hilfe!“ brüllte der Kerl und spie Wasser.

      Roger Lutz half dem sadistischen Kerl auf seine Weise. Er hob einen Arm aus dem Wasser und donnerte dem Wärter die Faust an den Schädel.

      Oben standen die anderen Kerle immer noch wie gelähmt herum und konnten nicht fassen, was da passiert war. Bisher hatte noch niemand einen Fluchtversuch gewagt. Sie waren zum ersten Male damit konfrontiert worden und starr vor Staunen.

      Dann brüllte einer von ihnen in wilder Wut. Das Geheul wirkte offenbar ansteckend, denn jetzt brüllten auch ein paar andere und rannten unter lautem Geschrei zum Wassergraben. Einer riß die Pistole aus dem Gürtel und ballerte wild drauflos.

      Von den Flüchtlingen war allerdings nichts mehr zu sehen, denn der Graben führte ein fließendes Gewässer.

      Als der Kerl seine Pistole leer geschossen hatte, tauchten weiter seewärts wie zum Hohn zwei Köpfe auf. Ein kurzes Luftschnappen, dann waren sie in den Fluten wieder verschwunden.

      Der Wärter warf voller Zorn seine Pistole auf den Boden, schüttelte in ohnmächtiger Wut die Fäuste, riß sich dann seine Kopfbedeckung vom Schädel und trampelte sie zornig in den Matsch.

      „Wer ist da abgehauen?“ brüllte er.

      „Der Hugenotte und noch einer.“

      „Ausgerechnet der, das wird Don Lope aber freuen.“

      Jetzt rannten sie alle zum Graben, doch zu sehen gab es nichts mehr. Zudem setzte die Abenddämmerung ein, und die Sonne verschwand als orangefarbener Ball hinter den Sümpfen. Gleich darauf wurde es auch schon dunkel. Die Aussicht, die Flüchtigen noch zu erwischen, war damit gleich null. Die Dunkelheit hatte sie verschluckt.

      „Hoffentlich ersaufen die Hunde!“ schrie ein Aufpasser.

      Der Bootsmann O’Leary hatte nicht mitgekriegt, wer da gerade getürmt war. Auch Simon Llewellyn und Thomas Lionel hatten nur gehört, daß zwei Kerle abgehauen wären.

      Jetzt sprach es sich schnell herum.

      „Was?“ brüllte der ungeschlachte Bootsmann. „Ausgerechnet der verfluchte Kumpan des Piraten Killigrew – der ist einfach abgehauen? Eine Sauerei ist das!“

      Die beiden ferkelgesichtigen Söhne von Sir John stimmten in diesen Chor mächtig und lautstark ein und empörten sich über alle Maßen.

      „Ihr habt es gerade nötig, von Piraten zu sprechen, ihr Hurenböcke!“ rief Fred Finley höhnisch. „Ausgerechnet ihr!“

      Daraufhin brach unter den Kerlen erneut ein Wutgeheul aus. Sie benahmen sich, als sollten sie gleich gehenkt werden.

      O’Leary sah seine Felle davonschwimmen, denn er gedachte immer noch, sich „freikaufen“ zu können, wenn er Ribault als Kumpan des Seewolfes belastete. Daher hatte es auch schon einige Aufregung gegeben. Jetzt war der Franzose fort und damit seine Hoffnungen.

      O’Leary kriegte wieder einen seiner berüchtigten Tobsuchtsanfälle und drosch voller Wut mit den Fäusten um sich. Er traf auch ein paar der ehrenwerten Herren, die ihre Angst vor dem tobenden Ungeheuer laut in die Welt kreischten. Auch die beiden Ferkelsöhne kriegten was auf die Ohren. O’Leary reagierte sich ab.

      Den Aufsehern, Wärtern und Soldaten langte es jetzt. Sie alle erwartete sowieso ein harter Anpfiff durch Don Lope, weil ausgerechnet der Mann geflüchtet war, auf den er es ganz besonders abgesehen hatte.

      Renke Eggens, Hein Ropers, Hanno Harms und die anderen grinsten sich eins, denn die Galgenvögel von der „Lady Anne“ taten mit ihrem Gebrüll nur Jean Ribault und Roger Lutz einen Gefallen. Sie waren so dämlich und lenkten durch ihr Gezeter die Aufmerksamkeit der Wärter auf sich selbst und boten sich somit als Prügelknaben an.

      Die Dresche ließ auch nicht lange auf sich warten. Jetzt waren die Wärter an der Reihe, ihrer Wut freien Lauf zu lassen.

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