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das brachte Unglück, wenn einem die Flußgeister und die Walddämonen nicht wohlgesonnen waren.

      Aber Ebel Schachnam hatte natürlich recht. Beute mußte her. Alle Möglichkeiten mußten genutzt werden, Müßiggang hatte keinen Sinn. Bald hatte die Bande nicht einmal mehr Datteln zu beißen.

      Es brachte auch nichts ein, die verstreut liegenden Dörfer in der Nähe des Flusses oder im Schwemmland zu überfallen. Da gab es nichts zu holen. Die Menschen, die in den erbärmlichen Hütten lebten, waren bettelarm und kämpften selbst gegen Hunger und Durst.

      Leise fluchend gingen die Flußräuber zu ihren Guffas. Guffas – das waren Gerüstrundboote, wie sie in Mesopotamien üblich und gebräuchlich waren. Bug und Heck waren nicht zu unterscheiden, die Fahrzeuge waren völlig rund. Sie wurden mit Fell oder Häuten überspannt und der Boden mit Stroh ausgelegt. Oft wurden sie auch mit heimischem Naturbitumen abgedichtet.

      Guffas wurden als Lasten- und Personenfahrzeuge auf Flüssen benutzt, auch in der Nähe der Meeresküste. Größere Guffas bis zu zehn Menschen Tragfähigkeit – dazu noch einige Tiere – waren keine Seltenheit in dieser Gegend, wo der Euphrat und der Tigris zusammentrafen.

      Es gab auch die Möglichkeit, mehrere Rundboote mit Plattformen zu größeren Fahrzeugen zu verbinden. So nutzten die Menschen des Schwemmlandgebietes sie als schwimmende Brücken. Die Guffas hatten den großen Vorteil, daß sie bei Stromschnellen sehr sicher gegen das Kentern waren.

      Ein anderes Wasserfahrzeug in Mesopotamien war das Kelek, ein aus Assyrien stammendes Tierbalgfloß, das aus einer Anzahl aufgeblasener und zusammengenähter Häute und einem verbindenden, gerüstartigen Flechtwerk bestand. Die Assyrer bedienten sich dieser Flöße, die auch Burdjuks genannt wurden, zur Überquerung von Flüssen und zum Transport von Tieren und Waren.

      Die Schachnammeute hatte von jeher auf die Verwendung von Keleks verzichtet. Das Guffa war für sie das ideale Boot – flach, schnell und wendig. Die Kerle konnten wahrlich gut damit umgehen. Wie kundig sie waren, das bewiesen sie auch jetzt, in der Finsternis: wie Katzen glitten sie in die Guffas, griffen nach den Paddeln und stießen sich vom Ufer ab. Ihre Waffen waren Pfeil und Bogen, Schwert und Messer. Griffbereit lagen sie auf dem Strohboden der Boote.

      Ebel Schachnam hockte vorn in seinem Guffa, verschränkte die Arme vor der Brust und hielt nach allen Seiten Ausschau. Was er da erspähte, war herzlich wenig. Besser gesagt – nichts. In der tintenschwarzen Dunkelheit vermochte man kaum die eigene Hand vor Augen zu sehen.

      Eine Zeitlang trieben die Guffas den Tigris hinunter, unförmigen Tieren gleich. Anfangs fühlte sich Ebel von einer gewissen Euphorie gefangengenommen, dem Drang nach Taten. Aber dieser Eifer ließ sehr schnell wieder nach. Bald sank seine Laune erneut auf den absoluten Nullpunkt.

      Ebel Schachnam wollte den barschen Befehl zum Umkehren geben, denn es war keine mögliche Beute in Sicht oder in Hörweite – da drang plötzlich ein schwacher Laut an seine Ohren.

      „Hört ihr das?“ zischte er seinen Kerlen zu.

      „Ja“, raunte Güner zurück. „Da winselt was.“

      „Ein Hund?“ fragte Haschira, der Grinser.

      „Halt doch das Maul, du räudige Kröte“, erwiderte Ebel mit verzerrtem Gesicht. „Sonst stopfe ich es dir noch. Elender Hurenbock.“

      Haschira fragte sich im stillen, womit er all diese Verwünschungen und Beleidigungen wohl verdient hatte, und wie es wäre, wenn er jetzt dem Schweinehund von Ebel Schachnam einen Pfeil mitten in die Brust schießen würde.

      Aber der Ablauf der Ereignisse brachte ihn auf andere Gedanken. Da war wieder ein Laut – klagend, wimmernd, offenbar im Dickicht des südlichen Flußufers.

      „Wir sehen nach, was das ist“, sagte Ebel Schachnam. „Los, paddelt, ihr Faulpelze!“

      Die Kerle hielten mit den Guffas auf das Ufergestrüpp zu. Was immer da sein mochte, es erregte in ihnen gemischte Gefühle. Einerseits waren sie neugierig und versessen darauf, der Sache auf den Grund zu gehen. Andererseits fürchteten sie die Gespenster und Dämonen, die in Nächten wie diesen ihr Unwesen trieben und schon so manchen Mann das Fell über die Ohren gezogen hatten.

      Da konnte auch ein bärenstarker Kerl schnell außenbords gehen und im Tigris ersaufen, ohne daß man je wieder etwas von ihm sah. Wenn sich einem die Tangdämonen an die Beine hängten, versackte man blitzartig und erstickte unter Wasser.

      Diese und andere Erwägungen und düstere Ahnungen beschäftigten den Geist der Flußräuber, während sich die Guffas dem Dickicht näherten. Da waren sie wieder, die rätselhaften und unheimlichen Geräusche. Weinen und Wimmern, Schluchzen und Schnüffeln. Was, zur Hölle, hatte das zu bedeuten?

      War das wirklich ein Tier? Ein Hund? Kaum – Hunde trieben sich nur selten in dieser Gegend herum. Eher schon ein Fischotter. Aber warum sollte der solch seltsame Laute von sich geben?

      Fragen über Fragen, auf die es keine Antwort gab. Ebel Schachnams Guffa drängte sich zwischen die Schilf- und Bambushalme, aber die Ursache des Wimmerns war immer noch nicht zu erkennen, obwohl sie inzwischen in unmittelbarer Nähe des Rundbootes erklang.

      Der bärtige Anführer der Meute hatte einen glorreichen Einfall. Er ließ ein Talglicht entfachen. Die Flamme züngelte auf und flackerte im Wind, der über den Tigris strich. Doch das rötliche Licht erwies sich als ausreichend. Es tanzte wie ein Irrwisch über Wasser und Schilf – und plötzlich sahen die wüsten Kerle, was sie vor sich hatten.

      Ein Mensch war es, der da zwischen dicken und widerspenstigen Rohren festsaß und sich offenbar nicht mehr zu bewegen vermochte, weder vor noch zurück. Ebels Gesicht war eine Maske des Staunens. Sein Mund stand ziemlich weit offen.

      „Das gibt’s doch nicht“, murmelte er.

      „Das ist ja ein Weib“, sagte Haschira kichernd, obwohl er riskierte, wieder von seinem Häuptling geschlagen zu werden.

      „Du merkst aber auch alles“, zischte Güner.

      „Also ist es doch kein Hund“, brummte ein Kerl in dem nächsten Boot, das sich näherte.

      „Ein Weib“, sagte ein anderer Flußpirat gierig, „wäre ’ne ganz gute Beute für uns.“

      „Vorsicht“, warnte einer der älteren Kerle. „Das ist kein richtiges Weib. Das ist ein Dämon.“

      „Wie denn?“ begehrte Haschira auf. „In Fleisch und Blut?“

      „Eine Hexe“, sagte nun selbst Güner. Sonst gehörte der Kurde zu den sachlichen Kerlen, die von Mummenschanz, Spuk und Zauber nicht viel hielten. In dieser Nacht aber war auch ihm einiges nicht geheuer.

      Hatte man jemals ein Frauenzimmer im Röhricht angetroffen? Nein, es war das erstemal. Warum ausgerechnet heute nacht? Ging das mit rechten Dingen zu?

      „Wie kommt die da rein, ins Dickicht?“ wollte einer der Galgenstricke, wissen.

      „Sie steckt in einem Wasserloch fest“, erwiderte Ebel Schachnam.

      In der Tat war es die Erklärung. Überall im Ufergestrüpp und in den angrenzenden Sümpfen des Schwemmlandes gab es diese Wasserlöcher. Es handelte sich um Vertiefungen in dem sonst flachen, manchmal nur knöcheltiefen Wasser.

      Wer durch die Sümpfe irrte und sich nicht auskannte, der konnte sehr leicht in ein solches Loch tappen und darin steckenbleiben. Der Grund bestand aus tückischem Morast, der einen langsam, aber beständig nach unten zog.

      Also doch – hier schienen die Dämonen am Werk zu sein.

      Die sonst so kaltblütigen, brutalen Kerle stöhnten unwillkürlich auf. Entweder war das fremde Weib selbst ein Geist oder ein Dämon, oder aber die Gespenster der Nacht hatten sie gepackt. Man durfte sie nicht anfassen, sonst war man selbst verloren.

      „Weiter!“ befahl jedoch Ebel Schachnam, den die Schrecken und Mächte der Finsternis einen Dreck kümmerten.

      Es blieb den Kerlen nichts anderes übrig – sie mußten das Guffa weiter

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