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„Fidelity“, die immer noch wie festgebacken auf der Sandbank lag, befand sich damit in den Händen der Piraten. Um die Verwundeten an Deck kümmerte sich kein Mensch. Auch den ins Wasser gesprungenen Engländern feuerten sie nicht mehr hinterher. Zuerst sollte einmal die Beute in Augenschein genommen werden.

      George Baxter war von dem letzten Hieb bewußtlos geworden, aber er war nicht verletzt, und die Berührung mit dem eiskalten Wasser brachte ihn augenblicklich wieder zu sich.

      Sein Gesicht schmerzte und brannte, doch das beachtete der Profos nicht, denn er hatte nicht das erste Mal in seinem Leben Prügel bezogen. Jedenfalls war er nicht verwundet.

      Er sah auch, daß die anderen Kerle voller Angst und Panik über Bord sprangen. Er konnte es ihnen nicht verübeln. Die drei oder vier Männer, die sich jetzt zum Ufer durchschlugen, waren noch nie große Lichter gewesen. An Bord hätten die Piraten ihnen ohnehin den Garaus bereitet. Verständlich also, daß sie abhauten.

      Er schwamm weiter, und während er schwamm, dachte er schon wieder darüber nach, wie er Yves Grammont doch noch überlisten konnte. Verdammt, es mußte doch eine Möglichkeit geben!

      2.

      Auf dem Achterdeck der „Hornet“, die unter dem Kommando Philip Hasard Killigrews stand, hielten sich noch mehr Männer auf, die gespannt der fliehenden „Louise II“ nachblickten.

      Der Wikinger Thorfin Njal, der Franzose Jean Ribault, Ben Brighton und Dan O’Flynn. Im Kielwasser, nach Steuerbord versetzt, folgte der Schwarze Segler, „Eiliger Drache über den Wassern“. Das Schiff war schwarz, der Rumpf war schwarz, die Masten waren schwarz und selbst die Segel waren so stark geloht, daß sie fast schwarz wirkten. Zur Zeit stand der Schwarze Segler unter dem Kommando des Wikingers Arne, bei dem Thorfin Njal sein Schiff in guten Händen wußte. Dennoch konnte er es nicht vermeiden, immer wieder einen besorgten Blick achteraus zu werfen. Er achtete auf die Stellung der Segel, fand alles ganz in Ordnung und hatte nichts zu bemängeln. Und weil er nichts zu bemängeln hatte, kratzte er wieder einmal seinen Schädel.

      Dieses Schädelkratzen löste bei dem Profos Edwin Carberry jedesmal fast eine kleine Hysterie aus, denn, verdammt noch mal, ein Mensch konnte sich doch nicht den Schädel kratzen, wenn er auf diesem Schädel einen blankpolierten Kupferhelm trug. Infolgedessen kratzte der Wikinger also nur seinen Helm, und diese Marotte fanden alle höchst ungewöhnlich.

      „Das treibt mich noch mal zum Wahnsinn“, sagte Ed zu dem Decksältesten Smoky. „Thorfin ist ja ein verdammt feiner und verläßlicher Kerl, wenn er nur nicht immer an seinem verfluchten Helm kratzen würde.“

      „Laß ihn doch“, meinte Smoky, „warum regst du dich überhaupt darüber auf? Wenn du dir deinen Rücken kratzt, ziehst du ja auch nicht extra das Hemd aus.“

      „Ha! Was verstehst du abgebrochener Trompetenfisch denn davon, was, wie? Durch das Hemd spüre ich das Kratzen, aber durch seinen verdammten Helm kann er es nicht merken.“

      „Vielleicht gibt er den unter dem Helm brütenden nordischen Riesenläusen auch nur Klopfzeichen“, meinte Smoky grinsend.

      Carberry ging kopfschüttelnd weiter über die Kuhl zum Achterdeck und blickte fasziniert und verärgert zugleich auf den in Felle gekleideten nordischen Riesenkerl, dessen massiger Zeigefinger immer noch andächtig eine Stelle des Kupferhelms kratzte.

      Empört stieß der Profos die Luft aus, bis das Kratzen endlich aufhörte und der Wikinger ihn etwas irritiert anblickte.

      „Ist was?“ fragte er ruhig.

      Carberry stand an den unteren Stufen des Niedergangs und schüttelte den Kopf.

      „Bei mir ist alles in Ordnung“, sagte er. „Aber weshalb zeigst du dir selbst immer einen Vogel?“

      Thorfin Njal verstand ihn nicht, aber diese Frage wurde jetzt auch nicht weiter erörtert, denn Hasard gab ein Zeichen nach unten und rief gleichzeitig dem Rudergänger Pete Ballie etwas zu.

      „Kursänderung, nachtrimmen!“ sagte er. „Al Conroy soll versuchen, dem Franzosen noch ein paar Schüsse ins Heck zu knallen.“

      Während der Profos wieder auf Station ging, griff der Seewolf nach dem Spektiv und zog es weiter auseinander. Neben ihm stand Jean Ribault, der ebenfalls gebannt zu dem flüchtenden Franzosenschiff blickte.

      Mit Vollzeug liefen sie jetzt hinter dem Franzosen her und waren noch schnell genug, obwohl der „Hornet“ der Fockmast fehlte und an seiner Stelle nur ein zerfetztes Etwas aus dem Deck ragte.

      Hasard suchte den Piratenführer Yves Grammont auf dem Achterdeck der „Louise II“, aber er konnte ihn nicht entdecken. Er nahm immer noch an, daß sich Grammont an Bord befände, doch das war ein Irrtum, dem sie alle erlegen waren.

      „Du hast ihn immer noch nicht entdeckt?“ fragte Jean Ribault.

      „Nein, und das verstehe ich nicht. Er ist jedenfalls an Deck nicht zu sehen.“

      „Vielleicht ist er verletzt und hält sich unter Deck auf.“

      „Möglich“, meinte Hasard, aber er zweifelte daran.

      Der Wind briste jetzt noch stärker auf und blies mit gewaltiger Kraft zum Land hin. Wenn sie nicht aufpaßten, gerieten sie mit der „Hornet“ und dem Schwarzen Segler bei der Verfolgung auf Legerwall, das heißt, der Wind würde sie auf die Küste drücken.

      Thorfin Njal drehte sich wieder um. Wie ein Monument aus grauer Vorzeit stand er da, und hielt nach seinem „Schiffchen“ Ausschau, ob es auch die erforderlichen Manöver unternahm, damit sie diesen Piratenhund endlich in die Zange nehmen konnten.

      „Aha, auf meinem Schiffchen hat man begriffen“, sagte er mit seiner tiefen Stimme erleichtert.

      Thorfin liebte Verniedlichungen dieser Art. „Eiliger Drache“ war sein „Schiffchen“, obwohl es ein mächtiger und fast unzerstörbarer Kasten war. Er trug auch ein yardlanges Schwert im Gürtel, fast dreißig Pfund schwer, das er liebevoll sein „Messerchen“ nannte. Und auf seinem Schiff gab es ein monströses Riesengebilde aus Hartholz, in dem gut und gern drei Männer Platz gehabt hätten. Dieses hölzerne, fest im Deck verbolzte Ungeheuer war sein „Sesselchen“, in dem er bei rauhester See wie ein prähistorischer Riese thronte und seine Befehle gab.

      „Wir geraten auf Legerwall“, sagte Ben Brighton warnend. „Der Wind wird uns gegen die Küste von Pointe de Penmarch drücken – und den Schwarzen Segler auch.“

      Der Erste Offizier, Bootsmann und Stellvertreter Hasards war immer ein vorsichtiger Mann, der alles abwog und kalkulierte, ehe er handelte, und so glaubte er, es sei besser, wenn sie etwas mehr anluvten um weiter Höhe zu kneifen. Dabei zog er in Betracht, daß sich die „Hornet“ ohne Fockmast schlechter segeln ließ.

      Hasards Gesicht blieb leicht verkniffen. Seine Augen waren jetzt, als er das Spektiv absetzte, schmale Schlitze.

      „Wir schaffen es“, meinte er zuversichtlich. „Ich muß diesen Bastard Grammont kriegen, das haben wir uns alle geschworen. Und wenn ich ihn habe, dann ist er erledigt.“

      Hasard trat weiter vor zur Schmuckbalustrade und sah den Waffen- und Stückmeister Al Conroy an, der vage mit den Schultern zuckte, was so viel hieß, daß es für einen Treffer noch nicht der richtige Zeitpunkt war.

      „Wir jagen ihn noch weiter nach Backbord“, sagte Hasard. „Laß trotzdem ein paar Kanonen abfeuern, Al. Das wird den Kerl zumindest auch weiterhin nerven.“

      „Aye, Sir, sofort.“

      Thorfin Njal war neben den Seewolf getreten. Mit der Hand fuhr er durch seinen rötlichgrauen Bart und genoß sichtlich das überkommende Seewasser, das bis aufs Achterdeck gischtete.

      „Gib Arne ein Zeichen, Thorfin, daß er uns an Steuerbord aufsegelt und dem Kerl den Weg nach vorn zur Küste abschneidet. Wenn das gelingt, dann haben wir ihn in der Zange. Dann kann er nur noch mit vollem Preß auf die Sandbänke segeln. Ihr habt doch eine ganze Menge Zeichen vereinbart.“

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