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sie aufwachen.“

      Sie schritten durch die Calle Ayacucho, die nach Osten verlief. Pater Aloysius deutete nach links voraus.

      „Dort vorn siehst du die Moneda, Bruder, die Münze“, sagte er. „Dorthin wird das Silber aus dem Berg transportiert und zu Münzen geschlagen oder in Barren gegossen. Schau sie dir genau an, diese Silberwerkstatt. Von dort nimmt alles seinen Lauf – bis hinüber nach Spanien in die Alte Welt, in der dieses Silber seine mächtige und verderbliche Rolle spielt.“

      Sie waren stehengeblieben, und Hasard schaute in die Richtung, in die Pater Aloysius gewiesen hatte. Auf Anhieb wirkte das Gebäude der Münze düster und drohend und so ganz anders als die benachbarten Bauten. Wie eine Festung, dachte Hasard.

      Ein riesiger Torbogen bildete den Zugang ins Innere – einen Innenhof von der Größe einer kleinen Plaza, in deren Mitte ein fast orientalischer Brunnen aufragte. Das schmiedeeiserne Gitter in dem Torbogen war geöffnet. Links und rechts des Gitters stand je ein Posten. Ja, dieses Heiligtum wurde bewacht, wenn auch nur von zwei Soldaten.

      Es tat sich etwas, denn die beiden Soldaten hatten das Kreuz durchgereckt und waren zu Standbildern erstarrt. Die Leute rechts der Straße hingegen begannen, sich wie Marionetten zu verbeugen.

      Rechts? Was war denn da?

      „Die Plaza“, raunte Pater Aloysius. „Dort befindet sich auch das Rathaus.“

      Sie gingen ein Stück weiter in Richtung der Münze. Dann blieben sie wieder stehen – jetzt ebenfalls Marionetten in einem unbekannten Spiel, in welchem sich die so vornehm und aufwendig gekleideten Spanier – auch die Damen – plötzlich tief verneigten, als wehe der Mantel des Herrn an ihnen vorbei.

      Von der Plaza wurde eine Sänfte zur Münze getragen – von sechs Indios, die an diese Sänfte gekettet waren wie Pferde oder Maultiere an eine Kutsche. Es war eine prächtige Sänfte, vergoldet, verziert, funkelnd, spiegelnd. Prächtig waren auch die Soldaten, die diese Sänfte eskortierten – wippende Federbüsche zierten ihre Eisenhelme. Oder waren die gar aus Silber?

      Gar nicht prächtig sah der Mensch aus, den man durch die blitzenden Fenster im Inneren der Sänfte erkennen konnte. Er blickte starr vor sich hin und nahm keine Notiz von den ehrenwerten Señores, Señoras und Señoritas, die ihm mit Verbeugungen, Knicksen und Kopfneigen tiefsten Respekt bekundeten.

      „Don Ramón de Cubillo, der Provinzgouverneur“, flüsterte Pater Aloysius und fügte respektlos und fast etwas lauter hinzu: „Das größte Arschloch südlich von Lima!“

      Hasard zuckte direkt zusammen. Dieser Pater war immer so geradeheraus. Aber es stimmte, auch wenn Hasard diesen Menschen anders beschreiben würde.

      Ein fetter Kerl mit einem Froschgesicht saß in der Sänfte. Und mit diesem Froschgesicht stierte er trüb und grämlich vor sich hin, das breite Froschmaul nach unten gebogen, als sei die Jagd nach dicken Fliegen und Brummern ergebnislos gewesen. Auf seiner Stirn perlte sogar Schweiß.

      Hatte er Sorgen, der Ärmste? Ein dürrer, aber dennoch sehr fein herausgeputzter Teniente stelzte hinter der Sänfte her wie ein unterernährter Gockel hinter dem Rest seiner ansonsten davongelaufenen Hennen. Er meinte wohl, etwas für den Frosch in der Sänfte tun zu müssen.

      Er reckte den dünnen Hals und krähte: „Es lebe der Gouverneur!“

      Deswegen liefen die sechs Indios auch nicht schneller. Die soldatische Eskorte hingegen, die Señores, Señoras und Señoritas wiederholten den Gockelruf, aber Hasard hatte den Eindruck, daß die Stimmen der Señores keineswegs schmetternde Trompeten waren – und den Damen hüpfte auch kein Busen aus der Garnitur, als sie ihren Gouverneur „leben“ ließen.

      Sehr müde war das alles.

      Und sehr müde, wenn auch jovial, winkte Don Ramón nach links und nach rechts. Seine Patschhand war mit funkelnden Ringen besteckt. Vielleicht war deren Gewicht zu schwer, um freudig zu winken. Aber da saß kein Schwung dahinter, nicht ums Verrecken. Und er starrte auch weiter aus Froschaugen trübe vor sich hin.

      Der Teniente blieb ruckartig stehen – vor Pater Aloysius.

      „Ich habe gesehen“, schnarrte er, „daß Sie dem verehrten Gouverneur nicht gehuldigt haben!“

      Pater Aloysius lächelte den Teniente milde an und sagte: „Ich huldige dem Herrn, Bruder Teniente, und unseren verehrten Gouverneur schließe ich in mein Gebet ein, das da lautet: Gebet, so wird euch vergeben! Und der Bruder Lukas, der dies sagte, fügte hinzu: Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, da ihr mit messet, wird man euch wieder messen.“

      „Äh!“ sagte der Teniente und noch einmal: „Ah!“ Er konnte mit dem, was der Bruder Lukas verkündet hatte, wohl nicht viel anfangen. Dafür musterte er jetzt Hasard, zog die Augenbrauen hoch und schnarrte: „Und wer sind Sie?“

      „Ein Pilger, Señor Teniente“, sagte Hasard freundlich. „Der Pater und ich befinden sich auf dem Weg nach Jerusalem.“

      „Was – was? Wie?“ Der Gockel hatte Schluckbeschwerden und ruckte mit dem Kopf, als picke er nach einem Wurm. „Jerusalem? Das liegt doch woanders – äh – in Palästina!“

      „Wir haben, um den Herrn zu erfreuen, den weitesten Weg genommen“, erläuterte Pater Aloysius.

      „Verrückt!“ schnappte der Teniente, zuckte herum und stelzte mit eiligen Schritten hinter der Sänfte her.

      Hasard und der Pater wechselten einen schnellen Blick und hatten Mühe, nicht ein donnerndes Gelächter anzustimmen. Aber das wäre fehl am Platze gewesen.

      Die Sänfte verschwand im Innenhof der Münze. Die beiden Standsoldaten erwachten wieder zum Leben und verschlossen das schmiedeeiserne Tor.

      „Der Bastard ist zu vollgefressen und zu faul, vom Rathaus zur Münze zu Fuß zu gehen“, sagte Pater Aloysius. Dann zog ein Grinsen über sein scharfkantiges Gesicht. „Hast du seine grämliche Miene gesehen, Bruder Hasard? Sie stimmt mich heiter. Ihn zwicken und zwacken die Sorgen, das ist es. Denn es hapert mit dem Nachschub für die Mine – keine Arbeitskräfte, kein Silber. So einfach ist das. Und er muß befürchten, daß ihm der Vizekönig in Lima aufs Dach steigt, wenn die Silberlieferungen immer spärlicher werden.“

      Hasard nickte. Ein noch vager Plan ging ihm durch den Kopf.

      Sie überquerten die Calle Lanza, die nach Süden auf den Silberberg zuführte, und stießen auf die Plaza, wo zur Zeit ein Markt abgehalten wurde. Nördlich der Plaza ragte die Kathedrale auf, ein imposanter Bau, der die anderen Prachtbauten noch in den Schatten stellte. Ja, natürlich, auch die Kirche hatte Geld und konnte es mit vollen Händen ausgeben.

      Pater Aloysius steuerte auf die Kathedrale zu.

      „Nanu!“ sagte Hasard etwas verwundert. „Willst du Zwiesprache mit dem Herrn halten, Bruder?“

      Der Pater lächelte. „Das nicht – und dazu ist mir das Gotteshaus dort zu pompös. Nein, wir werden Pater Augustin aufsuchen, einen Bruder meines Ordens. Er hat das Ohr am Puls der Stadt. Im übrigen ist er ein erbitterter Gegner der ‚Encomienda‘. Du weißt, was das ist?“

      „Nur ungefähr.“

      Pater Aloysius sagte: „Es ist ein System, das den Spaniern in der Neuen Welt aufgrund eines königlichen Dekrets das Recht verleiht, Indianer als Zwangsarbeiter zu rekrutieren, ohne daß diese für ihre Arbeitsleistungen entlohnt zu werden brauchen. Praktisch hat das zur Ausbeutung der Indianer geführt – und zu ihrer Ausrottung.“

      „Und was tut dieser Pater Augustin gegen das System?“ fragte Hasard.

      Pater Aloysius seufzte. „Er kann nicht viel tun. Er hat Kontakte zu den Indios im Berg – frag mich nicht, auf welche Weise. Ich weiß es nicht, und es ist auch gefährlich, etwas zu wissen. Aber er schmuggelt heimlich Lebensmittel in den Berg und hat ein paarmal flüchtige Indios verstecken können, die ausgebrochen waren. Er versucht, die Situation der Ärmsten im Berg zu verbessern. Nun, es ist ein Tropfen auf den heißen

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