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Durst. Ich kann nicht mehr.“ Wieder verfiel er in die schluchzenden, klagenden Laute, die schon vorher zu vernehmen gewesen waren.

      „Hör auf“, sagte Osvaldo. Die ganze Sache war ihm peinlich. Er wußte nicht recht, was er tun sollte. Eins aber war sicher. Mario konnte in dem Verschlag nicht bleiben. „Wir lassen dich jetzt raus. Aber eines mußt du mir versprechen – daß du nicht kratzt und nicht beißt.“

      „Ich doch nicht“, sagte der Junge.

      Osvaldo und El Sordo begannen an dem Schloß des Verschlages zu hantieren. Schließlich brachen sie es auf, und die Tür schwang auf. Mario, ein völlig verdrecktes Wesen mit langen dunklen Haaren und zerfetzter Kleidung, kroch heraus.

      El Sordo rümpfte die Nase.

      Osvaldo sagte: „Was du als erstes brauchst, mein Freund, ist ein Bad. Du riechst ein bißchen strenge.“

      „Kann ich nicht erst was zu essen und zu trinken haben?“ fragte der Junge verzweifelt. Die Tränen standen ihm in den Augen.

      Osvaldo kratzte sich am Hinterkopf. „Ach ja, richtig, das hätte ich fast vergessen. Du mußt halb verhungert und verdurstet sein.“

      „Wasser hatte ich bis gestern noch“, erklärte Mario. „Sonst wäre ich schon tot.“

      Kopfschüttelnd begleiteten die beiden Männer den Jungen nach oben. In der Küche bewirteten sie ihn mit dem geklauten Proviant und gaben ihm Wasser zu trinken. Einen kleinen Schluck Wein erhielt der Junge auch, aber nicht zuviel, damit er nicht aus dem Häuschen geriet.

      Mario war ein hübscher Junge mit großen dunklen Augen, wie man trotz des Schmutzes in seinem Gesicht erkennen konnte. Neugierig musterte er seine Retter.

      Schließlich fragte er: „Ihr seid Diebe, was?“

      Osvaldo und El Sordo tauschten einen Blick. Der Taubstumme hatte dem Jungen die Worte von den Lippen abgelesen. Er tippte mit dem Finger gegen seine Stirn.

      „Sehen wir so aus?“ fragte Osvaldo.

      „Ja.“

      „Ach“, sagte Osvaldo. „Wir sind zufällig hier vorbeigekommen. Es war kein Mensch zu sehen, da haben wir gedacht, wir sehen mal nach, ob es was zu knabbern gibt. Wir haben nämlich auch Hunger, verstehst du?“

      „Von mir braucht ihr nichts zu befürchten“, entgegnete Mario. „Ich verpfeife euch nicht. Hab’ ja gar keinen Grund dazu. Ihr habt mir das Leben gerettet. Ich habe mich noch gar nicht richtig dafür bedankt.“

      „Schon gut“, sagte Osvaldo. „Das ist nicht der Rede wert.“

      „Dein Freund spricht wohl nicht?“ sagte Mario.

      „Er ist taubstumm.“

      El Sordo grinste. Er deutete auf seine Ohren, berührte mit den Fingern seine Lippen und schüttelte den Kopf. Dann kicherte er.

      „Armer Teufel“, sagte der Junge.

      Osvaldo hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Er hat sich daran gewöhnt.“ Aufmerksam betrachtete er den Jungen. „Sag mal, wieso hat man dich eigentlich hier zurückgelassen? Warum haben die Leute, die hier gewohnt haben, dich nicht mitgenommen, als sie getürmt sind?“

      „Sie haben mich vergessen“, erwiderte Mario.

      „Was? Das gibt’s doch nicht!“ stieß Osvaldo betroffen und erbost zugleich aus.

      „Möglich ist alles“, sagte der Junge.

      „Du gehörst nicht zur Familie?“ fragte Osvaldo. Nachdenklich kratzte er sich an seinem unrasierten Kinn. Hier stimmt doch was nicht, dachte er mißtrauisch.

      „Seh’ ich so aus?“ fragte der Junge zurück.

      El Sordo ließ einen grunzenden Laut vernehmen. Er füllte seinen Becher mit Wein, trank und blickte den Jungen über den Becherrand an. Auch hinter seiner Stirn schien es zu arbeiten. Seine Augenbrauen waren grüblerisch zusammengezogen.

      „Hör mal zu, Mario“, sagte Osvaldo geduldig. „Ich habe keine große Lust, hier das große Rätselraten zu veranstalten. Wie wär’s, wenn du uns reinen Wein einschenkst? Ich finde, das haben wir verdient, nicht wahr?“

      Mario senkte den Blick auf die Tischplatte. „Klar. Da hast du recht.“

      „Übrigens, ich heiße Osvaldo, und das ist mein Kumpel El Sordo.“

      „Es freut mich, euch kennenzulernen“, sagte der Junge. „Also, ich gehörte zu den Dienstboten. Ich bin – ich war sozusagen das Mädchen … äh, ich meine, der Junge für alles.“

      „Aha“, sagte Osvaldo. El Sordo hatte nicht alles verstanden, deshalb setzte er ihm rasch die Äußerungen des Jungen auseinander. El Sordo nickte wieder, brummelte etwas und griff zum Becher.

      „Soweit kann ich dir folgen“, sagte Osvaldo. „Aber sperrt der Hausherr seine Dienerschaft immer in den Keller? Oder hattest du was ausgefressen?“

      „Was ausgefressen“, antwortete Mario.

      „Soso“, brummte Osvaldo. „Na, uns geht es ja nichts an.“

      „Ich habe nicht genug zu essen bekommen“, erklärte der Junge. „Da habe ich mich nachts in die Speisekammer geschlichen und mir Brot und Wurst geholt. Der Hausherr hat mich ertappt. Er hat mich mit der Peitsche geschlagen und dann in den Kellerraum gepfercht. Als die große Panik ausbrach und alle Leute in die Residenz flohen, hat man mich unten vergessen.“

      Osvaldo hatte nachdenklich die Unterlippe vorgeschoben.

      „Oder dein Hausherr hat dich absichtlich vergessen“, sagte er. „Damit du elendig verreckst.“

      Marios Stimme wurde wieder ein bißchen weinerlich. „Warum sollte er das tun?“

      „Das frag’ ich dich“, erwiderte Osvaldo. „Im übrigen scheint dein Herr, dieser Don Felipe, ja ein schöner Geizhals zu sein. Läßt seine Diener hungern. Na, so was.“

      „Du kennst Don Felipe?“ erkundigte sich der Junge.

      „Nur vom Sehen“, entgegnete der Dieb. „Und ich habe gehört, daß er ziemlich viel Geld haben soll.“

      „Das stimmt.“

      „Vielleicht hat Don Felipe dich deshalb nicht mitgenommen, weil er nicht will, daß du herumerzählst, wie schlecht er seine Leute behandelt“, sagte Osvaldo.

      Mario schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte. „Womit habe ich das alles verdient? Was habe ich bloß getan? O Gott, so schlecht kann doch kein Mensch sein!“

      El Sordo sah zu Osvaldo, legte den Kopf etwas schief und stieß dumpfe, zweifelnde Laute aus. Osvaldo kratzte sich am Kopf. Dann faßte er einen Beschluß. Er stand auf und sagte: „Nun nimm dir das man nicht zu Herzen. Es wird schon alles wieder gut. Wir setzen jetzt einen großen Kessel mit Wasser auf und machen Feuer im Herd. Dann badest du ordentlich, und wir schrubben dich ab. Danach sieht die Welt schon wieder besser aus. Na, wie findest du das?“

      Mario blickte die beiden entgeistert an. „Ich – ich bade lieber allein.“

      „Stell dich nicht so an“, sagte Osvaldo. „Wir sind ja schließlich unter Männern.“

      Es zuckte um Marios Mundwinkel. Plötzlich brach er wieder in Tränen aus. Die ganze Welt schien nur noch ein Jammertal für ihn zu sein. El Sordo hingegen begriff überhaupt nichts mehr. Er sah wieder seinen Kumpan an und tippte mit dem Finger heftig gegen seine Stirn.

      Osvaldo antwortete mit ein paar raschen Zeichen. Sie bedeuteten soviel wie: Hier ist was oberfaul.

      Alonzo de Escobedo betrat die Hafenkaschemme des Gonzalo Bastida und schaute sich um. Überall, an den Tischen und in den Nischen, in Ecken und Winkeln, lungerten die Kerle. Da waren Cuchillo, Gayo, Rioja und Sancho, die Leibwächter. Hier und dort erkannte de Escobedo „Soldados“. Die Kerle würfelten und becherten, und einige vergnügten sich auf

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