Скачать книгу

Morro zu den wenigen zählte, die sich durch ein wenig Grips von den anderen abhoben. Man durfte ihn und den Bootsmann also auch nicht unterschätzen.

      „Sicher haben wir einen Vorschlag“, sagte Morro mit kaltem Grinsen. „Das mit dem Floß läßt sich nur dann durchführen, wenn es Feuerschutz erhält. Nur dann kann man einigermaßen sicher landen. Und den Feuerschutz können natürlich nur die Kanonen übernehmen.“

      „Verdammter Idiot!“ brüllte Acosta. „Merkst du denn nicht selber, was für einen Unsinn du da verzapfst? Hast du vergessen, was passiert ist?“

      „Das haben wir keineswegs vergessen“, sagte Morro mit drohendem Unterton. „Dabei wurde nämlich auf völlig sinnlose Weise ebenfalls einer von uns geopfert. Du hättest wissen müssen, daß die Bronzerohre unserer Kartonen nicht dafür taugen, eine erhöhte Pulvermenge zu verkraften. Zwei Leute wurden außerdem verletzt.“

      „Eben drum!“ schrie der Schwarzbärtige. „Ich denke doch nicht daran, so etwas zu wiederholen. Den Vorschlag dieses Idioten kann man doch nicht ernst nehmen!“

      Vergeblich suchte er in der Runde Zustimmung.

      Morro betastete wie zufällig den Griff seiner Pistole und fixierte Acosta voller Hohn.

      „Der Idiot bist du“, sagte der Dürre mit höhnischer Stimme. „Statt die Pulverladung zu erhöhen, gibt es nämlich auch noch die Möglichkeit, die Schußweite zu verringern. Und zwar dadurch, daß man die ‚San Jacinto‘ näher ans Ufer legt.“

      „Wir liegen schon nahe genug an den Riffs“, entgegnete Acosta lahm und spürte selbst, wie wenig Gewicht sein Argument hatte.

      Morro zerstreute es mit wenigen Worten.

      „Selbst in den schlimmsten Riffzonen gibt es für eine Galeone meist noch Möglichkeiten, näher an Land zu verholen. Und zwar dadurch, daß man durch Lotungen feststellt, wo das Wasser tief genug ist.“

      Julio Acosta preßte die Lippen aufeinander, daß sie einen blutleeren Strich bildeten. Er wußte nicht mehr, was er entgegnen sollte, und das war ihm bislang höchst selten passiert.

      Was, zum Teufel, sollte er sich jetzt einfallen lassen, um den Kerlen zu verklaren, daß noch immer er es war, der den Ton angab?

      Ihm fiel nichts ein, buchstäblich nichts.

      Unter dem Strich blieb nichts als das Niederschmetternde an der ganzen Geschichte: Auf die im Grunde praktikable Idee hätte er selbst auch kommen müssen. Er hatte diese Idee aber nicht gehabt und mußte sich demzufolge vor versammelter Mannschaft von einem einfachen Decksmann belehren lassen.

      Und es brachte das Blut in seinen Adern zum Kochen, das überhebliche Grinsen des Dürren ansehen zu müssen.

      „Also gut“, sagte Morro schließlich und nickte zufrieden. „Damit wäre dann alles geklärt. Wir verfahren so, wie ich vorgeschlagen habe. Unser Kapitän hat keine Einwände erhoben.“

      Beifallsgebrüll setzte ein. Es fehlte nicht viel, so stellte Acosta zähneknirschend fest, und sie hoben den Dürren auch noch begeistert in die Luft.

      „Wenn die Idee schlecht wäre, hätte ich es schon gesagt!“ schrie Acosta. „Außerdem hatte ich selbst natürlich schon vorher daran gedacht. Wollte nur die Galeone nicht zu sehr gefährden.“ Seine Stimme ging im Gebrüll unter, und es achtete ohnehin niemand auf ihn.

      „Dann mal los, Freunde!“ rief Morro und reckte die Faust hoch. „An die Arbeit! Habt ihr vergessen, daß da drüben auf der Insel ein Goldschatz auf uns wartet?“

      Wieder johlten sie, und voller Begeisterung folgten sie dem Dürren zur vorderen Grätingsluke. Den Schwarzbärtigen, der für sich beanspruchte, ihr Kapitän zu sein, ließen sie einfach stehen. Nur Sabado zögerte, sich von seiner Taurolle zu erheben. Er schnatterte wieder vor Kälte, und seine Furcht, daß Acosta seine Wut an ihm auslassen würde, wenn er vorbeizuschleichen versuchte, rührte schließlich aus schlechten Erfahrungen her.

      Doch Prado, der Bootsmann, behielt trotz allen Trubels den Überblick.

      „He, Sabado!“ rief er, indem er sich im Pulk der anderen umdrehte. „Auf was wartest du noch? Schwenk deine müden Knochen! Zieh dir was Trockenes an und dann an die Arbeit! Wir brauchen jede Hand.“

      „Jawohl, Señor!“ erwiderte Sabado grinsend, sprang auf und flitzte los wie eine Ratte, der man auf den Schwanz getreten hat.

      Julio Acosta stand da und ließ die Arme hängen. Er fühlte sich so erschlafft und kraftlos wie einer, der zwölf Stunden in einer Silbermine geschuftet hat. Und er fühlte sich so einsam wie nie zuvor in seinem Leben.

      Nicht beachtet zu werden, so fand er in diesem Moment heraus, war schlimmer, als Meuterer in den Griff zu kriegen. Er empfand grenzenlose Hilflosigkeit, während er beobachtete, wie sie mit Feuereifer schufteten. Die Aussicht auf den Goldsegen entfesselte ihre Gier, und die Gier spornte sie zu enormer Leistungskraft an.

      Morro und Prado gaben die Anweisungen. Als erstes wurden jene Rundhölzer aus den Laderäumen geholt, die sich für den Fall eines Mastbruches stets als Reserve an Bord befanden. Insgesamt acht Hölzer von durchschnittlich einem Fuß Durchmesser wurden an Deck geschleppt. Die Kerle richteten sie auf den Planken neben der Steuerbordverschanzung aus, bildeten dann im Handumdrehen eine Kette bis hinunter in den Schiffsbauch und holten auf diese Weise in Windeseile ein Dutzend Spieren als Verstrebungen herauf.

      Danach wurde das benötigte Werkzeug an Deck geschafft. Sabado erschien in trockener Kleidung. Morro suchte sich die Leute aus, die unter seiner Anleitung mit Hämmern und geschmiedeten Nägeln zu Werke gingen. Prado kümmerte sich mit dem Rest der Leute um Verzurrungen und das Absägen überschüssiger Enden.

      Julio Acosta stand immer noch am selben Fleck und verglich sich mit den Spierenenden, die über das entstehende Floß hinausragten und von den scharfen Sägezähnen einfach weggewischt wurden. Er war nicht nur einsam und hilflos, er war auch völlig überflüssig. Er ließ sich von einer Welle des Selbstmitleids überrollen und war drauf und dran, sich in seine Kammer zurückzuziehen, um seinen Kummer in einer Flasche Rotwein zu ertränken.

      Doch dann siegte der Rest von Stolz, den er noch in sich hatte. So durften sie nicht ungestraft mit ihm umgehen – so nicht! Den Lohn für ihre Unverschämtheit würden sie eines Tages noch empfangen. Im Augenblick war es geboten, diplomatisch vorzugehen, um nicht zu riskieren, kurzerhand über den Haufen geknallt zu werden.

      Er brauchte Minuten, um mit seinem aufwallendem Zorn fertig zuwerden. Er hatte ihnen alles ermöglicht, diesen Hurensöhnen! Wenn sie jetzt so kurz vor dem Ziel standen, dann hatten sie es nur einem zu verdanken – ihm. Als sie mit den Booten der „Viento Este“ mit Kurs auf Floridas Ostküste gesegelt waren, hatte er die Dinge in die Hand genommen und die weitere Marschroute festgelegt. Seine Idee war es gewesen, Capitán Juan de Molina und die restlichen Kerle in den beiden anderen Booten zu beseitigen.

      Jawohl, dachte Acosta und straffte seine Haltung, ohne mich hättet ihr Bastarde das alles nicht geschafft. Ihr wärt nicht einmal auf die Idee verfallen. Und dann, in St. Augustine, hatten sein sicheres Auftreten und sein guter Eindruck letzten Endes bewirkt, daß sie die Heuer auf der „San Jacinto“ erhielten. Dieses Schlitzohr von einem Kapitän, Andrés de Llebre, hatte er, Acosta, außer Gefecht gesetzt. Desgleichen den Bootsmann, Pedro Rovira. Verdammt, ja, diese Mistkerle, die da wie besessen an ihrem Floß herumhämmerten und sägten, hatten ihm eigentlich alles zu verdanken …

      Rangmäßig hatte es ihm zugestanden, sich beim Vorrücken auf die Insel ein wenig zurückzuhalten. Er konnte seinen wertvollen Körper nicht ständig in vorderster Linie dem Kugelhagel und tödlichen Klingen aussetzen. Nein, sie brauchten seine Führungskraft, diese Narren. Das hatten sie offenbar völlig vergessen.

      Acosta beschloß, seinen Führungsanspruch wieder zu untermauern. Sicheres Auftreten war dazu eine unabdingbare – und die beste – Voraussetzung. Er gab sich einen Ruck und stelzte auf die Schuftenden zu, die Hände gravitätisch auf den Rücken gelegt.

      Er umrundete den Schauplatz hektischer Arbeit, enterte über den Niedergang

Скачать книгу