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      „Mannmann!“ rief Dan O’Flynn. „Du hast also vor, hinzusegeln und den Schatz zu heben? Daß ich nicht eher darauf gekommen bin!“

      Hasard zog etwas aus der Tasche hervor: die Schweinsledermappe. Er rollte demonstrativ die Küstenkarte auf. Seine Männer begannen zu jubeln. Die Stimmung an Bord war vollends wiederhergestellt. Die Aussicht auf neue Beute brachte die Crew wieder ordentlich in Schwung.

      „Das wird eine glatte Sache“ sagte Jeff Bowie. „Wir segeln in aller Ruhe dorthin, suchen den Schatz, reißen ihn uns unter den Nagel und hauen ab, ohne daß uns jemand in die Quere gerät.“

      „Fast zu schön, um wahr zu sein“, meinte Matt Davies.

      Hasard hob die Rechte, und die Männer verstummten sofort wieder. „Tut mir leid, aber ich muß euch einen Dämpfer aufsetzen. So einfach ist die Angelegenheit nun auch wieder nicht. Immerhin sind nicht nur wir allein auf den Schatz erpicht.“

      „Wer denn noch?“ rief Dan. „De Madinga ist von mir im Duell getötet worden, als deine große Komödie beim Festbankett des Gouverneurs von Panama platzte und der Capitan euch den Weg verstellen wollte. Und dieser Sancho Ortiz wird seinem Auftraggeber wohl kaum bereits Bericht erstattet haben.“

      Der Seewolf zog die Augenbrauen hoch. „Da würde ich mal nicht so sicher sein. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber es könnte sein, daß der Schatz bereits gefunden worden ist. Unser einziger Trumpf ist die Karte, denn Ortiz hatte sie noch nicht betrachtet, als ich ihn in der Kapitänskammer der ‚Victoria‘ erwischte. Er weiß also nicht genau, wo der Schatz liegt.“

      Ben Brighton trat neben ihn. „Dann also nichts wie nach Callao. Wir klüsen, was das Zeug hält, damit wir nicht aus der Übung kommen.“ Mit flüchtigem Grinsen blickte er auf Ferris Tucker. „Also, Männer, wer ist von jetzt ab wieder der Kapitän auf der ‚Isabella‘?“

      „Hasard!“ brüllten die Männer. „Es lebe der Seewolf!“

      Das einmastige Fischerboot dümpelte in Sichtweite der Küste rund zwanzig Meilen südlich von Callao dahin. Der einsame Mann an Bord hatte die Netze ausgeworfen, aber das nur zum Schein. Im Grunde war es ihm völlig gleichgültig, ob er etwas fing oder nicht. Denn seine Existenz hing nicht von ein paar armseligen Fischen und den Launen des Meeres, sondern von weitaus bedeutsameren Dingen ab.

      Er war ein schlanker, dunkelhaariger Mann. Er hatte es sich gemütlich gemacht, indem er sich zwischen zwei Duchten gesetzt und mit dem Rücken gegen die Backbordwand gelehnt, die Beine nach Steuerbord ausgestreckt hatte. Seine Kleidung ähnelte der derben Kluft eines Fischers, doch auch sie war nur Tarnung. Seine Hände waren nicht schwielig und grob wie die eines an harte körperliche Arbeit gewöhnten Mannes. Sie waren feingliedrig und weich. Wer seine Gesten beobachtete, wußte, daß er nicht in den Spelunken winziger, unbedeutender Dörfer, sondern in vornehmen Kreisen verkehrte.

      Seine Name war Sancho Ortiz.

      Ortiz lauschte dem sanften Schmatzen, mit dem die Wellen des Ozeans an den Bordwänden des Einmasters entlangleckten, und gab sich dabei seinen Überlegungen hin. Er wußte nicht, wie der bärenstarke Mann hieß, der ihn an Bord der „Victoria“ überwältigt und zur Preisgabe seines Geheimnisses gezwungen hatte. Das einzige, was er über ihn wußte, war, daß er ein Engländer und damit in seinen Augen ein gottverfluchter Hundesohn war.

      Ortiz wollte diesen Engländer überraschen, sich an ihm rächen und verhindern, daß ihm der Schatz des Juan Bravo de Madinga in die Hände fiel. Er war überzeugt, daß sie sich irgendwann treffen würden – Erzfeinde, die sich gegenseitig zu überlisten und umzubringen trachten würden. Ortiz’ Handeln seit dem Überfall auf die „Victoria“ wurde von diesen Gedanken bestimmt.

      Manchmal führte er Selbstgespräche. Dann sagte er: „Warte nur, Ingles, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“ oder „Wir haben noch eine Rechnung miteinander zu begleichen“.

      Was geschehen war, konnte jener verhaßte englische Freibeuter nicht einmal ahnen. Ortiz grinste bei dem Gedanken, daß jener vielleicht meinte, die Besatzungsmitglieder der versenkten Galeone säßen noch auf den Inseln vor Panama fest. Aber sie hatten sich schon bald nach ihrer unfreiwilligen Landung auf Taboga durch Rauchzeichen bemerkbar gemacht. Eine Galeone aus Guayaquil war aufgekreuzt und hatte sie nach Panama gebracht, wo sie den Überfall in allen Einzelheiten geschildert hatten. Sie hatten auch von dem Aufruhr vernommen, den es dort wegen der verdammten Engländer noch gegeben hatte – daß der Hafenkommandant und der Polizeipräfekt entführt worden waren zum Beispiel.

      Er, Sancho Ortiz, hatte all diesen Dingen nur noch relativ wenig Bedentung beigemessen. Er war verschlagen, skrupellos, wendig und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Dank seiner blendenden Umgangsformen hatte er es verstanden, sich sehr schnell aus der ganzen Affäre zu ziehen, überflüssige Vernehmungen zu vermeiden und sich als Geheimagent des Vizekönigs von Peru auszugeben.

      Von da an hatte ihn praktisch niemand mehr aufhalten können. Er hatte sich an Bord der Galeone zurückbegeben und war mit ihr nach Guayaquil gesegelt. Von dort aus war er auf dem Landweg nach Callao gereist. Anfang Mai war er eingetroffen, hatte sich aber nicht bei Don Francisco de Toledo, dem Vizekönig von Peru, zurückgemeldet, sondern einen kühnen Entschluß gefaßt.

      Er wollte allein nach dem versteckten Schatz de Madingas suchen! Weshalb sollte er dem Vizekönig überbringen, was mit ein bißchen Geschick durchaus ihm allein zufallen konnte? In Panama hatte Ortiz erfahren, daß de Madinga tot aufgefunden worden war. Folglich waren die verborgenen Reichtümer also „herrenlos“ geworden.

      „Es gibt nur noch ein Problem“, sagte Sancho Ortiz zu sich selbst. „Wo liegt das genaue Versteck des Schatzes – wo? Madre de Dios, ich muß es herausfinden – so oder so.“ Ihm war lediglich bekannt, daß sich der geheime Platz südlich von Callao in einer kleinen Bucht befinden sollte. Der Engländer, der die Meute der Korsaren befehligte, hatte ihn daran gehindert, die Seekarte von de Madinga zu ergattern und einzusehen. Sancho Ortiz hatte sich genügend darüber geärgert und seinem Bezwinger die Pest auf den Hals gewünscht. Inzwischen aber war seine Wut vernunftsmäßigen Erwägungen gewichen.

      Er rechnete fest damit, daß der schwarzhaarige Teufel von einem Engländer mit seinem Schnellsegler aufkreuzen würde. War ihm nicht selbst daran gelegen, den Schatz zu annektieren? Gewiß, er hatte mit seinen Männern auf der Reede von Panama aufgeräumt und große Beute geschlagen. Sie mußten eine Menge Gold, Silber und Perlen auf ihren Zweimaster geschafft haben, diese wilden Kerle!

      Aber die verfluchten Engländer konnten seiner Ansicht nach den Hals nicht voll genug kriegen. Was sie an sich reißen konnten, das nahmen sie sich. Auf jeden Fall würden sie versuchen, das Versteck des de-Madinga-Schatzes zu finden. Wenn die Dinge tatsächlich so lagen, wie er sie sich ausmalte, brauchte Sancho Ortiz nur zu warten und zu beobachten.

      Seit Tagen strich er nun schon mit seinem Fischerboot an der Küste auf und ab. Dann kehrte er wieder um und legte die Strecke in entgegengesetzter Richtung zurück. Auf die Dauer wurde ihm dieser Törn langweilig, aber er redete sich Mut zu, indem er sich immer wieder sein Ziel vor Augen hielt.

      „Der Zweck heiligt die Mittel“, murmelte er. In etwas abgewandeltem Sinn traf dieser Satz auch auf sein Unterfangen zu. Ein Italiener hatte diese Maxime erhoben, ein gewisser Niccolo Macchiavelli, der 1469 geboren und 1527 gestorben war und die Staaten einem Kreislauf von Blüte und Verfall unterworfen glaubte.

      Ja, Ortiz war ein belesener und eigentlich gebildeter Mann. Man hatte ihm die abendländische Kultur in Klosterschulen eingetrichtert, als er noch in der spanischen Heimat gelebt hatte. In der neuentdeckten Welt hatte er bisher immer nur einen Nutzen aus all diesem Wissen gezogen: die Mitmenschen übers Ohr zu hauen und sich selbst zu bereichern. Seine praktisch angewandte Lebensphilosophie nannte er das. Wegen seiner Gerissenheit war ihm die Aufgabe eines Spions des Vizekönigs gleichsam wie auf den Leib geschneidert. Jetzt, vor der entscheidendsten Phase seines Lebens, glaubte er, sich selbst zu übertreffen.

      Selbstverständlich hatte er sich in Callao umgehört, bevor das Fischerboot genommen hatte und zu seinem Unternehmen aufgebrochen war. Für einen Mann seines Schlages war

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