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Schlaf zu töten, doch das Böse ist nicht besiegt: Jerusalem’s Lot wird von Vampiren beherrscht. Mears und Mark Petrie müssen fliehen und die Stadt dem Regiment des Grauens überlassen.

      Auch in diesem Roman, der durch eine stringente Handlung beeindruckt und von der literarischen Kritik zwar vernachlässigt wurde, aber immerhin das Lob bekam, seinen literarischen Vorbildern in nichts nachzustehen und eine moderne, zeitgenössische Version des Sujets Vampirroman zu sein, griff er unterschwellig auf urtypische amerikanische Ängste zurück: die Angst vor einer Kleinstadt, deren Bewohner eine verschworene Gemeinschaft bilden, aber auch die Angst vor Entfremdung, vor dem Verlust anderer (geliebter) Menschen. Veräußerlicht wird diese Angst durch ein typisches Sujet des Bösen, den Vampir, der schleichend seine üble Saat verbreitet. Und natürlich stellt BRENNEN MUSS SALEM! auch – wer will es dem zweiten veröffentlichten Roman eines jungen Autors verübeln? – eine Hommage an seine Vorbilder dar (wie auch die thematisch zusammenhängende Kurzgeschichte „Briefe aus Jerusalem“ belegt, dort an H.P. Lovecraft, dessen Ratten in den Gemäuern sich genauso schleichend manifestieren, wie King diesen Roman geschickt aufgebaut hat).

      Erfüllte King mit BRENNEN MUSS SALEM! alle Erwartungen, die das selbstgewählte Genre ihm auferlegte, betrieb er mit seinem dritten (veröffentlichten) Roman SHINING wieder eine gewisse Selbstanalyse und Aufarbeitung eigener Ängste. Nicht ohne Grund stellt Stephen King einen Auszug aus Edgar Allan Poes „Die Maske des Roten Todes“ seinem SHINING (1977) voran, denn Poe, einer der wenigen Klassiker der Horror-Literatur, hat sich nicht dem „Schrecken, der aus Deutschland kommt“ – gemeint ist die Gothic Novel, die Schauerromantik, also der äußere Horror –, sondern dem „aus der Seele“ gewidmet. So gesehen steht Kings Roman also in eindeutiger Tradition zu jenem inneren, dem „einzig wahren“ Horror, wie Poe sich ausdrückte, und ist genauso ein tiefenpsychologisches wie ein ungemein spannendes Stück Gebrauchsprosa.

      Jack Torrance, trockener Alkoholiker, zieht mit Frau und Sohn Danny (der über das Shining verfügt, die Präkognition [das zweite Gesicht], die Fähigkeit, vergangene und zukünftige Dinge zu sehen, und telepathisch mit anderen des Shinings mächtigen Menschen zu kommunizieren) den Winter über als Hausmeister ins Overlook-Hotel, um dort einen Roman zu schreiben. Torrance wurde als Kind misshandelt; sein Vater war Alkoholiker, hat seine Frau geprügelt und die Kinder mit der ständig ausrutschenden Hand erzogen. Er starb, als Jack dreizehn Jahre alt war, hinterließ aber einen starken Eindruck auf seinen Sohn. Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen: Das Overlook übt einen schädlichen Einfluss auf Jack Torrance aus; er verfällt dem Wahnsinn, das Übersinnliche verführt ihn und bekommt ihn in den Griff wie früher der Alkohol: Wie vor Jahren ein früherer Hausmeister Frau und Töchter getötet und zerstückelt und sich danach eine Kugel in den Kopf geschossen hat, läuft auch Torrance Amok.

      Anders als in Kubriks Filmfassung wird Torrance im Roman getötet, als das Hotel niederbrennt; die reinigende Kraft des Feuers zieht sich als Motiv durch große Teile von Kings Werk. Auch überlebt im Roman Dick Hallorann, der ebenfalls des Shinings fähige farbige Koch. Überhaupt weisen Buch und Film beträchtliche Unterschiede auf. Angelegt wie ein klassisches Theaterstück mit seiner Einteilung in fünf Akte, mit Beginn, Verwicklung, Steigerung, Auflösung und Schluss, gewinnt das Buch eine phänomenale Spannung durch Kings Schreibtechnik, in jedem Kapitel (übertragen jeder Theaterszene) die Schauplätze und Personen rasant zu wechseln. Die Handlungsfäden ergänzen sich, laufen nebeneinander her, steigern sich gegenseitig zu schier unerträglicher Spannung empor. Im Roman sind die Charaktere wesentlich besser ausgearbeitet als im Film; King verfügt über die Begabung, Personen zu schildern, dass man tatsächlich glaubt, sie könnten jeden Augenblick den Seiten des Romans entspringen. Sie reagieren psychologisch exakt motiviert, sind äußerst glaubhaft und plastisch.

      Kings Sprache ist exakt und treffend. Anders als im Film, in dem die Umgebung und das Overlook-Hotel in geometrisch genau festgelegten Figuren aufgezeigt und dem Zuschauer geradezu eingehämmert werden, beschwört King im Buch ein wildes, farbiges Eigenleben der Natur herauf, ja eine dämonische Allgegenwärtigkeit. Und Kings Protagonisten sind Teil der Natur, ihr und ihren Gesetzen unterworfen, können sich ihr nicht entziehen. Diesen Gesetzen folgt auch der Wahnsinn, der sich in Jack Torrance bildet; er ist feinfühlig und präzise geschildert, baut sich langsam auf. Ebenso langsam schleicht sich das Übernatürliche, der Horror sozusagen, in den Roman: Aus lapidaren, befremdlichen Vorfällen in einer anfangs ganz gewöhnlichen Alltagswelt baut King behutsam ein Gefühl der Bedrohung auf. Aus scheinbar völlig zusammenhang- und bedeutungslosen Vorfällen, die die Sphäre der Normalität, der Rationalität, zögernd ankratzen, entwickelt sich ein Mosaik des immanenten Schreckens, das erst bei seiner Vervollkommnung umkippt und die bis dahin vorherrschende Alltagswelt begräbt. Dieses Übersinnliche ist natürlich (auch) ein Sinnbild der nach außen dämonisierten Angst vor dem Alkohol, des Einflusses, den der Alkohol auf Torrance (und vielleicht auch auf King selbst) ausübt; schon früh führt King die Formel, die wesentlich zu seinem Erfolg beitrug, zur Meisterschaft: Er verleiht hier stärker denn je zuvor inneren Ängsten, Zwängen (also „Dämonen“) sichtbare Gestalt, womit sich der Schrecken des Lesers natürlich vervielfacht und sich die Identifikation des Lesers mit Kings Charakteren wesentlich verstärkt. King gelingt es, Torrance so beeindruckend zu schildern, indem er seine eigenen Probleme mit dem Alkohol verarbeitet und seine eigene Angst vermittelt, durch den Dämon Alkohol so zu werden wie seine Hauptfigur.

      Auch handwerklich ist Kings Roman gelungen. Sehr originell meistert der Autor das Problem, das Shining, also die unerklärliche Wahrnehmung vergangenen oder zukünftiger Ergebnisse, in die Gegenwart einfließen zu lassen. Dannys kleine Visionen und Vorahnungen werden genau wie Jack Torrances Erinnerungen und die Attacken des Wahnsinns bzw. des dämonischen Ichs auf seinen Verstand kursiv zwischen fortlaufende Satzteile eingesetzt (CARRIE lässt grüßen); dabei hämmert King in seiner klaren, einfühlsamen Syntax die fremde, übersinnliche Welt, der sich weder Danny noch sein Vater entziehen können, in die Wirklichkeit hinein. Der Roman kommt ohne große äußerliche Schockmomente aus; die Spannung entwickelt sich von innen, genau wie der Schrecken, der Horror, wie immer man dieses Gefühl bezeichnen möchte. Eigentlich ist SHINING kein „Meisterwerk der modernen Horrorliteratur“, wie es der Klappentext der amerikanischen Ausgabe vermeldet, sondern ein psychologischer Roman mit übersinnlichen Einflüssen, der von der Beschreibung psychologischer Vorgänge und Entwicklungen lebt. Und dies hebt ihn aus der großen Masse anderer Horror-Romane weit hinaus. King schildert, genau wie Poe, nur in moderner, aktueller Fassung, den einzig wahren Schrecken, den der Mensch erleben kann: den der Seele, ihrer eigenen Zwänge, ihrer Alpträume, ihrer Paranoia, kurz gesagt ihrer „Dämonen“. Sein Buch ist weit mehr als ein Meisterwerk moderner Horrorliteratur: Es ist moderne Literatur, und das ist das höchste Lob, das man einem Horrorroman machen kann.

      Mit seinem nächsten Roman, DAS LETZTE GEFECHT (1978), versuchte sich King schon in frühen Jahren an einem Opus magnum, ein wahrhaft ehrgeiziges Unterfangen. Allerdings entspricht es seiner typischen „Lagerfeuermentalität“ – „Kommt und setzt euch zu mir, ich erzähle euch eine Geschichte!“ – und brachte ihm den Vorwurf der Geschwätzigkeit ein, ein Vorwurf, den allerdings nur die Kritik erhob, nie die Leserschaft. Ihr war bereits zu dieser Zeit ein neues Buch von King mit 700 Seiten allemal lieber als eins mit 250 Seiten. Bei 763 engbedruckten Seiten (der deutschen Erstausgabe) wagt der Leser sich nicht unbedingt enthusiastisch an ein neues Buch. Umso überraschter ist er, wenn er nach begonnener Lektüre zum ersten Mal aufblickt, feststellt, dass er Seite 80 bereits erreicht hat, eigentlich kaum etwas geschehen ist, aber dieses Wenige so fesselnd und eindrucksvoll erzählt ist, dass er es kaum erwarten kann, auch noch die restlichen 683 Seiten zu lesen.

      Dabei ist die Geschichte nicht unbedingt neu: der Weltuntergang auf Amerikanisch (und zwar recht patriotisch). Ein paar Überlebende finden sich zusammen und versuchen, sich durchzuschlagen. Dabei ist die eigentliche Gefahr noch längst nicht gebannt. Das übersinnlich Böse manifestiert sich in Gestalt von Randall Flagg, dem Dunklen Mann, dem Teufel in Menschengestalt, und das Gute in Gestalt einer einhundertundachtjährigen Farbigen. King kontrastiert hier mehrere dualistische Aspekte – das Leben und die persönlichen Probleme vor und nach der Katastrophe, das Science Fiction-Szenario eines misslungenen Gen/Viren-Experiments und den übersinnlichen Endkampf zwischen Gut und Böse – und verschmilzt sie. Eine Synthese, die eigentlich überhaupt nicht gelingen kann, aber trotzdem funktioniert:

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