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      King griff übrigens noch einmal auf den Shop zurück: In der Fernsehserie GOLDEN YEARS, für die er über ein Jahrzehnt später die Story schrieb, ist der Shop dem Geheimnis der ewigen Jugend auf der Spur. Zwar steht sie inhaltlich hinter FEUERKIND zurück und folgt in weiten Zügen – der Jagd auf die unfreiwillig veränderten Opfer – diesem Roman, doch das üble Spiel der Geheimdienste scheint für King mit FEUERKIND nicht beendet zu sein; die Mechanismen der inhumanen Gesellschaft haben sich in die neunziger Jahre und auch in das neue Jahrtausend hinübergerettet.

      Und es ist noch gar nicht lange her … mit dieser märchenhaften Einleitung führt King in seinem nächsten Roman, CUJO, den Leser an den Schauplatz der Handlung: die kleine Stadt Castle Rock in Maine. Aber was so friedlich beginnt, entwickelt sich zu einem der konsequentesten und erschreckendsten Werke der Schriftstellers.

      Der Plot ist im Grunde simpel: Der gutmütige, zwei Zentner schwere Bernhardiner Cujo infiziert sich mit Tollwut und fällt mehrere Menschen an. Das erinnert auf den ersten Blick eher an die Schlagzeile einer Boulevardzeitung – die King gegen Ende auch in den Roman einbringt –, doch der Amoklauf des kranken Tieres erweist sich als nur ein Aspekt des breiten Spektrums, das den Text insgesamt ausmacht. Cujo ist keineswegs die Hauptfigur, sondern nur ein Symbol für die trügerische Wandelbarkeit der vertrauten Lebensumstände, bei denen die anscheinend festgefügte Realität erschreckende, aber auch allgemein vertraute Züge gewinnt, und damit für eine weitere tiefsitzende Angst im Leser. Die Angst vor Verlusten, vor dem Verlust der beruflichen Existenz, aber noch stärker vor dem des persönlichen Glücks, der Ehe, des Partners. Der Leser erkennt sich nicht nur in einer, sondern im praktisch allen Hauptpersonen des Romans wieder, da er unterschwellig mit der Angst lebt, dieselben Verluste erleiden zu können, die die Charaktere des Buches erleiden. Damit hat auch dieses Buch Kings zwei Ebenen: die der spannenden Handlung und darunter die der Gefühlswelt, die im Leser einfach Beklemmung auslösen muss. Zwei Familien stehen im Mittelpunkt. Da sind einmal die Cambers mit ihrem zehnjährigen Sohn Brett, Exponenten der amerikanischen Unterschicht, der Vater Alkoholiker, die Mutter ein geprügeltes, unterdrücktes Arbeitstier; mit Gewalt zwingt ihr Mann sie dazu, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Ihr Leben ist die Hölle; schlimmer kann es kaum kommen.

      Und da sind Vic und Donna; auch deren Ehe steht auf wackligen Beinen. Nach außen hin geben sie ein ideales Paar ab: gutes Einkommen, eigenes Haus, ein vierjähriger Sohn. Donna wurde sich des Verlusts ihrer Jugend und der Eintönigkeit ihres Lebens bewusst und hat gerade ein Verhältnis beendet. Vic, Teilhaber einer Werbeagentur, steht vor dem beruflichen Ruin.

      King kontrastiert mit diesen beiden Familien zwei anscheinend völlig unterschiedliche zwischenmenschliche Beziehungssysteme, die jedoch beide gescheitert sind bzw. kurz vor dem Scheitern stehen. Wendet sich die soziale Schicht, auf die der Roman wahrscheinlich zielt, empört von Joe und Charity Cambers ab, so muss sie irgendwann in den Verfallserscheinungen des bürgerlichen Lebens von Vic und Donna ihre eigene Situation erkennen; nur mühsam können diese beiden das Scheinbild einer funktionierenden Ehe aufrechterhalten, die sie beide ausfüllt. Die zusammengebrochene Fassade wird durch den ständig wiederkehrenden Slogan von Vics Werbeerfindung, dem Fernsehprofessor, symbolisiert: „Nein, hier ist nichts verkehrt.“

      Aber tatsächlich ist alles verkehrt; sowohl bei den Cambers als auch bei Vic und Donna. King entblößt den American Way of Life als gut geölte, auch gegen Ende noch funktionierende Maschinerie, die nur die Aufgabe hat, den Schein aufrechtzuerhalten; das Innenleben seiner Protagonisten ist dagegen leer, ausgehöhlt, nichtig, eine Quälerei, die sich ein wenig subtiler äußert als durch die Schläge, die Joe Camber seiner Frau Charity versetzt.

      In diese Welt – einmal die der gescheiterten Familie, einmal die der scheinbar noch funktionierenden – bricht Cujo; er ist ein außenstehendes Element, ein nicht beeinflussbares Unheil, gegen das niemand gefeit ist. Durch ihn terrorisiert King seine Charaktere überzeugender, als es mit irgendwelchen Alptraummonstern möglich wäre. Der vollendete Höhepunkt des Romans ist eine mitunter schon sadistische Sequenz, in der Donna und ihr kleiner Sohn gefangen in ihrem Auto sitzen, abseits der Straße vor der billigen Reparaturwerkstatt von Joe Camber, hilflos der Hitze und dem sie belagernden tollwütigen Hund ausgesetzt. Kings Erzählstruktur war selten dichter und konsequenter. Der Leser erlebt kein happy end; die Rettung in letzter Sekunde bleibt aus. Auch wenn das Monster getötet werden kann, geht für die Überlebenden das Leben nicht in gewohnter Form weiter.

      Joe Camber stirbt; durch seinen Tod bekommen Charity und Brett, seine Frau und sein Sohn, die Chance auf einen Neuanfang. War bei King bislang die Familie das letzte intakte Gebilde im Staat, an dem sich das Leben nach der Katharsis wieder aufrichtete, zerstört King hier dieses Konzept.

      Mit CUJO hat King die Grenzen des traditionellen Horrorgenres gesprengt und zumindest seine amerikanische Leserschaft – das Bürgertum – verschreckt; der Roman wurde nur zögernd aufgenommen. Dieses Verschrecken der Leser gelingt durch die Konsequenz der Realität; das Konzept der Familie erweist sich nicht mehr als der Wirklichkeit überlegen, übrig bleibt nur eine Leere, die die der abgestumpften, zur Farce gewordenen zwischenmenschlichen Beziehungen bei der breiten Masse in erschreckender Weise verdeutlicht.

      Novellen, so schreibt Stephen King im Nachwort zu seinem nächsten Buch, FRÜHLING, SOMMER, HERBST UND TOD (DIFFERENT SEASONS, 1982), lassen sich mit einem schrecklichen Ort vergleichen – mit einer anarchistischen Bananenrepublik. Es gibt einfach keinen Markt für sie – sie sind zu lang für die Kurzgeschichtenmagazine und zu kurz für eine eigenständige Buchveröffentlichung.

      Umso höher muss man den Marktwert einschätzen, den King bereits 1982 für seinen Verlag hatte, als der Autor vorschlug, vier Novellen, die er jeweils nach Abschluss von vier Romanen geschrieben und fertig in der Schublade liegen hatte, gesammelt in einem Buch herauszugeben, und sein Lektor bereitwillig zustimmte.

      „Frühlingserwachen: Pin-up“ ist eine Mainstream-Novelle um zwei Lebenslängliche im Staatsgefängnis Shawshank. Red, der Erzähler, ist der große Organisator des Gefängnisses; er besorgt seinem Mitgefangenen Andy Dufresne, der immer wieder seine Unschuld beteuert, im Laufe von Jahrzehnten Hämmer und immer wieder neue Pin-up-Poster – mit denen Dufresne ein Loch tarnt, durch das ihm später der Ausbruch gelingt. Eigentlicher Inhalt der Novelle, die durch ihre realistische Gefängnis-Atmosphäre beeindruckt, ist jedoch die Problematik Schuld/Unschuld/Sühne/Hoffnung.

      Auch „Sommergewitter: Der Musterschüler“ muss dem Mainstream zugerechnet werden, beschäftigt sich jedoch mit einem der entsetzlichsten Schrecken unserer Wirklichkeit. Der dreizehnjährige Todd Bowden forscht über Kriegsverbrechen der Nazis und macht einen Nazi-Kriegsverbrecher in seiner Heimatstadt ausfindig. Langsam, schleichend verfällt er jedoch Kurt Dussanders Einfluss, bis sich die Beschäftigung mit dem Nazismus zur Besessenheit entwickelt und er das nationalsozialistische Gedankengut völlig verinnerlicht. Diese Novelle ist heute aktueller denn je und als glanzvolle Warnung vor einem schleichenden Gift zu verstehen: Nicht einmal ein „all-American kid“ wie Todd ist gegen den braunen Dreck gefeit. Eine gewisse Identifikation mit Todd bewirkt natürlich direkt schon wieder Angst im Leser: Eigentlich ist der Junge ja ganz nett – und wenn ihm sowas passieren kann, könnte es vielleicht auch mir passieren?

      „Herbstsonate: Die Leiche“ ist eine der besten und – nicht zuletzt wegen der gelungenen Verfilmung – auch der bekanntesten Novellen des Autors. Vier junge Freunde brechen zu einer – zugleich symbolischen und realistischen – Reise ins Unbekannte auf, um eine Leiche zu suchen, die irgendwo an den Bahngleisen liegen soll. Sehr gefühlvoll beschreibt die Novelle den Verlust der Kindheit und die bittersüße Erinnerung daran, die verlorene Jugend, ein Motiv, das King auch bei dem Roman ES sehr geschickt anwandte. Mit dem Fund der Leiche endet für einige der Jungen abrupt ihre unbeschwerte Jugendzeit, und sie werden viel schneller erwachsen, als es dem Erzähler der Novelle, einem schwach verkleideten Stephen King, eigentlich recht ist.

      King arbeitete zwei frühe Kurzgeschichten in diese Novelle ein, die er, wie es der autobiografischen Färbung nur entspricht, dem Erzähler Gordon Lachance zuschreibt.

      „Ein Wintermärchen: Atemtechnik“ ist die einzige Horrorerzählung in diesem Buch, eigentlich eine Erzählung in einer Erzählung. In einer altehrwürdiger Tradition der phantastischen Literatur

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