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seiner Charaktere fragen, ob die Menschen selbst nach diesem rigorosen Neuanfang je vernünftig werden.

      Nicht die Story ist eigentlich so interessant, sondern die Weise, wie sie erzählt wird. Die Personen, die King wie kein zweiter Horrorschriftsteller plastisch und lebendig schildert, machen vor, während und auch nach der Katastrophe glaubwürdige Entwicklungen durch; der Leser zittert mit ihren mit. Dabei greift King immer wieder auf ihre jeweiligen Ängste zurück (und beschränkt sich nicht nur auf ein Thema, das er veräußerlicht): Für jeden Leser ist etwas dabei, der ureigene Alptraum wartet auf der nächsten (oder übernächsten) Seite. Dieser Horror kann metaphysisch, aber auch ganz realistisch sein, und DAS LETZTE GEFECHT weist durchaus realistisch-brutale Szenen auf: „Hinter ihm lag das Skelett der Ratte, die er vor fünf Tagen […] getötet hatte. Der lange rosa Schwanz der Ratte hing noch am Skelett. Lloyd hatte wiederholt versucht, auch den Schwanz zu essen, aber er war zu zäh. […] Gestern Abend war es ihm gelungen, […] einen Kakerlaken zu fangen, und er hatte ihn lebendig gegessen; wie verrückt war er in seinem Mund herumgerannt, bis er ihn halb durchgebissen hatte. Er hatte nicht einmal schlecht geschmeckt, viel besser als die Ratte.“) Solche Szenen sind allerdings meilenweit von der vordergründigen Brutalität billiger Schlitzer-Romane entfernt und fordern vom Leser Einfühlungsvermögen und Mitdenken. Eingebettet sind all diese individuellen Ängste in die große pauschale Angst vor dem Ende – vordergründig dem der Welt, letztlich damit aber dem des eigenen Lebens.

      Als King 1978 den Roman veröffentlichte, war er noch nicht der Stephen King; er musste sich nach dem Markt richten, nicht – wie man heute den Eindruck hat – der Markt nach ihm. Sein damaliger Verlag war der Auffassung, 12,95 Dollar seien das Äußerste, was die Leser für ein neues Hardcover von King zahlen würden, und zu diesem Preis ließ sich das Buch nicht rechnen. Es war schlicht und einfach zu umfangreich. Um vierhundert Seiten – mehr, als manche Romane überhaupt umfassen – wurde das Manuskript von King gekürzt.

      1990 erschien der Roman in einer Neufassung. Nicht in der Länge des ursprünglichen Manuskripts, wie King in seinem Vorwort den Leser warnt, sondern als Ausweitung des 1978 erschienenen Romans; ein modernisierter Text, der der Originalfassung aber sehr nahe kommt. King hat den Roman um zehn Jahre auf 1990 vorverlegt, behutsam modernisiert – Roger Rabbit und Freddy Krueger werden erwähnt –, einen neuen Anfang und ein neues Ende geschrieben sowie die Kürzungen zum größten Teil wieder eingefügt. Ob es nun der Mülleimermann oder Frannie ist, die Charaktere erleben und agieren viel mehr, gewinnen an Glaubwürdigkeit, werden noch plastischer geschildert.

      Die ursprünglichen Kürzungen sind sehr geschickt vorgenommen. Anfangs fehlen einige Absätze, vielleicht die eine oder andere Seite; hauptsächlich in der Mitte hat King die erste Fassung stark gekürzt. So sind (ohne Gewähr auf Vollständigkeit) die Kapitel 11, 12, 14, 17, 20, 31, 35, 38 und 49 neu hinzugekommen; die Kapitel 18, 22, 23–26, 28, 35, 39, 41, 43, 44–48, 49, 51 und 73 wurden verändert, was auch bedeuten kann, dass man mitunter jeweils an die 30 vorher unbekannte Seiten findet.

      DAS LETZTE GEFECHT ist zweifellos einer von Kings besten Romanen; es macht Freude, das Buch noch einmal aufzuschlagen und über alte Bekannte zu lesen; besonders, wenn sie etwas Neues zu erzählen haben, was hier der Fall ist. Mit dem LETZTEN GEFECHT hatte King im Jahr 1978 seinen Ruf nicht nur gefestigt, sondern geradezu betoniert.

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      DEAD ZONE: DEAD ZONE – DAS ATTENTAT * FIRESTARTER: FEUERKIND * CUJO * DIFFERENT SEASONS: FRÜHLING, SOMMER, HERBST UND TOD * CHRISTINE

      „Nein… hier ist nichts verkehrt. […]

      Aber war hier tatsächlich nichts verkehrt?

      Es war verkehrt. Ganz verkehrt.“

      CUJO, 1981

      Die nächsten beiden Romane Kings sind, wie auch CARRIE, eher der Science Fiction als der Horrorliteratur zuzurechnen. Nach einem Unfall liegt Johnny Smith – schon der Name verrät, es könnte jedem von uns passieren – fünf Jahre im Koma. Als er erwacht, besitzt er die schon früher latent bei ihm vorhandene Fähigkeit des Zweiten Gesichts (die man als Psi-Begabung auffassen kann, ein typisches Motiv der Science Fiction): Er kann sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft sehen. Doch da ist auch die Dead Zone, ein wuchernder Punkt in ihm.

      Johnny kann mit seiner Fähigkeit einiges Unheil verhindern, gerät in die Schlagzeilen, entlarvt einen Polizisten aus Castle Rock als Serienmörder, der dort sein Unwesen getrieben hat – und schüttelt schließlich dem faschistoiden Präsidentschaftskandidaten Greg Stillson die Hand. Augenblicklich erkennt er, dass Stillson als Präsident der USA den Atomkrieg befehlen wird, und beschließt, den Mann aufzuhalten. Das Attentat misslingt zwar, doch Stillson entpuppt sich als erbärmlicher Feigling, als er sich hinter einem Kind versteckt, und ist politisch erledigt. Johnny Smith wird bei dem Attentat erschossen.

      DEAD ZONE – DAS ATTENTAT ist einer der wenigen ausgesprochen politischen Romane Kings, einerseits eine Abrechnung mit den verlorenen Illusionen der amerikanischen Realpolitik der siebziger Jahre, andererseits eine moralische Parabel, vielleicht auch eine Warnung: Lässt sich ein Mord rechtfertigen, wenn man damit größeres Unheil, ja sogar den Weltuntergang verhindern kann? Johnny Smith konnte diesen Mord nicht rechtfertigen: Im entscheidenden Augenblick hat er versagt, gerieten ihm die Dinge außer Kontrolle, und nur einer Verkettung glücklicher Umstände ist zu verdanken, dass Stillson nicht an die Macht kommt. Ein zentrales Motiv des Romans ist das Glücksrad, das dem ersten Teil auch den Titel gab. Es kann jeden von uns treffen, jeder muss vielleicht einmal solch eine Entscheidung treffen. Hier stellt King die Frage nach der persönlichen Verantwortung und Moral; das Böse in uns wuchert tumorähnlich wie Smiths „toter Bereich“ und verleitet uns zum Wegsehen oder Nichtstun, was auch schon eine moralische Verfehlung sein kann.

      King handelt diesen Stoff nicht trocken ab, sondern erzählt eine spannende und ergreifende Geschichte, die durch den geschickt angelegten Schluss bei genauem Überlegen auch für jeden einzelnen Leser eine persönliche Bedeutung bekommt.

      Auch im nächsten Buch geht es wieder um eine Psi-Fähigkeit: nach CARRIE (Telekinese) und DEAD ZONE (Präkognition) diesmal um die Pyrokinese (und auch um die Hypnosuggestion). Charlie McGees Eltern haben sich vor Jahren für ein Experiment des Geheimdienstes DSI (Department of Scientific Intelligence, besser bekannt als „Shop“: ein CIA-Verschnitt) der Behandlung mit einer halluzinogenen Droge unterzogen. Das Experiment hat latente Fähigkeiten der beiden manifest werden lassen, bei der Mutter Telekinese und beim Vater Hypnosuggestion: Er kann Fremden einreden, unbedingt etwas (in seinem Sinne) tun zu wollen, und nennt diese Fähigkeit „Pushing“; doch sie schwächt und zerstört seinen Körper umso mehr, je öfter er sie anwendet. Und ihre gemeinsame Tochter, das FEUERKIND, kann aus reiner Willenskraft Gegenstände in Brand setzen.

      Als das Feuerkind sieben Jahre alt ist, will der Shop es sich für weitere Experimente holen. Die Agenten erschießen Charlies Mutter, doch das Mädchen und sein Vater können fliehen und werden nun gnadenlos von John Rainbird, dem Top-Agenten des Shops, gejagt. Als sie schließlich gefasst werden, kommt es zu einem geschickt angelegten Psychospiel, bei dem es Rainbird gelingt, Charlie zu einigen Vorführungen ihrer Fähigkeit zu bewegen. Schließlich erkennt sie jedoch, wer ihr Häscher wirklich ist, und der Showdown nähert sich rapide: Nachdem ihr Vater erschossen wurde, lässt Charlie pyrokinetisch das Forschungsinstitut in Flammen aufgehen und kann fliehen. Das Buch ist ihre Geschichte, die sie Reportern des Magazins Rolling Stone erzählt: Nachdem die Öffentlichkeit Bescheid weiß, ist sie vor den Nachstellungen des Shops wohl sicher.

      Auch FEUERKIND ist ein politisches Buch, in dem King erneut mit den politischen Auswüchsen der siebziger Jahre abrechnet. Watergate hat auch bei ihm Spuren hinterlassen, doch sein Vertrauen in die freie Presse lässt ihn nicht vor der Allmacht der Geheimdienste resignieren.

      Natürlich beschäftigt sich FEUERKIND unter der Oberfläche auch mit Ängsten: der Angst, ein behindertes Kind zu bekommen, der Angst um sein Kind, der Angst, alles zu verlieren, und schließlich auch der Angst des Kindes um seinen Vater oder seine Eltern, der Angst vor dem Missbrauch des Kindes (die Beziehung zwischen Charlie und Rainbird hat deutliche sexuelle

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