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vor den höhern, mit langen weißen Kerzen besteckt wie die Wandleuchter ringsumher, wie die vier silbernen Schaftkandelaber in den Ecken. Vor den hohen Fenstern zur Rechten, die auf den Albrechtsplatz blickten, und auf deren äußeren Bänken Kissen von Schnee lagen, fielen weißseidene Vorhänge, gelbfleckig, mit silbernen Schnüren gerafft und mit Spitzen unterlegt, schwer und reichlich auf das Parkett hinab. In der Mitte des Raums, unter dem Kronleuchter, stand ein Tisch von mäßiger Größe, dessen Untersatz wie ein knorriger silberner Baumstumpf war, und dessen achteckige Platte aus milchiger Perlmutter bestand – stand unnütz und ohne Stühle dort, bestimmt und geeignet höchstens dazu, dir als Halt und Stützpunkt zu dienen, wenn die Lakaien die Flügeltür öffneten und diejenigen einließen, die in Gala auf eine festlich gemessene Weise vor dich traten …

      Klaus Heinrich sah in den Saal, und deutlich sah er, daß nichts hier von der Sachlichkeit wußte, die Schulrat Dröge trotz seiner Verbeugungen ihm auferlegte. Hier herrschte Sonntag und Feierernst, ganz ähnlich wie in der Kirche, wo des Schulrats Forderungen gleichfalls verfehlt gewesen wären. Strenger und leerer Prunk herrschte hier und ein förmliches Gleichmaß der Anordnung, das rein von Zweck und Bequemlichkeit sich selbstgenügsam darstellte … ein hoher und angespannter Dienst, ohne Zweifel, der weit entfernt schien, leicht und behaglich zu sein, der dich auf Haltung und Zucht und beherrschte Entsagung verpflichtete, doch dessen Gegenstand ohne Namen war. Und es war kalt in dem silbernen Kerzensaal wie in dem der Schneekönigin, wo die Herzen der Kinder erstarren.

      Klaus Heinrich ging über die spiegelnde Fläche und stellte sich an den Tisch in der Mitte. Er stützte die rechte Hand leicht auf die Perlmutterplatte und stemmte die linke so in die Hüfte, daß sie weit hinten, fast schon im Rücken saß und von vorn nicht sichtbar war; denn sie war unschön: bräunlich und runzlig und hatte mit der rechten im Wachstum nicht Schritt gehalten. Er ließ sich auf einem Beine ruhen, stellte das andere ein wenig vor und hielt den Blick auf die silbernen Ornamente der Tür gerichtet. Es war kein Standort zum Träumen und nicht die Haltung dazu; und dennoch träumte er.

      Er sah seinen Vater und sah ihn an wie den Saal, um zu begreifen. Er sah den matten Hochmut seiner blauen Augen, die Furchen, die stolz und grämlich von den Flügeln seiner Nase in den Bart verliefen, und die manchmal von einem Überdruß, einer Langeweile vertieft und nachgezogen wurden … Man durfte ihn nicht anreden, nicht freierdings sich ihm nähern und ungefragt das Wort an ihn richten – auch die Kinder nicht, es verbot sich, es war gefährlich. Er antwortete wohl, doch fremd und kalt, und eine Ratlosigkeit entstand auf seinem Gesicht, eine kurze Verstörung, für die Klaus Heinrich ein tiefes Verständnis empfand.

      Papa redete an und entließ; so war er's gewohnt. Er hielt Sprechcour zu Beginn des Hofballs und zum Schluß des Diners, mit dem der Winter begann. Er ging mit Mama durch die Zimmer und Säle, in denen die Hofrangklassen versammelt waren, ging durch den Marmorsaal und die Schönen Zimmer, durch die Bildergalerie, den Rittersaal, den Saal der zwölf Monate, den Audienzsaal und Tanzsaal, ging nicht nur in einer bestimmten Richtung, sondern auch auf einer bestimmten Bahn, die der eilfertige Herr von Bühl ihm freihielt, und richtete Worte an Herren und Damen. An wen er sich wandte, der bog in Verbeugung aus, ließ einen Abstand von blankem Parkett zwischen sich und Papa und antwortete maßvoll und glücklich bewegt. Dann grüßte Papa über den Abstand hinweg, aus der Sicherheit sorgfältiger Vorschriften, die die Bewegungen der anderen beschränkten und seine Haltung begünstigten, grüßte lächelnd und leicht und wandte sich weiter. Lächelnd und leicht … Gewiß, gewiß, Klaus Heinrich verstand sie wohl, die Ratlosigkeit, die einen Augenblick Papas Miene verstörte, wenn man ungestüm genug war, ihn geradeswegs anzureden – verstand sie und fühlte sie ängstlich mit! Irgend etwas, ein Zartes, Gefährdetes, war dann verletzt, worin so sehr unser Wesen beruhte, daß wir hilflos standen, wenn man es roh durchbrach. Und es war dennoch dies selbe Etwas, was unsere Augen matt machte und uns so tiefe Furchen der Langeweile grub …

      Klaus Heinrich stand und sah – er sah seine Mutter und ihre Schönheit, die weit und breit berühmt und gepriesen war. Er sah sie aufrecht en robe de cérémonie, vor ihrem großen, von Kerzen erhellten Spiegel; denn zuweilen, bei Festlichkeiten, durfte er anwesend sein, wenn der Hoffriseur und die Kammerfrauen die letzte Hand an ihre Toilette legten. Auch Herr von Knobelsdorff war anwesend, wenn Mama mit Juwelen aus dem Kronschatz geschmückt wurde, hielt Aufsicht und notierte die Steine, die zur Verwendung gelangten. Die Fältchen an seinen Augen spielten, und er brachte Mama mit drolligen Redewendungen zum Lachen, so daß sich die wundervollen kleinen Gruben in ihren weichen Wangen bildeten. Aber es war ein Lachen voll Kunst und Gnade, und sie sah in den Spiegel dabei, als übte sie sich.

      Einiges slawisches Blut floß in ihren Adern, wie man sagte, und daher hatten ihre tiefblauen Augen einen so süßen Glanz, wie die Nacht ihres duftenden Haares so schwarz. Klaus Heinrich war ihr ähnlich, hörte er sagen, insofern auch er stahlblaue Augen zu dunkeln Haaren hatte, während Albrecht und Ditlind blond waren, wie Papa gewesen war, bevor er ergraute. Aber er war weit entfernt, schön zu sein, seiner breiten Wangenknochen und vor allem seiner linken Hand wegen, die Mama ihn anhielt, auf geschickte Art zu verbergen, in der Seitentasche seiner Jacke, auf dem Rücken oder vorn in der Brust – ihn anhielt, gerade dann, wenn er aus zärtlichem Antriebe sie mit beiden Armen umschlingen wollte. Ihr Blick war kalt, wenn sie ihn aufforderte, auf seine Hand zu achten.

      Er sah sie wie auf dem Bild im Marmorsaal: in schillernder Seidenrobe mit Spitzenbehang und hohen Handschuhen, die unter den gepufften Ärmeln nur einen Streifen ihres elfenbeinfarbenen Oberarmes sehen ließen, ein Diadem in der Nacht ihres Haares, hoch aufgerichtet die herrliche Gestalt, ein Lächeln kühler Vollkommenheit um die wunderbar herben Lippen – und hinter ihr schlug ein Pfau mit metallisch blinkendem Hals sein hoffärtiges Rad. So weich war ihr Gesicht, aber die Schönheit machte es streng, und man konnte wohl sehen, daß auch ihr Herz streng war und auf nichts als ihre Schönheit bedacht. Sie schlief viel am Tage, wenn Ball oder Cercle bevorstand, und aß nur Eidotter, um sich nicht zu beschweren. Dann strahlte sie abends an Papas Arm auf der vorgeschriebenen Bahn durch die Säle – graue Würdenträger erröteten, wenn sie ihrer Ansprache teilhaftig wurden, und der »Eilbote« schrieb, daß Ihre Königliche Hoheit nicht nur nach ihrem erhabenen Rang die Königin des Festes gewesen sei. Ja, sie wirkte Glück, indem sie sich zeigte, bei Hofe sowohl wie draußen in den Straßen oder nachmittags im Stadtgarten, zu Pferd oder zu Wagen – und die Wangen der Leute färbten sich höher. Blumen und Lebehochs und alle Herzen flogen ihr zu, und die »Hoch« riefen, meinten sich selbst damit, wie man deutlich sah, und riefen freudig aus, daß sie selbst hochlebten und an hohe Dinge glaubten in diesem Augenblick. Aber Klaus Heinrich wußte wohl, daß Mama lange, sorgfältige Stunden an ihrer Schönheit gearbeitet hatte, daß ihr Lächeln und Grüßen voller Übung und Absicht war und daß ihr eigenes Herz nicht hochschlug, keineswegs, für nichts und für niemanden.

      Liebte sie irgendwen, zum Beispiel ihn selbst, Klaus Heinrich, der ihr doch ähnlich war? Ach, doch, das tat sie wohl dennoch, soweit sie Zeit dazu hatte, und dann selbst, wenn sie ihn mit kühlen Worten an seine Hand erinnerte. Aber es schien, daß sie Ausdruck und Zeichen ihrer Zärtlichkeit für solche Gelegenheiten sparte, wo Zuschauer zugegen waren, die sich daran erbauen konnten. Klaus Heinrich und Ditlind kamen nicht oft mit ihrer Mutter in Berührung, zumal sie nicht, wie seit einiger Zeit Albrecht, der Thronfolger, an der elterlichen Tafel teilnahmen, sondern mit Madame aus der Schweiz gesondert speisten; und wenn sie, was einmal die Woche geschah, in Mamas Wohnräume zu Besuch berufen wurden, so verlief solch Beisammensein ohne Gefühlswallungen unter gelassenen Fragen und artigen Antworten, während es sich im ganzen darum handelte, wie man auf ansprechende Art mit einer Teetasse voll Milch in einem Fauteuil säße. Aber bei den Konzerten, die jeden zweiten Donnerstag unter dem Namen »Donnerstage der Großherzogin« im Marmorsaal stattfanden und so angeordnet waren, daß die Hofgesellschaft an kleinen Tischen mit goldenen Beinen und roten Sammetdecken saß, während der Kammersänger Schramm vom Hoftheater mit Musikbegleitung so mächtig sang, daß die Adern auf seiner kahlen Stirne schwollen – bei den Konzerten durften Klaus Heinrich und Ditlind zuweilen festlich gekleidet eine Nummer und Pause lang im Saale sein, und dann zeigte Mama, daß sie sie lieb habe, zeigte es ihnen und allen so innig und ausdrucksvoll, daß kein Zweifel blieb. Sie nahm sie zu sich an den Tisch, dem sie vorsaß, und hieß sie mit glücklichem Lächeln, sich zu ihren Seiten zu stellen, lehnte sich ihre Wangen an Schulter und Brust, sah ihnen mit weichem,

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