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Ehemann in Julian Barnes’ Roman »Before She Met Me«, der an keine Orte reisen will, wo seine Frau mit anderen Männern vorbeikam. Kreuz und quer hätten die ihre Fußspuren auf dem Globus hinterlassen, »wie Kamelfährten in einer Wüste, wo niemals der Wind weht«.

      Gerade wenn man diese Orte nicht wählt: Die abwesenden Anwesenden wählen mit.

      DER KUSS

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      Viermal am Tag ist das Minimum. Darunter sollten zwei Menschen nicht gehen, die schon lange zusammen sind und deren Zusammensein es einst besiegelt hat: das Küssen. Da wäre der erste Kuss, um sich einen guten Morgen zu wünschen nach der Trennung durch den Schlaf. Der zweite Kuss zum Abschied, wenn beide zur Arbeit gehen oder der eine zu Hause zurückbleibt. Der dritte Kuss abends beim Wiedersehen. Der vierte Kuss vor dem Lichterlöschen.

      Alles weitere Küssen dazwischen ist natürlich erwünscht. Umso besser, wenn es nicht mehr in einzelnen Küssen messbar ist, sondern in ein andauerndes Verschmelzen der Münder übergeht. Zumal man weiß, dass nicht die Kusshäufigkeit etwas über die Beziehungsqualität aussagt – ein spröde hingetupfter Kuss aus einem Spitzmund verflüchtigt sich wirkungslos. Sondern erst, wenn man das Küssen leidenschaftlich und mit Hingabe betreibt, wirkt sich das Gute aus, das in dieser Tätigkeit liegt: Küssen erzeugt eine Nähe zwischen zwei Menschen, Vertrauen wird gebildet. Man teilt einen intimen Moment, Bindung entsteht.

      Obwohl das alles wissenschaftlich belegt ist, könnte das Küssen und die Beschäftigung damit auch als unerwachsen angesehen werden. Gerade weil es so zweckfrei ist, Teil des erotischen Spiels, wird es unterschätzt. Küssen ist kindlich, wenn man in ihm bloß einen Rückfall in die orale Phase sieht, als man an der Brust der Mutter lag. Dann diese Selbstvergessenheit eines küssenden Paars, das sich so offensichtlich nicht kümmert um die Welt und sich gegenseitig den Mund verschließt für Worte, mit denen man sonst den eigenen Verstand bezeugt.

      Dass Küssen alles andere als banal ist, beweist einer, der im Kleinen schon immer das Große gesucht hat, und dies mit achtzig Jahren: In seinem Buch »Sieben Küsse« nennt Peter von Matt das Küssen zwar »ein Allerweltsgeschäft« – und zeigt dann anhand von Kussszenen in der Literatur, wie Küsse über Glück und Unglück bestimmten.

      Im wirklichen Leben kann das erste Küssen immerhin darüber entscheiden, ob die Küssenden zum Paar werden. Wenn die Münder sich nicht ineinander einpassen, ist alles hoffnungslos. Es gibt die gekniffenen Lippen oder die schlaffen, die tote Zunge oder die Walze. Auch hier werden manche denken: Augen zu und Luft anhalten, das Küssen ist ja bloß ein Vorspiel und das Bedürfnis danach nimmt später sowieso ab. Wer jedoch wählerischer ist bei der Partnerwahl, auch das haben Untersuchungen gezeigt, legt von Anfang an mehr Wert aufs Küssen. Es ist, als erführe er oder sie dadurch schon einmal Wesentliches über einen Menschen. Gefällt einem die Information, die die Küsse übermitteln, wächst die Anziehung.

      Und so verzehrt man sich, um es mit einem altmodischen Wort zu sagen, vielleicht am meisten nach dem Mund eines Geliebten, wenn man ihn vermisst. Vieles kann man mit sich selber machen, sogar Sex. Küssen geht nicht. In einer erotischen Beziehung hält Küssen zudem das unerfüllte Begehren aufrecht: Küssen nährt nur den Hunger, satt wird man davon nicht.

      Hat man sich dann einmal an jemandem sattgeküsst, wird Küssen leider oft vernachlässigt und vergessen. Die Münder schlafen ein, Ende der Oral History. Dabei sind Paare, die schon lange zusammen sind und sich häufig küssen, zufriedener mit ihrer Beziehung. Küssen ist für die Zufriedenheit sogar wichtiger als häufiger Sex. Es macht einander zugeneigter als vieles sonst. Und Küssen kann sogar ein Unfallschutz sein: Männer, die ihre Frau zum Abschied küssen, bevor sie das Haus verlassen, geraten auf dem Weg zur Arbeit weniger oft in Unfälle und leben länger.

      Legen Sie jetzt also das Buch weg.

      VATER UND

       MUTTER

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      Ein Sonntagmorgen am Küchentisch der Eltern. Die Mutter schneidet das selbst gebackene Brot, mein Vater liest die Zeitung. Sie trägt ihre geblümte Bluse und sagt zu ihm, er sollte sich wieder einmal rasieren. Mein Vater murmelt und blättert. Meine Mutter hält nichts von der heutigen Bartmode. Sie hat sich schon früher meistens durchgesetzt. Und so wird es auch diesmal sein.

      Meine Mutter und mein Vater, eine Frau und ein Mann. Mit ihnen habe ich die ersten zwanzig Jahre meines Lebens verbracht, bis heute bin ich ihr Kind. Oft denke ich darüber nach, wie meine Eltern mich geprägt haben und mein Verhalten mitbestimmten; wie ich zu der wurde, die ich bin, weil sie es waren, die sie sind. So sehr verschieden und so sehr zusammen, eine tiefe Stimme und eine hohe, er trug Anzug, sie ein Kleid.

      Es gibt immer mehr Varianten der Elternschaft, gleichgeschlechtliche Paare haben Kinder, neuerdings werden auch platonisch Kinder gezeugt, unter Freunden, um die romantische Beziehung nicht durch Nachwuchs zu belasten. Ich kann nichts gegen all das vorbringen. Ich weiß nicht, wie es ist, mit zwei Vätern oder zwei Müttern groß zu werden, ich habe es nicht erlebt. Aber ich bin froh, mit einer Mutter und einem Vater herangewachsen zu sein.

      An den weichen Körper der Mutter gedrängt einzuschlafen, die Handcreme zu riechen, mit der sie nach einem strengen Tag abends im Bett ihre Hände einrieb. Sie streckte sie dabei in die Dunkelheit, als ob sie betete. Zwischen meinen Eltern zu liegen, aber immer näher bei ihr, der Matratzengraben wie die symbolische Grenze zum anderen, meinem Vater.

      Sie als Liebespaar wahrzunehmen, auch wenn das selten geschah. Aber so unnötig mir schien, dass sie als solches auftraten, so selbstverständlich war es auch, denn darum gab es mich. Wegen dem Mann mit Zylinder auf jenem Bild aus den Siebzigerjahren, der Frau in weißen Schlaghosen. Als Kind denkt man lieber nicht daran: Aber sobald ich zur Romantikerin wurde – auch daran werden sie ihren Anteil haben –, war es okay, mir ihre Vereinigung vorzustellen.

      Mein Vater war der erste Mann, dem ich gefallen wollte. Wer heute kritisiert, wenn ein Mädchen beim Vater den Augenaufschlag übt und ausprobiert, wie viel mit Verführung zu erreichen ist, der hat Sigmund Freud nicht verstehen wollen. So merkte ich irgendwann, dass mein Vater schon an meine Mutter vergeben war. Und wollte ihn erst recht gewinnen, so wie meine Schwestern dasselbe wollten; ein frühes Üben, schmerzhaft auch, weil man nicht immer die Erste war. Trug er uns zu dritt die Treppe hoch, so saß nur eine auf seinen Schultern.

      Nicht immer waren beide gleich anwesend, aber war der eine überfordert, übernahm der andere. Ging zum Elternabend, kochte Tee bei Fieber, tröstete, wenn eine Katze starb. Es war meine Mutter, die vieles zusammenhielt; mein Vater würde es nicht bestreiten. Mein Vater: ein Meister des Schweigens. Das habe ich von ihm. Und wie das Glück und die Geborgenheit, so blieben auch die Risse, die durch ihre Beziehung gingen. Später hörten wir meine Mutter sagen, was es durchaus an den Männern auszusetzen gab, sie könne das Heiraten nicht nur empfehlen. Meine Mutter: die das Leben liebt.

      Warum musste sich mein Vater immer rasieren? Sie begründete ihre Verordnung damit, dass ein Mann sein Gesicht nicht verstecken sollte. Und dass sie kein kratzendes Gesicht küssen möge. Also rasierte sich mein Vater, denn es gefiel ihm auch am besten so. Meine Mutter strich ihm über die Wangen.

      Auch das habe ich von ihnen gelernt.

      MEINE FREIE

       ARZTWAHL

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      Als Kind kam nur einer infrage: ein Arzt. Ich wollte einen Arzt heiraten. Und wo lernte ich einen solchen am ehesten kennen? Im Spital. Also wollte ich Krankenschwester werden. Da ich diese Pläne lesend vornahm und darob nicht mehr ansprechbar war, hielt mich schon das davon ab, tatsächlich eine medizinische Fachangestellte zu werden, wie die korrekte Bezeichnung heute lautet. Die Traumverbindung wurde mir in den Jugendbüchern »Susanne Barden« vorgeführt, drei dicke Romanbände, in denen die Titelheldin sich

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