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lässt, es aber nach dem Endkampf zerstören würde. Am Ende würde der Messias kommen, über die Bösen ein letztes Gericht abhalten und sie endgültig vernichten.

      Gott wird bei dieser Vorstellung erst einmal von der Verantwortung für das Böse entlastet. Er hat zwar den bösen Engel geschaffen, doch dieser ist aus einer freien Entscheidung heraus böse geworden. Allerdings ist bei einem solchen Denken Gott noch immer dafür verantwortlich, überhaupt einen Kosmos geschaffen zu haben, in dem eine böse Macht wirken darf. Nicht wenige apokalyptische Gruppen hatten damit ein Problem. Sie vergrößerten deshalb die Distanz zwischen Gott und dem Bösen, sodass das Böse nicht selten zu einem eigenständigen Prinzip wurde. Das Problem dabei ist, dass dieses dualistische Denken eigentlich der monotheistischen jüdischen Tradition widerspricht. Gottes Allmacht darf nicht von einem anderen – womöglich ähnlich mächtigen – Prinzip begrenzt werden.

      Die Essener von Qumran, eine der apokalyptisch geprägten jüdischen Gruppen der Zeitenwende, versuchten, den jüdischen Monotheismus mit der dualistischen Lösung des Problems des Bösen zu vereinen. Ihre Gedankenwelt wurde vor allem dadurch einer größeren Öffentlichkeit bekannt, weil im Jahr 1947 zahlreiche Schriftrollen in Qumran am Toten Meer entdeckt wurden. Der Fürst der Finsternis und seine Anhänger kämpften gegen den Fürsten des Lichts und seine Anhänger; in letzter Konsequenz aber sei der Fürst der Finsternis dem Gott Israels untertan. Dieser apokalyptische Kontext erst machte also aus dem Satan des Buches Ijob eine ganz andere Figur mit weit größeren Machtbefugnissen.

      Im apokalyptischen Judentum (wie zum Beispiel auch im iranischen Mazdaismus) ist der Kosmos zweigeteilt: Es gibt Mächte der Finsternis und Mächte des Lichts. Beide Mächte führen gegeneinander einen tödlichen Kampf. Dieser Kampf, so glaubte man, sei in seine Endphase eingetreten. Man lebte in gespannter Naherwartung der apokalyptischen Entscheidungsschlacht und der Trennung von Gut und Böse im Letzten Gericht.

      Jeffrey Burton Russell schreibt zur Frage des Bösen, wie sie zur Zeitenwende vertreten wurde und wie sie auch Jesus kennenlernte, Folgendes:

      „Die Juden … fühlten sich versucht, das Böse als dunklen Fürsten, als Gottes Widersacher zu personifizieren. Als Monotheisten lehnten sie es jedoch gleichzeitig ab, die beiden voneinander zu trennen, und hielten vielmehr daran fest, dass nur ein einziges Prinzip existieren könne, ein Gott allein. Die hebräische Position ist zweideutig, weder reiner Dualismus noch reiner Monismus. Diese Doppeldeutigkeit ist alles andere als ein Mangel, sie erweist sich vielmehr als große Tugend: Sie … lässt keine Umgehung der Frage des Bösen zu. Gott ist gut, das Böse existiert. Es gibt keine einfache Lösung des Dilemmas.“8

      Das apokalyptische Gedankengut des Judentums der Zeitenwende setzte sich in Teilen des Neuen Testaments fort, vor allem in der Johannes-Offenbarung. Markiert man mit dem Buch Daniel den Beginn der jüdisch-apokalyptischen Bewegung, so stellt die Offenbarung des Johannes den anderen Pol dieser Tradition dar – dazwischen liegt eine lebendige und beinahe ununterbrochene apokalyptische Überlieferung. Die Offenbarung des Johannes ist klar von dem österlichen Christus-Ereignis geprägt, ihre mythologischen Bilder sind Vorlage für zahllose Abbildungen in der christlichen Kunst – und in ihrer Deutung schwierig und umstritten. Im 12. Kapitel wird geschildert, wie eine sternenbekränzte Frau hochschwanger im Himmel steht, den Mond zu ihren Füßen, und im Begriff ist, ein Kind zu gebären, wie sich aber auch schon der feuerrote Drache, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern, vor ihr aufrichtet und das Kind verschlingen will. Das Kind wird sofort in den Himmel entrückt und so dem Drachen entzogen. Doch auch dort ist es vor dem Drachen nicht sicher, bis „Michael und seine Engel“ den „Drachen und seine Engel“ besiegen und aus dem Himmel werfen:

      „Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt, und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen“ (Offenbarung 12,9).

      Doch der Drache gibt nicht auf, er setzt sein todbringendes Treiben auf der Erde fort – mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Nachkommen der Frau.

      Die geballte Häufung von Namen für die widergöttliche Macht zeigt neben seiner Gefährlichkeit und Stärke insbesondere, dass diese Macht nicht mit einem Namen zu fassen ist: So vielgestaltig ist das Böse, dass es viele Bezeichnungen braucht, um es auch nur ansatzweise erfassen zu können. Satan ist der Verführer der Welt (Offenbarung 20,10), der mit ganz unterschiedlichen Strategien vor allem ein Ziel verfolgt, nämlich zum Kampf gegen Gott zu mobilisieren.

      Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zu einer Konzeption, die in Satan das widergöttliche Prinzip schlechthin verkörpert sieht. Ein solches dualistisches Denken setzt die Machtsphäre Satans allzu bald mit der Welt überhaupt in eins. Diese in den späten Schriften des Neuen Testaments niedergeschriebene Vorstellung, die die spätere Lehre vom Teufel wie keine andere beeinflusst hat, ist zwar von apokalyptischen Denkweisen geprägt, jedoch eindeutig in eine christliche, nachösterliche Vorstellungswelt einzureihen. Denn auch wenn Satan schließlich als der „Antichrist“, der Repräsentant des Bösen schlechthin erscheint, der alles Weltliche beherrscht, ist man sich trotzdem sicher: Selbst wenn der Satan mit noch so viel Gewalt zum Kampf gegen Christus aufruft, gewinnen kann er diesen letzten Kampf nicht: Sieger ist Christus.

      Nach diesem Blick in die Apokalypse des Neuen Testaments stehen nun unausweichliche Fragen im Raum: Wie steht Jesus selbst zu der Macht des Bösen? Was sagen die Evangelien?

      Die jüdisch-hebräische Gedankenwelt und die apokalyptische Überlieferung waren von großem Einfluss auf die neutestamentlichen Vorstellungen vom Bösen. Und diese Vorstellungen wiederum sind so vielschichtig, dass es keine einheitliche biblische „Lehre vom Bösen“ gibt. Man kann die Frage, was die Evangelien sagen, also nicht in einem Satz beantworten.

      Die Schriften des Neuen Testaments entstanden über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten und spiegeln die Denkhintergründe und die Lebenskontexte der verschiedenen Verfasser wider – auch die Vorstellung vom Bösen betreffend. Während die vier Evangelien sich mit Leben und Sterben des Jesus von Nazaret auseinandersetzen, entwickeln die weiteren Schriften eine Theologie nach dem österlichen Ereignis, wie sie für die Verfasser in ihrer Lebens- und Glaubenssituation maßgeblich war.

      Für das Böse gibt es im Neuen Testament zahlreiche Namen: Am häufigsten ist es der Satan (36-mal) oder der Teufel (34-mal), dazu begegnen Bezeichnungen wie „der Herrscher der Dämonen“, „der Versucher“ oder „der Fürst der Welt“. Bezeichnungen wie „Beelzebul“, „Beliar“ oder „Belial“ sind der heidnischen Götterwelt entlehnt. Später, im Volksglauben, kamen noch viele andere Namen hinzu, darunter zum Beispiel „Leibhaftiger“, „Höllenfürst“, „Gottseibeiuns“ oder „Gehörnter“.

      Die ausgeprägteste Vorstellung der synoptischen Evangelien vom Teufel spiegelt sich in der Geschichte von der Versuchung Jesu wider (zum Beispiel Matthäusevangelium 4,1 – 11). Jesus hält sich nach dieser Erzählung vierzig Tage und Nächte fastend in der Wüste auf. Der Teufel sucht wiederholt Jesus zu provozieren, ihn zu „versuchen“, und er verbindet jede seiner Anfechtungen mit den Worten „Wenn du Gottes Sohn bist …“. Diese Szene erhält dadurch programmatische Bedeutung. Denn es geht darum, Jesus als wahren Sohn Gottes zu verkünden, er hat eine messianisch-göttliche Sendung, die zu erfüllen er gekommen ist. Es ist klar, wie die Versuchungsgeschichte ausgeht: Es misslingt dem Satan, Jesus, den Sohn Gottes, zu versuchen. Jesu unbedingtes Ja zu Gott, seinem Vater, und zum Willen Gottes wird in dieser Geschichte überdeutlich. Satan verkörpert das Gegenteil: das Nein.

      Satan ist hier nicht als historisch-reale Macht oder Person zu sehen. Er steht vielmehr für eine zutiefst theologische Aussage über Jesus selbst. Die Evangelisten verorten die Versuchungsszene am Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu. Es wird also schon am Anfang der Evangelien klargemacht: Hier ist einer, der nicht wie Adam der Sünde zuneigt, sondern der als zweiter und neuer Adam einen guten Ausgang in der Bewährung vorlebt.

      Auf den ersten Blick befremdlich wirkt die Szene, in der Jesus zu Petrus sagt:

      „Weg mit dir, Satan! Geh

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