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sagte Hüetlin quengelnd, »als regierender Bürgermeister verfügt man über eigentümlichste Quellen, hat freudvoll Nutzen aus ihnen gezogen. Herr Hecker und Freunde sollen ins Zuchthaus geworfen werden. Bitte nicht falsch verstehen, Herr Doktor. Uns Konstanzern missfällt das.«

      »Die Monarchie kann getrost Ketten schmieden! Aber so leicht hält man uns nicht auf. Herr Bürgermeister darf sich wieder an den behaglichen Kamin drücken!«

      Er ließ das verdutzte Stadtoberhaupt stehen und stieß die Tür zum Versammlungsraum auf. Hüetlin, der in seiner Laufbahn immer hatte ausreden können, studierte noch Wolkenformationen und stolperte hinterher. Im Gebäude warteten Anhänger wie Gegner. Als Hecker sich einen Weg nach vorne bahnte, spuckte jemand aus: »Ungläubiger, Vaterlandsverräter!« Er ignorierte das Geschwätz und erklomm das Podest. Seinen Hut legte er neben sich auf einen Stuhl und rief in die Menge: »Es lebe die Republik! Die Republik, so hören wir, sei zwar eine exquisite Staatsform, jedoch gar nicht gerecht. Man möge doch Rücksicht nehmen auf die armen Fürsten. Deren Hab und Gut, ihr schöner Staat stehe auf dem Spiel. Na und! Reife Trauben lässt man nicht verfaulen, sondern keltert süffigen Wein aus ihnen! Reden, wie vom Äquator erhitzt, während die Tat weit oben am Nordpol eingefroren wird, führen zu nichts. Wir werden nicht länger auf unseren demokratischen Staat warten! Es lebe die Republik«, rief er noch einmal in den Saal und ging zum Ausgang. Übertriebener Applaus und Lobhudelei waren ihm zuwider. Die Wahrheit durfte man immer aussprechen, und nur das hatte er getan. Er fragte Sigel, ob er ihn endlich überzeugen konnte. Der sprang auf, fiel fast hin und versicherte, die Erhebung unter keinen Umständen preiszugeben. Hecker freute sich darüber und ging zu Willich, der ihm kräftig auf die Schulter klopfte. Drei Meter hinter ihnen stand der Bürgermeister, feuchtkalte Hände auf den Backen und flüsternd: »Heiliger Bimbam! Wo soll das bloß enden?«

      Überlingen, Stockach, Engen, Donaueschingen, zwölfter April 1848

      Struve, die Aktentasche auf Brusthöhe, wollte alleine los, in Nachbarorten weitere Bürger von der Demokratie überzeugen, seine Kolonne aufbauen und mit der Heckerschen in Donaueschingen vereinen. Hecker legte ihm die Hände auf die Schultern. Wegen des zusätzlichen Gewichts knickte er wie eine Marionette ein und die Tasche sackte Richtung Magengrube.

      »Alles im Loth, Gustav?«

      »Natürlich. Ein wenig ermüdet, wie er auch. Sonst alles in bester Ordnung. Es lebe die Republik!«

      »Es lebe die Republik!«

      Kein Überlinger wagte es, Struve in die Augen zu sehen. Lieber musterten sie seine seltsam umgürtete Tasche. Der Ortsvorsteher, für sich auch ein wichtiger Mensch, wollte Wurst und Wein kredenzen, aber Struve akzeptierte nur etwas Wasser, lauwarm. Weil sich die siebenhundert Zuhörer im kleinen Gemeindesaal auf die Füße traten, zog man im Gänsemarsch zur Kirche. Struve ging die Prozession viel zu gemächlich vonstatten. Er fauchte den Bürgermeister an. Doch der wusste auch keinen Zaubertrick, um den Ablauf zu beschleunigen, und bat mehrfach um Verzeihung, weil seine Bürger sich beim Betreten der Kirche bekreuzigten. Dem Pfarrer behagte nicht, dass dieser Fremde so flink seinen Platz einnahm. Struve kletterte mit selbstmörderischem Blick auf die Kanzel und geißelte Schandtaten der Monarchie, sprach vom Marsch nach Karlsruhe und der Notwendigkeit, sich zu bewaffnen. Man spendete Beifall, versprach gedämpft einen nicht unbedeutenden Zuzug und bedrängte ihn erneut, einen Happen zu essen. Anschließend pilgerte Struve nach Stockach und Engen, wo ein selbstgefälliger Mann namens Welte, nur in Volksversammlungen Demokrat, nicht mit Worten geizte, um Hecker zu preisen. Struve las ihm gehörig die Leviten. »Pflichten, Herr Welte! Zusammenstehen im Kampf gegen Tyrannei!«

      »Unbedingt, Herr von Struve.«

      »Nur Struve! Den fragwürdigen Titel haben wir längst schon abgelegt. In der Demokratie regiert man zusammen oder gar nicht!«

      »Abgeordnete auch?«

      »Was soll mit ihnen sein?«

      »Ein Abgeordneter thront doch buchstäblich über dem Volk, nicht wahr?«, fragte Welte mit dummfrechem Gesichtsausdruck.

      »Er hat gehörig zu lernen! Nach der Erhebung sprechen wir uns!«

      Welte nickte und mit dem Schreckensbild einer blutverschmierten Guillotine ging er zu Bett.

      Auf wunden Füßen erreichte Struve um drei Uhr in der Nacht Donaueschingen. »Muss wahr sein, denn es steht hier auf dem Papier, unterschrieben von Hecker und von von Struve«, deklamierten die Bürger und wedelten mit Schriften über die gescheiterte Erhebung. »Überhaupt kümmert sich doch eine Frankfurter Nationalversammlung um vaterländische Demokratien. So viele schlaue Menschen richten es schon und niemand muss Unruhe erzeugen.«

      Struve schüttelte den Kopf, bis ihn Drehschwindel piesackte, erklärte die ominöse Nachricht für gefälscht. Beriefen sich Monarchen auf Heckers und Struves Autorität, sei es um ihre eigene offenbar schlecht bestellt. Außerdem heiße man nur Struve! Ohne von!

      »Ach so. Aber nein. Wer sollte denn so etwas tun? Gescheite in Frankfurt kümmern sich um alles. Warum Arbeit doppelt verrichten? Auf Wiedersehen, Herr ohne von Struve, gute Reise.«

      Konstanz, vierzehnter April 1848

      Als er den Generalmarsch vernahm, rannte der Bürgermeister auf die Straße, nahm so etwas wie Haltung an und forderte Kommandant Sigel zum eigenen Erstaunen auf, die Volkswehr in Ruhe zu lassen. Franz Sigel, bereits in seinem militärischen Element, wies ihn darauf hin, dass Hecker und Struve nur Freiwillige rekrutierten. Sie könnten ihnen nun folgen oder es bleiben lassen, so wie die absente Konstanzer Volkswehr! Hüetlin stellte sich bußfertig in eine Ecke und sah dem Treiben zu. Bislang waren nur etwa fünfzig Mann bereit, für Demokratie zu kämpfen. Eine Stunde später erschienen noch etwa einhundertfünfzig Einheimische und erklärten, leider nicht am Zug teilnehmen zu können. Gründe gab es wie Sand in der Wüste: Frau, kranke Mutter, Kinder, pflegebedürftiger Hund, Broterwerb, ja und überhaupt. Herr General müsse das verstehen. Sigel nickte, ohne eine Miene zu verziehen, schickte sie davon. Als Hecker mit Willich, Schöninger, Mögling und Doll erschien, hatte er die Mitstreiter bereits in Reih und Glied aufgestellt. Hecker trug einen schwarzen Hut und lange Stulpenstiefel. Zwei große Pistolen hingen im Gürtel und an der Seite baumelte ein Säbel. Er begrüßte die vier Trommler an der Spitze, lobte alle Männer. »Ein Soldat besitzt nicht nur Tapferkeit, er ist auch ausdauernd, diszipliniert und gehorsam. Wer eine Frage auf dem Herzen hat, kann sie jetzt stellen.« Vor ihm standen Tagelöhner, Buchbinder, Schneider, Maler und Metzger, einfache Gemüter. Keiner traute sich zu sprechen. Wer Pistolen oder Säbel besaß, hatte sie mitgebracht. Sicheln, Sensen und Heugabeln waren häufiger. Sie trugen auch Proviantbündel, denn niemand sollte der Bevölkerung auf der Tasche liegen, Revolution hin oder her! Sigel setzte die Truppe in Bewegung. Hunderte Konstanzer ermunterten die Demokraten, eine gerechte Welt zu erkämpfen, und eskortierten sie entzückt bis zur nächsten Brücke. »Schön, wenn man am warmen Ofen auf bessere Zeiten warten kann!«, rief Hecker.

      Wollmatingen, vierzehnter April 1848

      Dass die Republikaner Zuzügler aufnehmen wollten, verblüffte Wollmatingens Bürger. Kundmachungen hatten die Aktion doch bereits für beendet erklärt? Hecker erklärte, dass Großherzogs Handlanger dahintersteckten. Daraufhin meldeten sich einige Männer freiwillig. Andere wurden von ihren Ehefrauen mit geballter Faust in die Revolution getrieben.

      »Hätten sie sich gleich zu Beginn dazugesellt, wäre die Truppe mächtiger gewesen und mehr Männer hätten sich ein Herz gefasst! Stattdessen mussten wir endlos die dumpfe Frage, wo denn der Rest sei, beantworten! Keine Aufopferungswilligkeit hierzulande!«

      Er bat Sigel, das Tempo zu erhöhen. Kurz vor Allensbach erschien ein Bote und führte sie zum Rathaus, wo Hecker eine knappe Ansprache hielt. Kuriere marschierten in die Nachbargemeinden, zu denen auch die Insel Reichenau gehörte. »Friert im Winter der Bodensee zu«, erklärte er Schöninger, »werfen die Reichenauer ihre Mütze auf das Eis, getreu dem Motto ›Trägt’s die Mütze, muss es auch den Mann tragen.‹ Solche Männer können wir gut gebrauchen.«

      »Erwachsene Menschen wiegen doch mehr als eine Mütze?«

      Hecker empfahl ihm, nach oben zu schauen. »Vielleicht

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