Скачать книгу

Freunde, hart sind die Entbehrungen des Volkes, vor allem auf dem Land. Dem steht ungesunder Luxus von 38 Fürstenhäusern gegenüber. Wer dieses Missverhältnis auch nur erwähnt, landet hinter Gittern! Die deutschen Lande müssen dieselben Rechte bekommen wie Amerika: Pressefreiheit, Gewissensfreiheit, Lehrfreiheit, Vereidigung des Militärs auf eine Verfassung sowie ordentliche Geschworenengerichte. Dreizehn Forderungen sind es, nicht mehr, nicht weniger! Fickler wird sie in seinen ›Seeblättern‹ und Struve im ›Deutschen Zuschauer‹ publizieren. Wir beschreiten unseren außerparlamentarischen Weg weiter und verbreiten demokratische Gedanken wie ein Feuer!«

      Karlsruhe, Dezember 1847

      Hecker marschierte vor dem Karlsruher Schloss auf und ab. Er hatte sich zu einer neuen Kandidatur bereit erklärt und war in die zweite badische Kammer gewählt worden. Vor einer Woche trat der Landtag zusammen. Am Empfang des Großherzogs nahm er nicht teil. Katzbuckeln vor dem Diktator stieß ihn ab! Viele Badener hielten seine Legitimation für unangreifbar. Man müsse nur das prachtvolle, Versailles so ähnliche Schloss betrachten, um die Verdienste des Mannes anzuerkennen, bekam er in der Stadt zu hören von Narren, die in Abhängigkeit vom Pseudo-Sonnenkönig lebten. Als ob Herr Faulpelz selbst Steine geklopft hätte! Seine zahlreichen Untertanen schufteten von morgens bis abends, um die hohen Abgaben zu erbringen. Zwei Wachen, gezwängt in schmale, spitze Häuschen, beobachteten ihn. Für Leopold arbeiteten über sechshundert Menschen: Palastsoldaten, Diener, Mägde, Hofräte, Kämmerer, Mundschänke, Zeremonienmeister, Hofjägermeister, vor dem Schloss, im Spiegelsaal und Marmorsaal mit hunderttausend Büchern und in zahlreichen anderen Räumen. Hinter dem Prunkschloss mündeten Alleen in die umliegenden Ortschaften, angelegt, um Jagdgründe zu erschließen. Markgraf Karl Wilhelms erstes Schloss in Durlach, zwischen Turmberg und Sümpfen gelegen, bot wenig Gelegenheit zur Jagd, und dann missgönnten die Bürger ihm auch noch Freudenmädchen! Es war nicht leicht, ein Diktator zu sein! In zwanzig Minuten würde Badens zweite Kammer zusammentreten, um ihre Antwort auf die Thronrede des Großherzogs zu diskutieren. In der ersten Kammer saßen für immer und ewig Prinzen, die Häupter der sogenannten standesherrlichen Familien, katholischer Landesbischof, protestantischer Prälat, acht Abgeordnete des gutsherrlichsten Adels, zwei Abgeordnete der Universitäten und acht vom Großherzog ernannte Mitglieder. Die zweite Kammer bestand aus 22 Abgeordneten der Städte und 41 Abgeordneten der Ämter. Zweijährlich fand ein Landtag statt. In der Zwischenzeit tagte ein Ausschuss beider Kammern. Ohne Bewilligung der Stände der ersten Kammer durften aber weder eine Steuer aufgelegt noch Gesetze verabschiedet werden. Hecker ließ das Schloss hinter sich und ging über den kopfsteingepflasterten Marktplatz. Bei der Pyramide über Karl Wilhelms Gruft schnitt er eine Grimasse. Angeblich war Markgräfchen hier nach dem Verdauungsschlaf die Idee zur Stadtgründung gekommen. Ein Untertan, der ebenfalls über den Platz schlenderte, hielt den Fremden für nicht richtig im Oberstübchen. Kurz vor dem Ettlinger Tor seinerseits den Kopf schüttelnd wegen des allzu pompösen Tempeldaches, bog Hecker rechts ab und ging noch dreihundert Meter geradeaus. Trotz schlechten Wetters standen einige Abgeordnete vor dem Parlamentsgebäude und plauderten. Im Haus befanden sich neben den Sitzungssälen erster und zweiter Kammer Büros der Kommissionen sowie Wohnungen von Präsidenten und Archivaren. Es kam ihm wie eine verschämte Burg vor, in der man dürftige, der Monarchie entrissene Demokratiefetzen verwahrte. Ein weißhaariger Herr winkte ihm zu. Adam Itzstein, liberaler Politiker, gehörte zu den wenigen Menschen, die ihn beruhigen konnten. Seit Jahren lud er liberale Politiker in sein Haus ein. Gemeinsam betraten sie den Sitzungssaal: hohe, mit grünem Tuch bezogene Wände, überlange Fenster, amphitheatralisch angeordnete Bänke und eine Galerie, die auf römischen Säulen ruhte. Ebenso gut hätte man sich vis-à-vis in der katholischen Kirche treffen können!

      »Grandiose Architektur, nicht wahr?«, rief eine vertraute Stimme. Er drehte sich um und Fickler klopfte ihm Gorillapranken auf die Brust. »Spannende Sitzung, aufreibender Tag!«

      Hecker winkte ab. »Dankadresse der zweiten Kammer der Ständeversammlung an seine königliche Hoheit, den Großherzog, auf seine Thronrede? Bereits die Wortwahl verleitet zum Schnarchen!«

      »Nach heftiger Ängstlichkeit kann es nur aufwärts gehen!«

      »Man wird sehen«, sagte Hecker, kaum überzeugt.

      Präsident Karl Mittermaier, in biederes Tuch gekleidet, rügte sie mit Blicken. Nichts konnte so wichtig sein wie das, was er zu referieren hatte. Abermals überzeugte er sich von der Sauberkeit seiner Brillengläser: »Durchlauchtigster Großherzog! Gnädigster Fürst und Herr! Im Namen des treuen Volkes, das beglückt durch die Worte sich fühlt, mit welchen sein geliebter Fürst in feierlicher Stunde die Vertreter des Landes begrüßte, bringen wir ehrfurchtsvolle Huldigungen unwandelbarer Ergebenheit dar.«

      »Fehlen nur noch Schalmeien«, kommentierte Hecker halblaut.

      »Doucement! Der Abgeordnete muss sich ruhig verhalten während der Eröffnung!« Demonstrativ bediente der Redner sich des Französischen, Sprache aller Vornehmen und Betuchten.

      Hecker drehte die Hand, wie um den Ablauf zu beschleunigen.

      »Wir teilen die Gefühle tiefer Betrübnis Eurer Königlichen Hoheit über den schaudererregenden Brand, welcher so viele Familien in Trauer versetzte. In lebhaftem Andenken stehen die schweren Prüfungen, welche im verflossenen Winter die Not auch unserem Vaterlande auferlegte. Eure Königliche Hoheit haben mit dem edelsten Eifer für das Wohl Ihres Volkes zur Minderung des Notstandes wohltuende Anordnungen erlassen. Eure Königliche Hoheit, gewohnt, überall, wo Hülfe notwendig ist, durch teilnehmende Unterstützung lindernd zu wirken, haben auch bei der Hülfe für Notleidende als hohes Vorbild vorgeleuchtet. Es ist nun darüber zu entscheiden, ob man angesichts der anstehenden Themen unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen sollte. Ein entsprechender Antrag dreier Mitglieder liegt vor.«

      Hecker meldete sich zu Wort: »Es gibt nicht einen Kammerbeschluss, der besagt, dass etwas in geheimer Sitzung verhandelt werden soll! Wenn ein solcher Kammerbeschluss aber nicht existiert, wird Gewalt am Recht geübt. Man kann nicht auf bloßes Verlangen einzelner Mitglieder den Saal schließen, sondern die Kammer muss den förmlichen Beschluss aussprechen. Die Sitzung betrachten wir nicht für geheim und fühlen uns auch nicht verpflichtet, ein Geheimnis darüber zu bewahren!«

      Mittermaier warf ihm Ungerechtigkeit vor, da er den Paragraphen 78 der Verfassung nicht berücksichtige. Dieser binde.

      Geheimrat Nebenius eilte dem geschätzten Kollegen Mittermaier zu Hilfe. Mit dünnem Spazierstöckchen bewaffnet, erlaubte sich der Teilnehmer der legendären Geschäftsordnungssitzungen im Jahr 1819 mahnende Worte.

      Abgeordneter Hägelin und mit ihm noch einige Mitglieder verlangten, bereits die Diskussion über die mögliche Geheimhaltung geheim zu halten.

      Hecker schmetterte die Faust auf den Tisch.

      Nebenius drückte sich die Hände auf den strapazierten Kopf. Dieser junge Mann war vraiment eine Geißel altehrwürdiger Abgeordneter!

      »Unsere Öffentlichkeit ist bedroht, wenn die Regierung drei Mitglieder findet, die da sagen, das Publikum soll hinausgejagt werden!« Hecker winkte Nebenius zu, was den Kollegen nicht zum ersten Mal erzürnte.

      Fickler applaudierte in Richtung seines Freundes und mehrere Abgeordnete schlossen sich an.

      Der Präsident schwankte hin und her. Um diesen Tumult zu beenden, musste er eine Entscheidung treffen. Niemand sollte den lieben Großherzog beunruhigen. Gerade am Tag der Eröffnung war Harmonie zu demonstrieren. Nur das prächtige Baden besaß ein Parlament. Kein Revoluzzer durfte es in Misskredit bringen! »Abstimmung«, verkündete er mit angewinkeltem Arm.

      »Unerhört«, sagte Hecker und haute beide Fäuste auf den Tisch.

      »Ruhe im Saal! Man wird nun in der Frage abstimmen. Jawohl. Der Präsident hat gesprochen!«

      »Kokolores vor allem«, rief Fickler.

      Itzstein ging zu Hecker und redete ihm zu, während Mittermaier die beiden leicht zugekniffenen Auges beobachtete. Hecker verschränkte die Arme und lauschte seinem Freund. Ohne etwas zu erwidern, drehte er sich zu Fickler um, der nickte. Um alle Ja-Stimmen zu ermitteln, benutzte der Präsident die Finger wie ein Grundschullehrer beim Einmaleins. »Vierundzwanzig

Скачать книгу