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bringe dieses Schreiben für Doktor Friedrich Hecker.

      »Her damit! Oder sollen wir den Brief gewaltsam eintreiben?«

      »Bitte nicht, nein und auf keinen Fall!«, antwortete der Mann, streckte ihm demütig das Kuvert entgegen und flüchtete.

      »Trinkgeld gespart!« Die Nachricht stammte von einem Freund aus Karlsruhe. »Mathy lässt Fickler im Bahnhof als Umstürzler festnehmen!«, prangte wie eine Zeitungsüberschrift in großen Blockbuchstaben darüber. Sein Freund saß bereits im Zug, als Mathy Bahnbeamte aufforderte, ihn zu arretieren. Die Staatsdiener lehnten es ab, ihm ohne schriftlichen Befehl unter die Arme zu greifen. Mathy herrschte einige Soldaten an, den angeblichen Landesverräter aus dem Abteil zu zerren. Gegen trainierte Körper waren Ficklers Fausthiebe vergeblich, ebenso wie seine Immunität. Fickler hatte Mathy sehr oft finanziell unter die Arme gegriffen und auch seine Wahl zum Abgeordneten unterstützt! »Dieser Judas«, fluchte Hecker, faltete den Brief zusammen und ging ins Haus. »Gefahr für Leib und Leben«, sagte er zu Josefine und drückte ihr den Brief in die Hand.

      »Um Gottes willen, Fritz!«

      »Herrgott können wir aus dem Spiel lassen! Jetzt sollen zweifelsohne Struves und unser Kopf rollen. Eine rechtswidrige Aktion wird auf die nächste folgen!«

      Den wichtigsten Brief, an Struve, schrieb er zuerst. Ihm musste er nicht viel erklären. Als er seine Unterschrift auf den weißen Bogen setzte, klopfte jemand schüchtern an der Tür, was er ignorierte. Arthur versuchte es ein zweites Mal. Hecker sagte laut »herein«, sah über die Schulter und fragte seinen Ältesten, warum er ihn störe.

      »Mutter lässt fragen, wann sie das Abendessen servieren kann.«

      »Wenn wir es nur wüssten.«

      Sein Sohn, zu jung, um die Antwort zu verstehen, rührte sich nicht von der Stelle.

      »In einer Stunde! Was denn noch, Arthur?«

      Der Junge machte große Augen, spürte, dass etwas nicht stimmte, verschwand aber folgsam.

      Vor Tagesanbruch erhob er sich, küsste seine schlafenden Kinder auf die Stirn und schloss leise die Tür. Der Abschied fiel ihm schwerer als erwartet. Er drückte Josefine an sich und griff nach dem Bündel, das bereits neben der Haustür lag.

      »Noch etwas zu besprechen?«

      »Wie lange dauert es dieses Mal?«, fragte sie und rieb sich die Hände.

      »Vermutlich eine Weile. Unsere tapfere und verständige Gattin wird aber auch diese Bürde schultern. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel.«

      »Freilich!«

      Als er auf die Gasse trat, schlug die Fünf-Uhr-Betglocke und Öllampen kämpften gegen die Dunkelheit.

      Auf die Konstanzer Betulichkeit, zwei Tage darauf, am elften April, reagierte Hecker missmutig. Ein Begrüßungskomitee war nicht zu erwarten. Nach der Verhaftung ihres Abgeordneten durften die siebentausend Einwohner aber etwas Engagement zeigen! Er spazierte am Dom vorbei und fragte sich, wie viele Untertanen man für den Bau ausgepresst hatte. Wenigstens konnte er eine Ausgabe der »Seeblätter« erstehen. Ficklers Freunde setzten seine Arbeit fort und schrieben gegen die Tyrannei an. Im Leitartikel hieß es »Der Name Mathy wird durch alle Zeiten bespiener Name, allgemeines Brandzeichen sein und bleiben für die niederträchtigste Menschenklasse, noch schlechter als Straßenräuber und Mörder, das Fluchzeichen für feige Menschen und Volksverräter!«

      »Gute Lektüre«, sagte plötzlich jemand neben ihm und presste eine Aktentasche, umgürtet mit einem Strick, in den Bauch.

      Hecker wollte Struve begrüßen, doch sein Freund wich zurück, verängstigt wie ein Tier. »Immer noch die Furcht, mit unheilbarer Krankheit infiziert zu werden?«

      Struve schüttelte den Kopf, verstockt. »Nein, doch, nein.«

      »Enthält die Arzttasche auch das Maßband für phrenologische Studien?«

      »Auf Hecker ist Verlass«, sagte Struve verbindlich, im Geist schon bei anderen Sujets.

      »Natürlich! Man kann uns vieles vorwerfen, aber Doppelzüngigkeit bestimmt nicht. Wie war die Anreise?«

      »Welche denn, bittesehr?«

      »Feinschmeckertour durch Frankreichs Regionen! Rotwein und Käse in Hülle und Fülle! Himmel hilf! Um die Strecke Mannheim/Konstanz geht es.«

      Struves Tasche gab Antwort, rutschte ein Stück nach unten.

      »Ist es zu Zwischenfällen gekommen?«

      »Gar nicht.«

      »Demzufolge war es die richtige Entscheidung, sicherheitshalber einen Umweg über die bayerische Pfalz, Frankreich und die Schweiz einzulegen?«

      »Reist man direkten Weges an, geht es schneller«, erwiderte Struve fast beleidigt, weil er das erklären musste.

      Hecker sah ihn fassungslos an. Hatte sein Freund aus Vergesslichkeit oder Ignoranz gehandelt?

      »Alles im Loth?«, fragte Struve und wünschte, man könnte sich endlich Bedeutenderem zuwenden.

      Hecker pfiff durch die Zähne und nickte. »Auf geht’s zum Badischen Hof!«

      Theodor Mögling, Württemberger, Mitglied des Vorparlamentes, sprang auf und schüttelte Hecker die Hand. Struve begnügte sich mit finsterem Nicken für alle: August Willich, ehemaliger preußischer Artillerie-Offizier, Franz Sigel aus Baden, der Rheinländer Doll, Bruhn aus Holstein und Ferdinand Schöninger aus dem Schwäbischen. Willich schlug vor, zu vespern und danach zu reden. Schleiermachers Adoptivsohn war als Zwölfjähriger in das Potsdamer Kadettenkorps ein- und vor fünf Monaten ausgetreten, weil er das autoritäre Preußen nicht mehr ertragen konnte. Mit seinem struppigen Vollbart und dem schütteren Haar hätte er Philosoph sein können wie der Ziehvater, dachte Hecker. Er war einverstanden damit, etwas zu sich zu nehmen, aber warum nicht schon während der Mahlzeit sprechen?

      Willich sah fragend in die Runde.

      »Gute Idee«, grummelte Struve. Wenn der Soldat ihm nicht zuvorgekommen wäre, hätte er das Prozedere vorgeschlagen!

      »Dürfen wir auf die Bevölkerung in der Gegend bauen?«, fragte Hecker und schnitt sich genüsslich ein Stück Salami ab.

      »Mehr denn je«, verkündete Struve, entknotete den Strick um seine Tasche und fingerte nach einem Bogen Papier. »Allein im Seekreis warten 40.000 bis 80.000 Mann darauf, sich anzuschließen.«

      »Auf dem Weg hierher hat man uns aber sehr misstrauisch gemustert«, wandte Hecker ein. »Angesichts ungezählter schriftlicher und mündlicher Aufrufe, in die Gegend zu kommen und das Banner der Republik zu schwingen, rechneten wir mit mehr Zuspruch!«

      Willich stimmte ihm zu. »Wir befinden uns in einer urkatholischen Gemeinde. Der gut gepolsterte Bischof lenkt seine Schäfchen, wie es ihm beliebt.«

      Franz Sigel, schief auf dem Stuhl sitzend, räusperte sich und wartete, bis eine geeignete Pause entstand.

      »Nun, Franz?«, meinte Hecker ermutigend.

      »Wir machten bei unserer Ankunft dieselbe Beobachtung. Allzu devot ist das Volk hier.«

      »Der Widerling von Bürgermeister stachelt die an und für sich revolutionär gesinnte Bevölkerung auf!«, rief Struve.

      »Von einem faulen Beamten wie Hüetlin lassen wir uns nicht entmutigen«, sagte Hecker. »Wenn es darauf ankommt, erlangt das Volk seine alte Zuversicht! Überhaupt sieht man Landbewohner entschlossener und glühender bei der Tat als die verweichlichten Städter. So, jetzt wird der Feldzug geplant!«

      »Wäre es angesichts der vielen Spione nicht besser, hinter verschlossenen Türen zu beratschlagen?«, fragte Sigel mit hochrotem Gesicht.

      »Wer will, kann lauschen«, erklärte Hecker. »Deshalb muss aber niemand Angst haben!«

      »Nein, um Furcht geht es nicht. Doch kennt der Feind unsere Strategie, entsteht – militärisch genau betrachtet –

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