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hab’ keinen Bock mehr.«

      »Auf was?«

      »Auf alles.«

      »Das hört sich nicht gut an«, sagte Mizzi. »Was ist denn los? Jetzt aber mal ein bissel detaillierter.«

      »Die Schule hängt mir derart zum Hals heraus«, sprudelte es da aus Steffi heraus, »daß ich ernsthaft überleg’, sofort abzugehen. Ich mag einfach nimmer. Mir ist der Streß die ganze Sach’ net wert.«

      Mizzi zog die Augenbrauen hoch und sagte eine ganze Weile gar nichts.

      »Mir ist es vor vier Jahren sehr ähnlich gegangen«, sagte sie schließlich. »Ich bin sogar schon im Zimmer vom Direx gestanden, weil ich mich abmelden wollte. Ich war einen Tag vorher achtzehn geworden und hätte keine Zustimmung meines Großvaters mehr haben müssen.«

      »Das ist bei mir anders«, erwiderte Steffi, »leider…!«

      »Jetzt laß mal alles auf dich zukommen«, sagte Mizzi. »Du wirst sehen, es wird alles halb so schlimm. Ich hab’ mich derart verrückt gemacht vor dem Abi, daß ich nicht mehr ein noch aus gewußt hab’. Dabei war alles nicht schlimmer, als jeden Tag Schule, man muß nur den ganzen Brimborium aus dem Kopf bekommen.«

      »Die Schule ist nicht alles«, murmelte Steffi.

      »Was denn noch?«

      »Hier zu Hause nervt mich auch einiges.«

      »Was denn bitt’schön…?« Mizzi sah Heidis Tochter aufmerksam an.

      Die zuckte mit den Schultern. »Alles.«

      »Du fühlst dich wegen des Abistresses unwohl«, erwiderte Mizzi, »und schiebst es auf deine Umgebung. Auch das kenn’ ich. Der Großvater hat allerhand aushalten müssen.«

      »Das ewige Bevormunden nervt mich«, sagte Steffi. »Ich kann tun und lassen was ich will, die behandeln mich immer wie ein kleines Kind. Dabei geht die Mutti ja noch einigermaßen, aber Luise…! Tu dies, tu das. Ein Madel in deinem Alter tut das aber net, ätzend. Bei der Mutti nervt, daß sie mich zwar als erwachsen behandelt, mich aber trotzdem beobachtet.«

      Da mußte Mizzi lachen. »Entschuldige, aber du widersprichst dir auch.«

      »Ich weiß«, erwiderte Steffi, »ich sag’ ja, alles nervt mich im Moment, mich eingenommen.«

      »Ich mach’ dir mal einen Vorschlag…!« Mizzi lächelte Heidis Tochter freundlich an.

      »Da bin ich aber mal gespannt.«

      »Wir beide gehen in den nächsten Tagen mal ein bissel unter die Leut’«, sagte Mizzi.

      »Wie meinst du das denn?«

      »Was hältst du von einem Abend im ›Mozart‹?«

      Das von Adrian betriebene Café »Mozart« in der Oberstdorfer Innenstadt war das absolute In-Café der Gegend. Hier verkehrte total verschiedenes Publikum, wobei die Jungen den Ton angaben, aber wo auch ältere die besondere Atmosphäre zu schätzen wußten.

      Steffi lachte kurz auf. »Was meinst du, was das für einen Aufstand gibt, wenn ich sag’, daß ich abends mal ins ›Mozart‹ will. Die merken gar nicht, wenn sie die Oberaufsicht spielen. Als wenn ich mich zukiffen oder mit jedem ins Bett steigen würd’.«

      Da zog Mizzi die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf, wobei ein schmales Lächeln ihre Lippen umspielte.

      »Wenn ich dir jetzt sag’, daß ich mich danach gesehnt hab’, von einer Mutter oder wegen mir auch Großmutter genervt zu werden, dann hört sich das superblöd an«, sagte sie, »das weiß ich, aber es war trotzdem so. Ich hab’ regelrecht Sehnsucht nach einer Mutter gehabt, dabei hätte ich wer weiß was in Kauf genommen.«

      »Echt…?« Steffi sah Mizzi zweifelnd an.

      Doch die nickte. »Ganz echt. Ich hab’ meine Eltern und die Großmutter ja bei einem Autounfall verloren. Damals war ich sechs und noch nicht mal in der Schule. Ich war immer nur mit dem Großvater und wechselnden weiblichen Personen, die den Haushalt führten, zusammen.«

      Da sah Steffi unter sich. »Du willst mir sagen, daß ich nicht zu schätzen weiß, daß ich Mutter und Großmutter hab’, oder?«

      Mizzi schüttelte den Kopf. »Gar net mal. Ich will eigentlich nur aufzeigen, daß kein Leben perfekt verläuft und daß jeder sein Packerl tragen muß. Dabei kommt es dann net auf das Packerl an, sondern darauf, wie man damit klarkommt. Das gilt für den König und für den Bettelmann gleichermaßen.«

      *

      Josie war am nächsten Vormittag verschwunden. Ulla und Jürgen hatten nach Kempten fahren und Josie hatte sie begleiten wollen.

      »Ich hab’ sie vorhin noch gesehen«, sagte Luise, als Ulla in der Küche nachschauen kam.

      »Und wo hast du sie gesehen…?«

      »Da draußen.« Luise zeigte hinters Haus. »Es hat ausgesehen, als ob sie wohin wollt’.«

      »Aber dann hätt’ sie uns doch Bescheid gegeben«, erwiderte Ulla.

      »Vielleicht auch net«, sagte Luise. »Ich rat’ euch, setzt euch in den Wagen und fahrt nach Kempten. Wenn die Josie net da ist, dann ist sie halt net da.«

      Während man sich im Bergerhof über Josie unterhielt, war die wieder hinauf zur Barbara-Kapelle gestiegen. Denn dort hatte sie bei ihrem letzten Besuch Sebastian Heller kennengelernt, einen jungen Maler, der dabei war, für die Barbara-Kapelle einige Wandgemälde auszuarbeiten.

      Rainer hatte es bei ihrem ersten Besuch der Kapelle nicht solange ausgehalten wie Josie, der es dort sehr gut gefallen hatte und während sie die einmalige Aussicht genoß, war Sebastian dahergekommen, hatte sich vorgestellt, seine Utensilien ausgepackt und Wandflächen auszumessen begonnen.

      Josie hatte wissen wollen, was er da mache, und der junge Bursche hatte es ihr erklärt. Nach wenigen Minuten schon hatte Josie ihm zwar auch noch zugehört, vor allem aber hatte sie ihn angesehen. Seine weichen Züge, die sinnliche Mundpartie, sein Blick, der sie ganz und gar verzaubert hatte und seine schmalen, langgliedrigen Hände, alles faszinierte sie so sehr, daß sie ihn gefragt hatte, wann er wieder da sei.

      Sebastian hatte es ihr gesagt, und sie hatte ihre Verabredung mit Ulla und Jürgen vergessen und war erneut zur Barbara-Kapelle gegangen, wo Sebastian bereits dabei war, erneut Maß zu nehmen.

      »Da bist du ja wieder«, sagte er, wobei man ihm deutlich ansah, daß er sich freute, Josie wiederzusehen.

      Josie bekam auch gleich rote Wangen, lächelte und meinte: »Ich hab’ gestern den ganzen Tag an dich gedacht.«

      Sebastian war siebenundzwanzig Jahre alt, studierte an der Kunstakademie in München und stammte aus Balding, wo seine Mutter in einem von Franz Vordereggers Fremdenverkehrsbetrieben beschäftigt war. Sein Vater hatte sie vor Jahren schon verlassen, worunter Sebastian sehr gelitten hatte.

      Sebastian hatte eine Mappe dabei, denn er hatte Josie versprochen, einige seiner Werke mitzubringen.

      »Aber nur ein paar Zeichnungen«, hatte er gesagt, »was ich so in eine Mappe packen kann.«

      Josie hatte nicht damit gerechnet, daß er daran gedacht hatte, doch als er ihr die Mappe gab, schlug ihr Herz plötzlich heftiger als sonst, und sie spürte, daß die Begegnung mit dem jungen Maler für sie etwas ganz Besonderes war.

      Während Sebastian im Inneren der Kapelle weiter Maß nahm, öffnete Josie die Mappe, indem sie zwei zu einer Schleife verschlungene Bänder löste und die Mappe aufschlug.

      Obenauf lag eine Bleistiftzeichnung, die ein ineinander verschlungenes Liebespaar zeigte. Josie war von der Ausdrucksstärke der Zeichnung angetan, und als sie weiter blätterte, versank die Welt um sie herum.

      Die Zeichnungen, es waren meistens Feder- oder Kohlearbeiten, aber auch Rötel und einige Aquarelle waren dabei, verzauberten sie, erst als Sebastian sich neben ihr räusperte, fand sie zurück in die Realität.

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