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Brett als Insolvenzjurist sein: Einer der besten und bekanntesten Fachanwälte der Republik auf diesem Rechtsgebiet. Im Verlauf der nächsten Monate wird sich zeigen: Das ist er auch. Fachlich.

      Jaffé ist beides: Bewaffnet mit einem enormen Selbstbewusstsein, ein wenig großspurig, ja. Hemdsärmelig. Aber keineswegs unsympathisch. Er signalisiert jedenfalls ab der ersten Minute, wer hier künftig der Boss ist. Er erzählt kurz über seine Kanzlei, die Groß-Insolvenzen, die er bereits abgewickelt hat, darunter auch die Kirch-Gruppe, umreißt die Gesamtsituation P&R, sieht sie durchaus nicht hoffnungslos, erwähnt die ungeheuren Vermögenswerte im Unternehmen und vor allem: Er betrachtet es als Glücksfall, eine so kleine Mannschaft bei so hohen vorhandenen Vermögenswerten vorzufinden. Fünfundzwanzig Angestellte. Und signalisiert, dass man diese Mitarbeiterstärke wohl in jedem Fall weiterhin beschäftigen wird. Möglicherweise über Jahre.

      Jaffé vermittelt glaubhaft, dass trotz möglicher Fehlbeträge doch mehrere Milliarden an Vermögenswerten vorhanden sein sollten, die nun, in den Folgemonaten, genau festzustellen sind. Die Wahrheit kann er nicht kennen zu diesem Zeitpunkt. Der Gesamteindruck also, inhaltlich, auch in den Botschaften und Signalen, die Jaffé sendet, sind positiv. Die Mannschaft hat das Gefühl, dass dieser Mann alles im Griff hat. Routinen. Das Unternehmen ist nicht tot.

      Nur erneut knapp zwei Monate später wird Jaffé nach der vorläufigen ersten Vermögensfeststellung entdecken: Von 1,6 Millionen Containern, die Anleger erworben haben, existieren nur rund 600.000.

      EINE MILLION FRACHTCONTAINER, KNAPP ZWEI DRITTEL, GIBT ES NICHT.

      Eine Million Frachtcontainer – aneinandergereiht die Strecke von Hamburg nach New York. Es wird sich zeigen: Es gab sie nie. Nicht in der Schweiz. Nicht bei den Leasingpartnern. Nicht bei den Reedereien. Nicht auf Schiffen. Nicht in irgendwelchen Umschlaghäfen. Knapp zwei Drittel dieses Milliardenvermögens, mit dem Jaffé für sich und die Anleger fest gerechnet hat, ist nicht vorhanden. P&R hat seinen Anlegern eine Million Container verkauft, die niemals angeschafft worden waren. Eine Million Mal Luft gegen Milliardeneinnahmen. 5

      Diese später in den Gutachten auch offiziell bestätigte Erkenntnis ist für alle an dieser Insolvenz Beteiligten und Betroffenen niederschmetternd. Aus der Mega-Insolvenz ist der größte Anlegerbetrug der deutschen, wohl europäischen Nachkriegsgeschichte geworden.6 Die Anleger wissen davon noch nichts zu diesem Zeitpunkt. Der Konzerneigentümer Heinz Roth weiß es. Schon lange.

      Die Dimension ist in diesen Augenblicken nicht fassbar, nicht glaubhaft, für all jene, die dabei sind. Es wirkt surreal. Vor allem, wenn man später erfahren wird, dass dieses Betrugssystem seit mindestens zehn bis fünfzehn Jahren schon betrieben wird. Erfolgreich, wenn das Wort gestattet ist an dieser Stelle. Wie ein solch gigantisches Milliarden-Schneeball-System über so viele Jahre funktionieren kann, unentdeckt, ist selbst für einen wie Jaffé unvorstellbar, wie er selbst sagt. Es werden weitere Entdeckungen folgen.

      Heute, im März 2021, also knapp drei Jahre nach der Insolvenz, ist die Bilanz der Ermittlungen mehr als dürftig: Drei mutmaßlich Hauptverantwortliche mit dem Vorstandsvorsitzenden Werner Feldkamp (†5.2016), dem Vorstand Vertrieb Wolfgang Stömmer (†6.2018) und Konzerneigentümer Heinz Roth († 12.2020), sind tot. Ungeklärter Tod, Suizid, Erkrankung. Alles dabei.

      Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen noch lebende mutmaßlich Beteiligte Führungskräfte aus Deutschland und der Schweiz gestalten sich als zähe Ermittlungen, möglicherweise ergebnislos, wie der Staatsanwalt Ende 2020 gegenüber dem Spiegel (Heft 49 I 2020)7 zugeben muss.

      Das Verfahren gegen den letzten Geschäftsführer, Martin Ebben, ist im Juli 2020 eingestellt worden. Er hat angeblich zu wenig gewusst, um etwas begriffen zu haben. Sieht auch die Staatsanwaltschaft I in München so.8 Die Zivilgerichte urteilen in ersten Haftungsklagen gegenteilig.9

      Insgesamt die Justiz-Bilanz nach drei Jahren: Ein monströser Milliardenbetrug – aber keiner will es gewesen sein. Und Tote kann man nicht mehr anklagen.

       1975

       Kapitel 2

       Das geniale Geschäftsmodell des Heinz Roth

       Die Finanzierung eines Milliardenmarktes durch Kleinanleger

      Wir schreiben das Jahr 1975. Heinz Roth hat eine Idee: Die Vorfinanzierung großer Containerflotten durch private Investoren. Eine Idee, die so einfach ist und damals so naheliegend, dass man sich fragen darf: Warum haben große, leistungsfähige Investmentgesellschaften oder Banken dieses Geschäft nicht selbst betrieben? Wahrscheinlich weil es war, wie so oft mit guten Ideen: Viele denken daran. Aber nur einer setzt sie um. Heinz Roth macht es. Zusammen mit seiner damaligen Partnerin Heidrun Pfeiffer. Die neue Firma: Pfeiffer & Roth. Abgekürzt P&R. Die erste Gesellschaft, am 23.12.1975 eingetragen als P&R Pfeiffer & Roth GmbH, seit 21.07.1983 in Grünwald bei München, ab 18.05.1993 als P&R Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH umfirmiert.10

      Frachtcontainer als standardisierte und überall einsetzbare Transportkisten gibt es damals noch nicht sehr lang. Seit den 60-er Jahren. Eine Revolution in der internationalen Transportlogistik und im weltweiten Warenverkehr. Standardisierte Kisten, stapelbar wie Legosteine, einfach zu be- und entladen, also umzuschlagen, wie man es nennt. Ein Milliarden-Wachstumsmarkt entsteht. Fracht-Schiffe, Flugzeuge, LKWs und Güterzüge werden für den Transport der Stahlboxen standardisiert, genormt und umkonstruiert. Die größten Seehäfen werden für den Warenumschlag mit Containern umgerüstet. Und in den 70-er Jahren? Beträgt der weltweite Anteil der Waren, die in Containern transportiert werden, gerade einmal zwanzig Prozent des Warenverkehrs insgesamt. 2020 liegt die Quote bei 80 Prozent. Dazu gigantische korrespondierende Wachstumsraten im Welthandel gesamt in den vergangenen vierzig Jahren. Ein astronomischer Wachstumsmarkt also. Die gesamte weltweite Transport- und Logistikindustrie will diese Stahlboxen später, seit Malcom Purcell McLean (*1913 – +2001) die Idee dazu hatte: 1956 fährt das erste Containerschiff, die Ideal X, mit 56 Containern von New York nach Houston. Gegen enorme Widerstände, wie die der Gewerkschaften, die Massentlassungen fürchten. Die Europäer erkennen die Revolution zunächst nicht, sehen nur ein Nischengeschäft in den standardisierten Boxen. Erst 1966, also nur neun Jahre vor Heinz Roths Idee, fahren die ersten Übersee-Frachtcontainer nach Europa. Heute in allen Größen und Ausprägungen. Zwanzig Fuß Standardcontainer, abgekürzt einfach durch 20". Doppelt so große 40"- Container. Übergrößen wie High-Cubes, Spezialcontainer wie Kühlcontainer, Schüttgutcontainer, Gefahrengutcontainer. 2016 waren rund 38 Millionen TEU, so die Standard-Einheit für einen 20-Fuß-Container, weltweit unterwegs. Sie wurden 698 Mio. mal im Jahr umgeschlagen. 75% aller Waren im Stückgutverkehr werden allein in Seefrachtcontainern transportiert. Eigentümer sind Leasinggesellschaften (51%), Reedereien (43%) und sonstige Transportgesellschaften (6%).11 Und: Für den reibungslosen Containerumschlag werden pro Schiffs-TEU (ein TEU entspricht einem 20“- Standardcontainer) knapp zwei Container-TEU benötigt. Man benötigt also mehr Container, als es den Ladekapazitäten aller Schiffe weltweit entspricht.

      Vor allem – darin liegt 1975 das geniale Geschäftsmodell des Heinz Roth – Leasingfirmen oder Reedereien benötigen Finanzierungspartner für die Anschaffung von hunderttausenden, ja Millionen von Containern. Milliardenbeträge, die sie selbst nicht aufbringen können. Nicht wollen. Liquidität wäre gebunden. Ein gigantisches Geschäft. Das erkennt Roth, nur wenige Jahre nachdem es überhaupt die standardisierten Stahlboxen in Europa gibt, die die Logistikbranchen revolutionieren werden. Er setzt seine Idee um. Er ist ein Macher. Ein Unternehmer. Intuitiv. Kein Theoretiker. Kein Akademiker. Keiner, der lange fackelt. Er hat ein gutes Gefühl für das richtige Geschäft zur richtigen Zeit. So hat ihn sein Sohn Harald 2012 beschrieben. Tatsächlich wohl, so die Legende, besteht der ganze Roth-Businessplan, wie man es heute nennen würde, 1975 aus einer hingerotzten Skizze auf einem Schmierzettel, der später im P&R-Markenbuch abgebildet wird. So strickt man Legenden. Der sprichwörtliche Bierdeckel, wie Feldkamp, der langjährige Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzende, einmal in Plauderlaune erzählt haben soll, über diese Anfänge einer Milliarden-Idee: Die Vor-Finanzierung der benötigten Container

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