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lassen, für den ich mich leider nie interessiert habe. Das hat meiner Anwältin gar nicht gefallen, sie hat immerzu mißbilligend den Kopf geschüttelt. Also, es kann gut sein, daß ich von Robert keinen Cent bekomme. Und du glaubst doch selbst nicht, daß ich mich in die Abhängigkeit meiner Eltern begebe? Du kennst sie schließlich.«

      »Allerdings!« Rosemarie Hagen konnte nicht verhindern, daß ihr dieser Ausruf herausrutschte. Sie hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt und fragte: »Was für einen Job suchst du denn? Das ist doch sicher nicht so einfach?«

      »Ich könnte Taxi fahren«, antwortete Mareike seelenruhig. »Ich kenne jede Ecke in Berlin, und Autofahren kann ich gut, wie du weißt.«

      »Das ist ein ziemlich öffentlicher Job«, warnte ihre Tante. »Wenn dich jemand erkennt, kann das äußerst unangenehm werden.«

      »Mich erkennt schon keiner«, erwiderte Mareike unbekümmert. »Wer sieht sich schon eine Taxifahrerin genau an? Und ich werde eine Schiebermütze und abgewetzte Klamotten tragen, mich nicht schminken und nichts – du wirst sehen, kein Mensch wird mich erkennen.«

      »Na, ich weiß nicht.« Die Stimme ihrer Tante klang skeptisch.

      »Ach, mach dir um mich keine Sorgen, Tante Rosi. Wenn alles schief läuft, habe ich ja noch dich.«

      Sie lachten beide, und als Mareike gleich darauf auflegte, freute sie sich auf einmal unbändig auf ihr neues Leben.

      *

      »Was sagen Sie da?« fragte John Tanner.

      »Frau Sandberg ist angeblich seit längerer Zeit nicht im Reitclub gewesen«, wiederholte Esther Berger. »Ich habe mich nach ihr erkundigt, aber niemand wußte etwas. Sie haben alle angenommen, daß sie krank ist.«

      John sah sie ungläubig an. »Aber doch nicht so lange!« rief er. »Schon als ich den Unfall hatte, war sie ein paar Tage nicht da gewesen.« Er wurde ganz aufgeregt. »Da ist bestimmt etwas passiert, Frau Berger. Sie wissen doch auch, wie gern Frau Sandberg reitet! Darauf würde sie nicht verzichten, wenn nicht etwas wirklich Ernsthaftes sie daran hindern würde!«

      Esther betrachtete ihn nachdenklich.

      Wenn sie noch den geringsten Zweifel gehabt hätte, daß John Tanner Mareike Sandberg liebte, dann wären sie spätestens jetzt ausgeräumt gewesen.

      »Ja, allmählich habe ich auch das Gefühl, daß da etwas nicht stimmt«, meinte sie nachdenklich. »Ich könnte ja mal bei Sandbergs anrufen – obwohl ich Frau Sandberg eigentlich nicht gut genug kenne, um das zu tun.«

      »Mir haben Sie es schließlich auch geraten«, erinnerte er sie. »Und ich kenne sie kaum besser als Sie.«

      Sie lächelte fein, sagte aber nichts. Natürlich stimmte nicht, was er gesagt hatte, und er wußte es auch ganz genau. Aber wenn es ihm half, seine Gefühle zu leugnen, dann würde sie ganz bestimmt nichts dagegen unternehmen.

      Was aber würde Mareike Sandberg sagen, wenn sie von diesem Unfall erfuhr? Esther war fast sicher, daß sie bisher noch nichts davon wußte. Sie hätte sich sonst bestimmt bereits in der Klinik sehen lassen. Denn Mareike hegte für John die gleichen Gefühle wie er für sie, davon war Esther längst überzeugt.

      »Gut«, versprach sie. »Ich werde dort anrufen. Und ich sage Ihnen sofort Bescheid, wenn ich etwas Neues höre.«

      Er war ganz blaß geworden. Noch immer wollte er nicht, daß Mareike ihn so krank und hilflos sah – aber noch viel weniger wollte er, daß sie selbst krank und hilflos war. Dieser Gedanke war ihm unerträglich.

      *

      »Wie geht es Herrn Tanner?« erkundigte sich Julia Martensen bei ihrem Kollegen Adrian Winter.

      »Nicht besser, nicht schlechter«, antwortete dieser. »Die Neurologen machen regelmäßige Untersuchungen, aber er spürt noch immer nichts – an beiden Unterschenkeln nicht. Und er selbst geht sowieso davon aus, daß er nicht wieder wird laufen können.«

      »Wieso eigentlich?«

      »Ich weiß es nicht. Meine Schwester kennt ihn übrigens. Ihre Theorie ist, daß er versucht, sich zu schützen. Wer zuviel erhofft, kann schlimmer enttäuscht werden als jemand, der keine große Hoffnung hat.«

      »Womit er recht hat«, meinte Julia. »Und wenn es ihm hilft…«

      »Das bezweifle ich eben, Julia. Er mobilisiert einfach keine Kräfte. Als ob er keinen Lebenswillen mehr hätte.«

      »Ein so junger Mann«, sagte Julia. »Und so begabt, hast du gesagt.«

      »Ein Künstler!« bestätigte

      Adrian. »Aber ich werde das Gefühl nicht los, daß ihm noch etwas anderes Kummer bereitet als sein Gesundheitszustand.«

      »Die Liebe?«

      Adrian hob ratlos die Schultern. »Ich weiß es nicht, Julia. Aber etwas bedrückt ihn. Ganz sicher.«

      »Hast du deine Schwester mal danach gefragt? Ich meine, wenn sie ihn kennt, dann weiß sie doch vielleicht, was mit ihm ist.«

      Er schüttelte den Kopf. »Auf diesen naheliegenden Gedanken bin ich bisher nicht gekommen«, gestand er. »Aber das werde ich nachholen. Sie kennen sich zwar nicht sehr gut, aber ich glaube, Esther hat einen hervorragenden Draht zu ihm. Sie findet die richtigen Worte, wenn sie mit ihm spricht. Das macht sie besser als ich.«

      Julia lächelte. Der junge Notaufnahmechef war wieder einmal viel zu bescheiden, fand sie. Aber sie widersprach ihm nicht.

      *

      »Guten Tag, hier ist Dr. Berger, ich würde gern Frau Sandberg sprechen, wenn das möglich ist.« Esther fragte sich, was das für ein Lärm war, der ihr durch den Hörer entgegenschallte. Es klang, als würde im Hause Sandberg ein großes Fest gefeiert. Wenn das so war, dann war die Dame des Hauses ganz sicherlich nicht schwer krank.

      »Wie ist Ihr Name?« fragte die reservierte Stimme am anderen Ende.

      »Dr. Berger. Esther Berger. Wir kennen uns vom Reiten, Frau Sandberg und ich.«

      »Einen Augenblick bitte.«

      Esther wartete. Lautes Lachen war zu hören, eigentlich war es eher ein Kreischen. Sie fröstelte ein wenig. Irgendwie hatte sie sich eine Abendgesellschaft bei Sandbergs immer höchst kultiviert vorgestellt. Aber das, was sie hörte, klang alles andere als kultiviert.

      Ihre Gedanken wurden durch eine eisige Männerstimme unterbrochen. »Sandberg.«

      »Oh«, sagte Esther. »Ich wollte eigentlich gern mit Ihrer Frau sprechen, Herr Sandberg. Mein Name ist Esther Berger.«

      »Und was wollen Sie von meiner Frau?«

      Esther spürte, wie sich ihr die Nackenhaare sträubten. Auch ihre Stimme wurde nun sehr kühl. »Das würde ich ihr gern selbst sagen, wenn Sie gestatten.«

      »Ich gestatte nicht. Sonst noch etwas?«

      Esther brauchte zwei Sekunden, um ihre Fassung wiederzugewinnen, aber das war bereits zu lang. Robert Sandberg hatte aufgelegt.

      Im ersten Augenblick konnte sie es kaum glauben. Dann fing sie an, erregt in ihrer Wohnung auf und ab zu laufen, um sich wieder zu beruhigen.

      »Das gibt’s doch gar nicht«, schimpfte sie. »Das kann doch einfach nicht wahr sein! Was ist das denn für einer? Wofür hält er sich überhaupt?« Sie führte noch mehrere Minuten lang Selbstgespräche, so aufgebracht war sie über die Unverschämtheit des Mannes, mit dem die sanfte Mareike Sandberg verheiratet war.

      »Wie konnte sie nur ein solches Ekel heiraten?« fragte sich Esther laut. »Der hält sie ja offenbar wie eine Gefangene, wenn er auch noch kontrolliert, mit wem sie telefonieren darf und mit wem nicht.«

      Sie blieb stehen und dachte nach. Dann ging sie zu einem großen Sessel und ließ sich hineinfallen. Und nun? Was sollte sie tun? Es war ganz offensichtlich zwecklos, noch einmal bei Sandbergs anzurufen. Sie zweifelte nicht daran, daß es ihr genauso ergehen würde wie beim

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