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sie gefahren ist.« Er widmete sich seiner Zeitung und schien seinen Zorn völlig vergessen zu haben.

      Die Hauswirtschafterin blieb noch einen Augenblick stehen, als erwarte sie, daß er noch einmal das Wort an sie richte. Als das nicht geschah, verließ sie lautlos das Zimmer.

      *

      Esther Berger war mit Luna auf dem Rückweg, als sie John Tanner begegnete.

      Sie zügelten beide ihre Pferde und blieben nebeneinander stehen. Nachdem sie einander freundlich begrüßt hatten, fiel ihr sofort auf, daß er traurig und bedrückt wirkte.

      »Ist etwas passiert?« fragte sie.

      Sein Gesicht verschloß sich sofort, und sie fügte rasch hinzu: »Tut mir leid, ich wollte nicht neugierig sein. Aber Sie sehen nicht gerade glücklich aus.«

      »Das bin ich auch nicht«, antwortete er, gab aber keine weitere Erklärung ab.

      Sie nahm ihm nicht übel, daß er ihr keine Antwort gab, sie kannten sich schließlich nicht besonders gut. Sie wollte sich eben mit einem aufmunternden Satz von ihm verabschieden, als er sie unvermittelt fragte: »Sagen Sie, Frau Berger, haben Sie Frau Sandberg in der letzten Zeit gesehen?«

      Aha, dachte Esther, daher weht der Wind. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, schon länger nicht mehr. Und jetzt, wo Sie danach fragen, fällt mir ein, daß ich neulich schon einmal darüber nachgedacht habe, ob sie vielleicht krank ist. Wir sind uns sonst ja doch regelmäßig über den Weg gelaufen.« Sie dachte kurz nach und korrigierte sich dann lächelnd. »Oder besser gesagt: ›geritten‹. Sie haben also auch nichts von ihr gehört?«

      »Nein«, antwortete er. »Und es beunruhigt mich, ehrlich gesagt.« Er sprach es nicht aus, daß er deshalb so unglücklich aussah, aber Esther spürte intuitiv, daß das der Grund war.

      »Haben Sie sie nicht einmal angerufen?« fragte sie betont sachlich. »Schließlich reiten Sie öfter gemeinsam. Sie sind im selben Club, da liegt es doch nahe nachzufragen, ob Frau Sandberg krank geworden ist.«

      »Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen«, gestand er mit einem schiefen Lächeln. »Ich kenne ja ihren Mann auch gar nicht. Frau Sandberg und ich treffen uns immer nur beim Reiten. Es käme mir wie ein Eindringen in ihre Privatsphäre vor, wenn ich sie zu Hause anriefe.«

      »Seien Sie nicht albern, Herr Tanner!« rief Esther unwillkürlich, bereute es aber im selben Augenblick. »Entschuldigung«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Heute sage ich ständig das Falsche, scheint mir. Ich mische mich in Dinge ein, die mich gar nichts angehen.«

      »Tun Sie das ruhig«, sagte John und lächelte sie an. »Sie machen das ganz richtig, und für mich ist es im Augenblick außerordentlich erfrischend, wenn jemand einfach nur normal reagiert, statt mich in meinen Bedenken zu bestärken.«

      »Wenn Sie das so sehen, dann rufen Sie doch endlich an!« sagte Esther lachend. »Auf Wiedersehen, Herr Tanner. Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, will ich hören, was Sie erfahren haben!« Sie trieb Luna an, die ohnehin schon ungeduldig geworden war, und stob davon.

      John sah ihr lächelnd nach. Eine sehr nette Frau war diese Frau Dr. Berger. Sie hatte das Herz auf dem rechten Fleck.

      *

      Robert Sandberg lief in dem holzgetäfelten Sitzungszimmer der altehrwürdigen Rechtsanwaltskanzlei auf und ab, während er zugleich mit beherrschter Stimme seinem Anwalt vortrug, wie er mit seiner Noch-Ehefrau Mareike umzugehen habe.

      »Keinen Cent bekommt sie von mir«, sagte er kalt. »Haben Sie das verstanden? Keinen Cent! Sie hat mich böswillig verlassen, und…«

      »So einfach ist das nicht, Herr Sandberg«, versuchte der Anwalt einzuwenden, doch sein prominenter Mandant ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Dann machen Sie es gefälligst so einfach!« fauchte er. »Ich habe keine Lust, wie der letzte Idiot dazustehen, verstehen Sie das?«

      »Ein wenig Großzügigkeit würde vermutlich souveräner wirken«, gab der Anwalt zu bedenken.

      »Und es würde Ihnen nicht weh tun, Herr Sandberg.«

      Zum erstenmal unterbrach der Industrielle seine Wanderung und blieb direkt vor dem Schreibtisch stehen, hinter dem der Anwalt saß. »Was soll das heißen? Daß ich Mareike, die ich immer gut behandelt habe – was sage ich da? Gut? Wie eine Prinzessin habe ich sie behandelt! – also, daß ich Mareike, die mich ohne ein Wort der Erklärung verlassen hat, dafür auch noch bezahlen soll?«

      Der Anwalt versuchte es erneut. »Herr Sandberg, Ihre Frau sieht die Sache vermutlich völlig anders.«

      »Es ist mir egal, wie sie die Sache sieht, denn das spielt überhaupt keine Rolle!« Robert Sandberg setzte seinen arrogantesten Blick auf, und der Anwalt unterdrückte einen Seufzer. Der Mann hatte noch einen langen Weg vor sich, wenn er weiterhin so selbstherrlich auftrat. Die Medien würden den Fall, wenn er erst einmal bekannt wurde, begeistert aufgreifen, und er war ziemlich sicher, daß sie nicht Robert Sandbergs Partei ergreifen würden.

      »Ihre Frau wird sich ebenfalls einen Anwalt suchen, und der wird die Angelegenheit in einem anderen Licht erscheinen lassen. Sie können sich darauf verlassen, daß sie Gründe für ihren Schritt anführen wird…«

      »Was für Gründe denn?« schrie Robert Sandberg aufgebracht und nahm seine Wanderung durch den Raum wieder auf. »Es gibt keine Gründe.«

      »Untreue zum Beispiel«, sagte der Anwalt trocken. »Das wäre durchaus ein Grund.«

      »Untreue?« Das Gesicht seines Mandanten wurde rot vor Zorn. »Ja, wer sagt denn so etwas?«

      »Hören Sie auf, Herr Sandberg.« Die Geduld des Anwalts war erschöpft, man hörte es seiner Stimme deutlich an. »Jeder in dieser Stadt weiß, daß Sie ständig Freundinnen haben. Mir müssen Sie nichts vormachen, denn mir ist das vollständig gleichgültig, das versichere ich Ihnen. Aber vielleicht war es Ihrer Frau nicht gleichgültig. Hat sie nichts davon gesagt?«

      »Ich habe nicht so genau zugehört«, antwortete Robert Sandberg mürrisch. »Sie hat eine ganze Menge gesagt. Eine Menge dummes Zeug, meine ich. Also, was soll ich jetzt tun?«

      Na endlich, dachte der Anwalt erleichtert.

      Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, den Industriellen so weit zu bringen, daß er zumindest bereit war zuzuhören. Mit ruhigen Worten begann er, sein Konzept darzulegen. Ob Robert Sandberg sich auf seine Vorschläge einlassen würde, stand auf einem anderen Blatt. Aber zumindest mußte er sich dann später nicht vorwerfen lassen, nicht alles versucht zu haben, um den Mann zur Vernunft zu bringen.

      *

      Ja, dachte John, er würde einfach bei Mareike Sandberg zu Hause anrufen. Etwas Unverfänglicheres gab es schließlich nicht, er brauchte ja noch nicht einmal einen Vorwand. Die Erklärung lag doch auf der Hand, wie Esther Berger bereits sehr richtig festgestellt hatte. Sie trafen sich immer im Reitclub, und jetzt war Mareike dort schon länger nicht mehr aufgetaucht. Völlig normal, daß er auf die Idee kam, sich zu erkundigen, ob etwas passiert war.

      Er trieb sein Pferd an, und in gestrecktem Galopp flogen sie über den Reitweg, der direkt am Waldrand entlangführte. John genoß die Geschwindigkeit, und auf einmal fühlte er sich wieder leicht und froh. Warum hatte er es sich nur so schwer gemacht in den letzten Tagen? Da mußte erst eine Frau wie Esther Berger kommen und ihm sagen, was er tun sollte?

      Ein ohrenbetäubendes Geräusch war plötzlich über ihm. Er begriff, daß es ein Hubschrauber sein mußte, der eine Runde über dem Wald drehte. »Mist!« fluchte er leise, und im nächsten Augenblick brach das Pferd aus. Er versuchte, das Tier zu zügeln, um es zu beruhigen, aber der Hubschrauber drehte leider nicht ab, sondern kam noch näher.

      John verlor die Kontrolle über das Pferd, das nun, verrückt vor Angst, quer über ein Feld raste, während der Hubschrauber über sie hinwegdonnerte. Wie in einem Film sah John sich selbst und seine verzweifelten Bemühungen, im Sattel zu bleiben, während er gleichzeitig versuchte, den rasenden Lauf des Pferdes zu stoppen. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis er aufgeben mußte. Wenige Sekunden

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