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antwortete Mareike. »Wenn ich es mir genau überlege, war es sogar so wie immer. Robert hat bestimmt, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich bin mir manchmal wie im Gefängnis vorgekommen. Er hat mich nur geheiratet, weil ich aus einem reichen Elternhaus stamme.«

      Das glaubte Rosemarie Hagen auch, von Anfang an war das ihre Überzeugung gewesen. Allerdings galt ihre Meinung bei ihren Verwandten nichts. Sie war eine Stiefschwester von Mareikes Mutter und hatte mit dem ›vornehmen Teil der Familie‹, wie sie es nannte, keinerlei Kontakt mehr.

      Sie wußte, daß ihre bescheidenen Lebensumstände ihren reichen Verwandten ein Dorn im Auge waren, aber es war ihr gleichgültig. Sie liebte ihre Unabhängigkeit, und überdies hielt sie nicht sehr viel von ihrer Familie. Sie selbst brauchte keine Reichtümer, um zufrieden zu leben.

      Die einzige, an der sie hing, war Mareike. Allerdings hatte sie angenommen, daß auch ihre Nichte sich von ihr abwenden würde, nachdem sie diesen schrecklichen Robert Sandberg geheiratet hatte. Damals hatte sie vorsichtig versucht, Mareike zu warnen, aber das war völlig aussichtslos gewesen. Mareike war verliebt gewesen und hatte den Himmel voll roter Rosen gesehen. Aber den Kontakt zu ihrer ›armen‹ Tante hatte sie dennoch aufrechterhalten.

      Und so hatte Rosemarie abgewartet, was aus dieser Ehe werden würde. Immerhin sah Mareike jetzt offensichtlich klarer als damals, und das war schon einmal ein großer Fortschritt.

      »Und dann hat er mir plötzlich verboten, reiten zu gehen«, fuhr Mareike fort. »Es paßte ihm nicht, daß ich dahin gehe, hat er gesagt, weil ich darüber meine Pflichten vergesse.« Sie lachte bitter auf. »Meine Pflichten! Soll ich dir sagen, worin die bestehen?«

      »Ich kann es mir vorstellen«, erwiderte Rosemarie ruhig.

      Mareike schüttelte heftig den Kopf. »Das kannst du ganz bestimmt nicht! Ich bin erwachsen – oder etwa nicht? Und er behandelt mich, als könne ich nicht bis drei zählen. Er entscheidet für mich, er verbietet, er bestimmt – als sei ich ein Kind!«

      »Aber er hat dich doch auch gerne vorgezeigt, oder?« erkundigte sich Rosemarie. »Ab und zu erscheinen ja mal Fotos in irgendwelchen Zeitschriften. Da erschien er immer ganz als stolzer Ehemann.«

      »O ja«, sagte Mareike traurig. »Wenn er mich als Beutestück vorführen konnte, war er in seinem Element. In letzter Zeit habe ich mich allerdings öfter gefragt, was er macht, wenn ich alt werde und nicht mehr so schön bin, daß alle mich bewundern.«

      »Und? Hast du auch eine Antwort auf diese Frage gefunden?« erkundigte sich ihre Tante gespannt.

      Mareike fing an zu weinen. »Er betrügt mich doch schon lange, Tante Rosemarie. Ich habe es nur nicht wahrhaben wollen. Er liebt mich nicht, dazu ist er gar nicht fähig. Robert ist ein Mensch, der andere nur für seine Zwecke benutzt. Er braucht mich, weil eine schöne junge Frau in seiner Position dazugehört, das ist alles.«

      Rosemarie setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm. »Dann laß dich scheiden«, sagte sie ruhig. »Und danach fängst du ein neues Leben an.«

      »Das sagt sich so leicht«, meinte Mareike. »Kannst du dir vorstellen, was die beiden Familien für einen Aufstand machen? Und alle werden sie auf seiner Seite sein. Er ist der Mächtige, der mit dem vielen Geld und den vielen Beziehungen. Und ich bin nichts.«

      »O doch!« widersprach Rosemarie heftig. »O doch, das bist du. Du bist ein Mensch, Mareike, und ein besonders liebenswerter noch dazu. Du schaffst das, und ich werde dir dabei helfen, das verspreche ich dir.«

      Mareike weinte noch ein bißchen und überlegte, ob sie ihrer Tante nun auch noch von John Tanner erzählen sollte, der ihr so gut gefiel, daß ihr das Herz weh tat, wann immer sie an ihn dachte. Aber sie tat es dann doch nicht. John Tanner würde ihr Geheimnis bleiben, wahrscheinlich sogar für immer. Denn was wußte sie schon von ihm? Vielleicht war er ebenfalls verheiratet – und sogar glücklich.

      Aber irgendwie spürte sie, daß das nicht so war. Dennoch sprach sie nicht über ihn. Das mußte noch warten.

      *

      »Es ist also eine Querschnittslähmung«, stellte Dr. Adrian Winter fest, als alle Untersuchungen abgeschlossen waren. »Aber ob sie vollständig ist, kann man zum augenblicklichen Zeitpunkt noch nicht erkennen.«

      »Aussichtslos ist es nicht, oder?« fragte Julia Martensen.

      Er zuckte mit den Schultern. »Schwer zu sagen. Du weißt ja, wie das ist. Das Gewebe ist so geschwollen und blutunterlaufen, daß es zum jetzigen Zeitpunkt fast unmöglich ist, eine genaue Aussage zu machen. Das einzige, was mich hoffen läßt, ist, daß Herr Tanner immerhin noch Gefühl im Oberschenkel hatte.

      »Das ist nicht sehr viel.«

      »Nein«, bestätigte Adrian. »Das ist es nicht. Aber ich darf gar nicht daran denken, daß der Mann vielleicht nie wieder laufen kann. Diese Arbeit an den Fresken, in dieser Kirche, die ich mir da angesehen habe, die hätte er niemals durchführen können, wenn er nicht hätte stehen und laufen können!«

      »Wir können jetzt nur abwarten, Adrian«, sagte Julia sanft. »In ein paar Tagen sind wir klüger.«

      »Oder auch nicht«, erwiderte Adrian müde. »Manchmal zieht sich so etwas lange hin, bis man genau Bescheid weiß. Und das ist für alle Beteiligten die reinste Tortur.«

      Julia ging nicht darauf ein, sie wollte Adrian in seinen trüben Gedanken nicht noch bestärken. »Wo ist Herr Tanner jetzt?« fragte sie.

      »Im OP«, antwortete Adrian. »Wegen des gebrochenen Arms. Und wegen der Rippen. Aber sie haben ihn bereits völlig stillgelegt.«

      Sie nickte. »Wir können ja später noch einmal nach ihm sehen, Adrian.«

      Er gab keine Antwort, sondern starrte nur stumm vor sich hin.

      Sie unterdrückte einen Seufzer. Was für ein Unglück aber auch, daß er John Tanner persönlich kannte! Persönliche Bindungen konnten einem Arzt die Arbeit ungeheuer schwer machen.

      *

      »Frau Dr. Berger!« rief Frau Langhammer ganz aufgeregt, als Esther an diesem Abend zum Reiten kam. Frau Langhammer war die Bauersfrau, auf deren Hof Luna stand. »Haben Sie schon von dem schrecklichen Unglück gehört?«

      »Unglück?« fragte Esther. »Nein, ich habe überhaupt nichts gehört. Was ist denn passiert?«

      »Na, dem Herrn Tanner, den Sie doch auch kennen, ist im vollen Galopp das Pferd durchgegangen.«

      »Was sagen Sie da?« fragte Esther erschrocken. »Sind Sie ganz sicher? Ich habe ihn doch letztes Mal, als ich hier war, noch getroffen. Wir haben sogar miteinander gesprochen…«

      Aber Frau Langhammer ließ sie nicht ausreden. »Ein Hubschrauber ist ziemlich tief über den Wald geflogen. Die haben einen gesucht, der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Und da ist das Pferd durchgegangen, er hat es nicht unter Kontrolle bekommen können.«

      »Und was ist ihm passiert?« fragte Esther.

      »Niemand weiß was Genaues«, antwortete die Frau. »Aber ich habe gehört, er soll gelähmt sein.«

      »Gelähmt?« fragte Esther entsetzt. »Wer hat das gesagt?«

      »Ach, Sie wissen doch, es wird immer viel geredet in solchen Fällen. Jemand anders hat gesagt, daß er einen Schädelbruch hat. Aber genau weiß es keiner.«

      »Wo ist Herr Tanner denn jetzt?« Esther wurde ganz kribbelig. Sie kannte John Tanner nicht besonders gut, aber doch gut genug, um wissen zu wollen, ob er bei dem Unfall ernsthaft verletzt worden war oder nicht. Mit Klatschgeschichten wollte sie sich nicht zufriedengeben.

      »Sie haben ihn nach Berlin ’reingebracht, das kleine Krankenhaus hier in der Nähe war nicht gut genug ausgerüstet«, berichtete die Bauersfrau.

      »Und in welches Krankenhaus?«

      Aber das wußte Frau Langhammer nicht, und Esther beschloß, sich im Reitclub zu erkundigen. Dort würde man hoffentlich Bescheid wissen. Hatte John Tanner überhaupt Angehörige

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