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wie die nach wie vor nicht von Allah zu überzeugenden Muschrikun (Beigeseller/Götzendiener) oder auch Butparast (Idol-Verehrer), die sich selber anders nannten, z. B. Buddhisten, und der Irrlehre der Tanasuh (Seelenwanderung) anhingen, kamen Baha die offenbar unausrottbaren Feueranbeter vor. Und obwohl er Dschubba (Kutte) und sonstige Sufi-Attribute trug und Sufi–Lieblingsthemen teilte, wie unmittelbare Gottesschau u. ä., mochte Baha nicht jenen Faulenzern und Sufis, die er sah und traf, weder strengen noch gemäßigten, zugezählt werden. Vor allem die Musik derer, die plaudernd, nutzlos, arbeitslos verwildert in ihren Sufikonventen herumhingen, herumsaßen, aßen und trommelten, bezeichnete Baha als »leeres Geschwätz«, das nur das innerliche Hören behindere. Betrunkenen Türken gegenüber, die ihm den Turban wegnehmen wollten, ihn als Ibahati (Freigeist) beschimpften, betrieb er Grußverweigerung und erschien alsbald mit extra großem Turban. Auch mit hochfahrenden Licht-Theosophen à la Schihabuddin Yahya as Suhrawardi zog Baha nicht an einem Seil. Vor allem focht Baha theoretische Differenzen mit den puristischen, dogmatischen, rationalistischen, um nicht zu sagen: hermeneutischen Mutazila (den sich Absondernden) aus, widersprach heftig deren Lehre, selbst nach dem Tod sei es unmöglich, Allah zu schauen. Namhafte Theologen sprachen den Engeln die Liebe ab; Baha hingegen gestand sogar Engeln Maza (Lust) zu; Ghazzali, vier Generationen vorher, bevorzugte das Wort Ladda (Genuß). Im theologischen Zwist, ob alle Dinge das Lob Gottes sängen (Sure 17/44) oder nur belebte Dinge (dieselbe rabulistisch-scholastische Kontroverse, ob man als Pflanze wiedergeboren werden könne, trieb buddhistische Theologen um), schloß der Theologe Fachruddin Razi, aus Gegenwehr gegen Seelenwanderung, das Unbelebte mit cartesianischer Kaltherzigkeit aus; Baha hingegen votierte sehr dafür, daß sogar die Teilchen einer Leiche Allah verherrlichen würden, ein jedes Teilchen in seiner Sprache. Kaum hatte der hanbalitische Jurist Ibn Aqil (gestorben 1119) falsifiziert, auch Steine, Tiere, Pflanzen trügen religiöse Verantwortung, dokterte Baha an der Restituierung genau jener guten schönen alten Sichtweise von der Abwesenheit von Dschamad (des Unbelebten) und Gafla (religiöser Gleichgültigkeit). Statt Kollegen oder Altvordere zu zitieren, griff er dankbar deren Begriffe auf, à la Be-ciguna (ohne wie), Quddusi (Hochheiligkeit), Sabbuhi (Unbeflecktheit), Kunandagi (Machendheit), Tasarrufat (Verfügungen), Kull (Ganzheit), oder auch Be-cigunagi (Ohne-Wieheit), und machte – fern von Nachbeterei – selber was draus, auch aus so diffizilen Termini wie Huwiyya, was versuchsweise mit Ipseität, Entitas oder auch Essentia übersetzt wurde. Das Wort Hurmat ließ sich mit Integrität übersetzen, auch »körperliche Unversehrtheit«, auch »fremde Frau«. Also als denkfreudiger Drauflosdenker, als ichbezogener bis subjektiver Selbstdenker (hwad-kar = selbsttätig) betätigte sich Baha, mit viel Gespür und Fingerspitzengefühl für Höheres, viel Verstandeskraft und Hudschdschatti (Argumentierung). Thomas von Aquino, bei Baha’uddin Walads Tod sechs Jahre alt, hantierte mit Termini wie Immerheit, Wesungsform, Gesinnbegehr, Beischaften, Entlösungen und Verstehheiten; Baha erging, vergrub, verbiß sich in Irritations-Abstrakta à la Erbarmerschaft, Gnädigkeit, Mitheit, gab aber all diesen Begriffen, Zentralbegriffen und Motiven, komisch eingehüllt in sanfte Naivität, durchweg einen Drall ins Schräge, krumm und verdreht. Oft klangen die seltsamlichen Gewichtungen, Weiterungen, eigenwilligen Aus- und Umdeutungen, die der Sonderling ins rundum Überlieferte einbaute, eher gnostisch – oder auch platonisch bis plotinisch – als islamisch.

      Mit Allah auf bestem Duzfuß, schaute, sah und fühlte Baha’uddin Ihn jetzt schon und – riß mitten im Gedankengang oft das Steuer herum, segelte einem Gegengedanken in die Arme, stolperte in reizvollen Widersprüchen herum, wodurch in summa ein hochmodernes Work in progress zustandekam, tausend Jahre bevor Werkbegriffe sich modernerweise auflösten in Fragmentgeflatter und Mosaikgeschredder. Bahas Gedankenflora und Gefühlsergüsse atmeten Spontaneität, Lebensnähe, Stegreif-Frische; auch dank deftigen Ausdrücken wie »lustgefühlkauende Zähne«. Sprachlich schwamm er gern, wie persische Märchen und vor allem Nizami, in Genitivmetaphern: hingegeben »dem Antimon des Lerneifers«, jederzeit »die Beinspange der Dienstbeflissenheit« tragend und nur selten die »Kette der Gottverlassenheit«, unterwegs »in den Schuhen der Herumlauferei«, rührte er »in der Suppe der Verzückung«.

      Die Berge halten sich, laut Baha’uddin, den Finger der Verblüffung an den Mund angesichts der Wunderbarkeiten ihrer Adschza (eben Teilchen, sprich: Atome, Elementarteilchen), Singular: Dschuz-i la yatagazza, kurz: Dschuz. Mit Teilchen, an denen er einen Narren fraß, jonglierte Baha derart oft und ausgiebig hingegeben herum, dachte ständig an sie, fühlte sich voll Emphase, Empathie, Enthusiasmus in sie ein, bis die Teilchen bei ihm zur Idée fixe mutierten. Er krallte sich inniglich an ihnen fest; er lud sie alchimistisch, galvanisch oder energetisch auf. Als Baha wissen wollte, wieso das Herz rot sei, schloß er die Augen und sah, wie jedes Farbteilchen sich an Allah festkrallte und seine rote Nahrung von dort bezog. Sobald Baha, als Wirt seiner Teilchen, an Allah dachte, spürte er alle seine voll und ganz und durch und durch beteiligten, hocheffektiv mitschwingenden Teilchen ebenfalls Allah verehren, sich Allah zuwenden, Allah sich huldvoll nähern. Zum Dank ergab die Summe aller Teilchen, aus denen er bestand, punktgenau ihn. Daß Mystiker um kreisende Atome kreisten, lag offenbar in der Luft: Fariduddin ’Attar aus Nischapur, vierzig Jahre älter als Baha’uddin, hob oft ein Atom als Maßeinheit hervor, um die Minimalität der Welt an ihm zu demonstrieren; Bahas Atome traten nur im Plural auf. Atome sah er als Ameisen wimmeln, als Mücken, Sperlinge und Dschanwar (Tierchen), trotz ihrer vorsokratischen Physikhaftigkeit, als innigen Verein aus Brüderchen. Er, der griechische Philosophie ablehnte, sprach ihnen sogar, im Gegensatz zu x griechischen Atomisten, Geistesgaben zu. Bahas Atome ähnelten weniger Demokrits vergleichsweise bereits arg nüchtern gebauten Atomen als vielmehr Empedokles’ liebenden und hassenden Seinsteilchen, die Baha sich anisotrop vorstellte, moderner gesagt: bilateral; die einen als weiße, wach gewordene, vorwärtsschwänzelnde Lichtpartikel oder -korpuskel, die andern als unbewußte, unerleuchtete schwarze Kaulquappensorte, alle beiden Sorten Zöglinge Allahs, gefesselt an Allahs Lebensodem. Oder auch zweigeteilt als ob- und subjektive Teilchen: Dschuz-i wudschudi (Daseinsteilchen) und Dschuz-i idrak-i man (Wahrnehmungsteilchen), zuzüglich Darra. So schmuggelte er eine feinziselierte, um nicht zu sagen: polygame, schier polymorph perverse Sprunghaftigkeit in des einzigen Gottes Homogenität ein, Schwarmintelligenz, präfraktale Selbstähnlichkeit, Mit-sich-selbst-Identität und Yaganagi (absolute Einheit). Ständig spaltete, faserte, zerspellte sich, sobald speziell Baha daran dachte, alles Mögliche auf. Wie er sich selbst in die zerfleddernde Summe und den spirituell schwirrenden Harem all seiner körperlichen, seelischen und sonstigen Teilchen zerfallen ließ, so zerfiel Gott zumindest in drei Anteile: in Taten, Wesen und Eigenschaften, die Baha einem Kranz von Großstädten rund um das Zelt Allahs verglich. Im Gewühl, Gefecht und Getrommel kursierender und sich verzettelnder Lehrmeinungen unterlag auch Bahas Ich einer Art Ichzerstäubung.

      Dieser Madschdubun (ein Hinangezogener), der Allah nach verborgenen Regungen absuchte, sprach so lange von Gottes Nawazischhay (Zärtlichkeit), bis sein Gott all diese zarten Attribute, die Baha ihm zutraute, tatsächlich immer deutlicher zeigte. Die unendlich weite Entfernung zu Allah überbrückte Baha, der sich mit »einem brodelnden Kessel und weiter nichts« verglich, problemlos via Abkürzung. Man müsse den Schleier, den er als osmotisch perforierbare göttliche Haut sah, quer durchbrechen, und nicht der Länge nach drunter durchkriechen, denn Gott liege der Welt auf der ganzen Länge an und sei ihr überall unendlich nahe. Baha drang in jeden der 99 Namen Gottes liebevoll ein, verweilte darin pro Namen einige Tage, wie in einem Mantra, trank aus jedem Namen Wein, dann aber wurde er des Namens ein wenig satt, rief »Hilfe!«, auf daß ihm Gott aus diesem einen Namen Allahs heraus- und hineinhelfe in einen anderen der 99 Namen, so lange, bis er als frei und hier und da naschhaft flottierender Mystiker in einem Namen Gottes ankam, worin es ihm besser gefiel als in 98 anderen Namen. Mehrfach übertrat Baha sein eigenes Verbot, Allah andere Namen zu geben, als Gott sich selber gab.

      In allen Dingen sei Gewaltsamkeit ungut; mit solch mangelnder Kampfeslust stand der liebestrunkene Baha’uddin in der hitzegegerbten, repressiven, frauenfeindlichen, waffenfetischistischen, hartgesottenen, oft arg humorlosen Hardliner- und Machogesellschaft ziemlich allein da, als wandelnde Gegenmelodie der Verinnerlichung, zartbesaitet, ein Softie, unmoderner gesagt: Memme und Weichei. Für einen Wüstensohn und Mann sprach Baha’uddin ausnehmend oft von grünen Pflanzen, sogar vom »Wandern im Grünen«. Selbst seine antiintellektualistischen Argumente gegen Verkopfung klangen bei ihm angenehm verträglich: Fausts Polemik contra Stubengelehrtheit, Lehnstuhlphilosophie, Sekundärliteratur,

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