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Till. Vielleicht will Jensen uns ja nur unsere neue Dienstwohnung zeigen. Gleich drückt unser Butler auf den Knopf, damit sich das Tor öffnet.«

      Kaum hatte Till den Satz ausgesprochen, da öffnete sich tatsächlich das schwere Tor. Siebels schaute ungläubig zu seinem Kollegen. Der zeigte ihm die Videokamera, die unmerklich am oberen Ende des rechten Torpfostens angebracht und in der Dunkelheit kaum auszumachen war. Siebels legte den ersten Gang ein, neugierig ließ er den BMW auf das Grundstück rollen, das von außen nicht einsehbar war. Sie fuhren durch ein kleines Waldstück, vielleicht fünfzig Meter weit. Dahinter erstreckte sich eine Parkanlage. Die asphaltierte Straße, die zu einer altertümlichen Villa führte, war jetzt mit kleinen Laternen beleuchtet. Till pfiff anerkennend durch die Zähne.

      »Das erinnert mich an die alten Filme von Edgar Wallace. Langsam verdichtet sich der Nebel, aber Inspector Till Krüger ist der Mann nicht entgangen, der sich heimlich in das Schloss geschlichen hat ... der Ruf einer Eule durchbricht die Stille der Nacht, dann ein unheimlicher Schrei. Kommt der Inspector zu spät?«

      »Halt die Klappe, du Spinner. Das einzige Unheimliche, das uns hier erwartet, ist ein kleiner wieselflinker Staatsanwalt, der uns unser Wochenende einfach nicht gönnen will.«

      Sie hatten die Villa nun erreicht, eine kreisförmige Auffahrt führte zum Haupteingang, vor dem bereits der Mercedes von Jensen parkte. Gleich daneben stand ein Aston Martin. Ein Stück weiter parkte ein dunkelblauer, verbeulter Passat.

      »Das ist die Kiste von Charly Hofmeier. Wir sind also nicht die einzigen Deppen, die Samstagnacht von Edgar Jensen Wallace in das unheimliche Schloss gerufen werden.« Charly Hofmeier war ein Kollege von der Spurensicherung, der sich als EDV-Spezialist im Präsidium und weit darüber hinaus einen Namen gemacht hatte.

      Siebels nahm noch einen tiefen Lungenzug, schnippte seine Kippe auf die Einfahrt und ging dann zielstrebig auf den Eingang zu. Till folgte ihm stillschweigend. Mindestens zwei Videokameras hatte Till ausfindig gemacht, von denen sie ins Visier genommen wurden. Die beiden schlenderten die fünf steinernen Stufen hoch. Oben öffnete sich die schwere Holztür und Jensen erschien im Türspalt.

      »Na, meine Herren, das wurde ja auch langsam Zeit. Jetzt kommen Sie schon, die Sache ist Ernst und die Zeit drängt.«

      3

       Erinnerungen, Mai 1975

       Zwei Tage und zwei Nächte schlief ich traumlos durch. Als ich wieder zu mir kam, gelang es mir nur mühsam, meine Augen zu öffnen. Ich erwachte in einem kleinen Zimmer, durch das Fenster konnte ich den Sonnenuntergang beobachten. Es war still, die Geräusche der Tiere waren verstummt. Einige Zeit lag ich völlig regungslos in dem fremden Bett. Ich überlegte, was passiert war, wo ich mich befand, wie lange ich geschlafen hatte. Draußen wurde es allmählich finster. Wie ein Blitz schlug mir ein grauenhafter Schmerz durch den Kopf, als ich mich im Bett aufrichten wollte. Dabei knarrte das Bett auf der Holzdiele. In der Stille kam mir dieses Geräusch wie ein donnernder Lärm vor. Ich fasste mir an den Kopf. Irgendjemand musste mir einen dicken Verband um den Kopf gewickelt haben. Dann hörte ich Schritte. Schwere Schritte, die eine Holztreppe heraufkamen. Die Tür zu meinem Zimmer wurde langsam geöffnet. Ein stämmiger Mann erschien im Türrahmen. Unsere Blicke trafen sich, argwöhnisch betrachtete er mich eine Weile. Schließlich lächelte er freundlich und kam auf mich zu. Auch ich versuchte zu lächeln. Er setzte sich zu mir auf die Bettkante und sprach mich auf Französisch an. Er sagte, dass ich fünf Tage lang bewusstlos gewesen sei. Ein Arzt wäre hier gewesen und hätte mich untersucht. Zwei Rippen hätte ich mir gebrochen, wegen einer schweren Gehirnerschütterung bräuchte ich noch viel Ruhe und sollte mich so wenig wie möglich bewegen. Erstaunt sah ich ihn an. Ich hatte noch so viele Fragen, nur bruchstückhaft konnte ich mich erinnern. Wieder tauchten die Bilder von frischem Blut in meinem Kopf auf. Aber ich war mir nicht sicher, ob es sich dabei um mein Blut handelte. Ich versuchte, die Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben. Irgendetwas Schreckliches war passiert. Verwirrt erkundigte ich mich bei dem Mann an meinem Bett, wo ich denn sei. Ich fragte ihn auf Französisch. Es war gut, wieder in dieser schönen Sprache sprechen zu können, das hatte ich lange nicht mehr getan. Er antwortete mir mit einem tiefen, aber angenehmen Bass. Ich wäre auf einem Bauernhof. Auf seinem Bauernhof. Fürsorglich gab er mir ein Glas Wasser zu trinken. Erst in diesem Moment bemerkte ich, wie durstig ich war. Gierig leerte ich das Glas in einem Zug. Ohne zu zögern, schenkte er mir nach. Dann deutete er mir an, dass ich mich wieder ausruhen solle, und drückte mich sanft ins Kissen. Ich fühlte mich nicht in der Lage, ihm zu widersprechen. Ich war erschöpft und ausgelaugt. Bevor er das Zimmer wieder verließ, fragte ich ihn noch nach seinem Namen. Claude, verriet er mir und ließ mich dann wieder allein.

      

      Die beiden trotteten hinter Jensen her und machten große Augen. Glänzend weißer Marmor umgab sie, als sie durch die weitläufige Vorhalle im Eingangsbereich der Villa schritten. Palmen und Orchideen erzeugten eine exotische Atmosphäre. In der Mitte des ovalen Eingangsbereiches tröpfelten leise und beruhigend zwei Wasserstrahlen aus den Mündern zweier Engel, die einen kleinen Brunnen speisten. Hätte Siebels nicht gewusst, dass er sich in der kalten Jahreszeit in Königstein befinden würde, dann hätte er sich irgendwo in Südamerika vermutet. Kein Gedanke mehr an Edgar Wallace, an dichten Nebel und kalte Füße. Jensen war bereits eine der beiden Treppen hochgeeilt, die links und rechts in die obere Etage führten. Ungeduldig schaute er zu seinen Beamten hinunter, die aus dem Staunen gar nicht mehr herauskamen. Schließlich beugten sie sich dem flehenden und ungeduldigen Blick des Staatsanwaltes und folgten ihm in die obere Etage. Von hier aus verliefen drei Flure in die Tiefen des üppig ausgestatteten Gebäudes. Eine Ritterrüstung bewachte den Flur, den Jensen in eiligem Schritt entlangging. Es schien fast so, als wäre er hier zuhause. Gemälde links und rechts an den Wänden, beleuchtete Glasvitrinen stellten Porzellan und alle möglichen Sammlerstücke zur Schau. Indianischer Schmuck, Elfenbein und Jade, Gold und Silber glänzten hinter Glas. Jensen verschwand in einem der Zimmer, in einigem Abstand zwei sprachlose Polizisten hinterher. Fast etwas schüchtern betraten sie nun den Raum, in dem Jensen verschwunden war. Etwas erleichtert stellten sie fest, dass noch ein alter Bekannter anwesend war. Charly Hofmeier kniete in der Mitte des Raumes und hantierte mit allerhand elektronischen Geräten. Er schien sie nicht bemerkt zu haben, der dicke Perserteppich verschluckte jeden Schritt. Am Ende des Raumes stand ein Unbekannter. Unbeweglich stand er am Fenster, mit dem Rücken zum Zimmer.

      »Es kann losgehen, meine Leute sind jetzt vollzählig«, unterbrach Jensen die Stille und unweigerlich brach eine gewisse Hektik aus. Der Mann am Fenster drehte sich ruckartig herum, musterte eindringlich die neuen Gesichter und zog dabei nervös an seiner Zigarette. Gleichzeitig ließ Charly von seinem Spielzeug ab und begrüßte seine Kollegen. Charly, der IT-Spezialist im Frankfurter Polizeipräsidium, war immer auf dem neuesten Stand der Dinge und ohne seine Hilfe waren viele Fälle gar nicht mehr zu klären. Sämtliche Abteilungen suchten seine Hilfe. Charly war immer da, Charly fand immer eine Lösung. Er knackte jedes Passwort, holte Dateien ins Leben zurück, die schon gelöscht und spurlos verschwunden waren. Charly war ein Genie, früher oft als verdeckter Ermittler eingesetzt, bis ihm ein Schuss ins Knie seine Bewegungsfähigkeit genommen hatte. Man hatte ihm dann eine Umschulung angeboten. Ein EDV-Seminar sollte er besuchen, das wäre die Zukunft. Charly entdeckte schnell seine Liebe zu den Geheimnissen der elektronischen Datenverarbeitung. Aus der Liebe wurde eine Sucht, Tag und Nacht verbrachte er vor dem Bildschirm. In der freien Wirtschaft hätte er mittlerweile ein Vielfaches von dem verdienen können, was sein Beamtensalär hergab. Aber Charly war auch ein Bulle geblieben. Ein Passwort zu knacken, nur um es zu knacken oder um ein Verbrechen aufzuklären, war ein großer Unterschied. Und Charly war in der Welt der Verbrechensaufklärung groß geworden, hier fühlte er sich zuhause.

      Der Mann am Fenster hatte mittlerweile auf einem Chippendale-Sessel Platz genommen. Sein Gesicht kam Siebels bekannt vor, ein ausdrucksstarkes, markantes Gesicht. Schwarzes volles Haar verlieh ihm ein südländisches Flair. Sein anthrazitfarbener Anzug saß wie angegossen, darunter schien sich ein durchtrainierter Körper zu befinden. Breite Schultern, flacher Bauch, schmale

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