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Lebensläufe. Monika Bormeth
Читать онлайн.Название Lebensläufe
Год выпуска 0
isbn 9783947171378
Автор произведения Monika Bormeth
Жанр Философия
Издательство Bookwire
Gegenüber dem Theatergebäude wurde in einem ehemaligen Sitzungssaal des Landratsamtes ein großer Ballettsaal mit Spiegel errichtet. Hier begann Helga Hemala-Fischer, Unterricht zu geben. Es war der Grundstein dafür, dass Eggenfelden eine Anlaufstelle für Ballettbegeisterte wurde. Manche Schüler nahmen Fahrten von bis zu 50 Kilometern auf sich, um nach Eggenfelden ins Training zu kommen. „Ich kann vieles vermitteln, weil ich das Glück hatte, selber so viel lernen zu dürfen“, sagt Helga Hemala-Fischer. Das Besondere an ihrer Schule ist die Tatsache, dass Bühnenauftritte stets fester Bestandteil des Programms waren. Ob Groß oder Klein, alle wurden in Märchenaufführungen, Operetten und Ballettabenden eingesetzt. Klassisches und Modernes standen auf dem Spielplan. Ein „Nussknacker“ von Tschaikowsky ebenso wie Prokofjews „Peter und der Wolf“ oder Mozarts „Kleine Nachtmusik“. „Wir führten Werke wie ‚Die Puppenfee‘, ‚Coppélia‘ oder ‚Ein Amerikaner in Paris‘ auf“, erzählt Helga Hemala-Fischer. „All unsere Ballettabende – und das war das Außergewöhnliche – wurden von den Münchner Symphonikern in großer Orchesterbesetzung begleitet.“
Das Theater an der Rott und die Ballettschule profitierten wechselseitig voneinander. Zwischen Fotobüchern und alten Programmheften zieht Helga Hemala-Fischer ein besticktes Tuch heraus. Wer von Ballett nichts versteht, sieht eine kurios anmutende Anordnung von weißen Strichen und Kreuzchen auf blauem Untergrund. Es ist die Choreographie eines Tanzes, welche die Schüler der Lehrerin als Dankeschön auf eine Decke gestickt haben. Helga Hemala-Fischer hat immer Handlung in Tanz verwandelt. „Musik ist für mich Bewegung.“ Diese Gabe hat ihr viele Einsätze auch außerhalb von Eggenfelden beschert. Choreographieren zählt heute noch zu ihrer großen Leidenschaft. „Von da drin muss es kommen“, bekräftigt sie und legt ihre Hand auf die Brust. „Das Herz ist das Wichtigste.“
Ein Ort, an dem man einfach sein darf, und die Sorgen vor der Tür lässt – so sieht Helga Hemala-Fischer ihre Ballettschule. „Kommst du, weil du möchtest, oder weil du geschickt wirst?“ Diese Frage ist die erste, die sie Neuzugängen stellt. Dennoch sind in ihrem Spiegelsaal alle von Herzen willkommen. Sie würde kein Kind wegschicken. Helgas Gabe besteht darin, die Stärken des Einzelnen zu erkennen und entsprechend zu fördern.
Was Helga Hemala-Fischer zu vermitteln vermag, umfasst weit mehr als nur klassisches Ballett. Jazztanz, Modern Dance, Steppen, Charakter- und Nationaltänze, Formation. In allen Sparten ist sie zuhause. So wurde Helga Hemala-Fischer beispielsweise von der Rock’n’Roll-Formation „Dancing Baloos“ 2010 um Hilfe gebeten. Während dieser gemeinsamen Zeit stand die Gruppe ganze zehn Mal auf dem Treppchen. Die Erfolge dokumentierten die Tänzer in einem Album, das sie Helga Fischer zum Andenken überreichten.
Einige von Helga Hemala-Fischers Mädchen haben den Tanz zu ihrem Beruf gemacht. Ob sie nun regelmäßig auf der Bühne stehen oder selbst Schulen eröffnet haben – Helgas Arbeit als Pädagogin trägt Früchte. Das macht sie stolz. Als Tanzlehrer seine Kenntnisse weiterzugeben, hält sie noch immer für eine sehr schöne Art, sich professionell dem Tanz zu widmen. Von einer reinen Bühnenkarriere würde sie heutzutage abraten. „Es ist ein knallhartes Geschäft geworden. Menschen werden zu Maschinen gemacht, die Technik ist wichtiger als alles andere.“ Dabei komme es nicht immer auf Perfektion an. Herz und Seele müssten dabei sein.
Der große Wert der Freundschaften
Manchmal bedauert es Helga Hemala-Fischer, die zwar via Facebook und Instagram Kontakt mit ehemaligen Schülern in aller Welt hält, dass sich Kommunikation so sehr verändert hat. Handgeschriebene Briefe zählen zu ihren größten Schätzen. Es bedeutet ihr ungemein viel, mit alten Weggefährten auf diese Art im Austausch zu stehen. Ihre Freundschaften pflegt sie über Jahrzehnte hinweg: „61 Jahre Freundschaft, ja, das gibt es wirklich!“, erzählt sie.
Viele von ihr hochgeschätzte Kollegen leben mittlerweile nicht mehr. Etwa der Wiener Dirigent und Musikwissenschaftler Professor Kurt Pahlen. Mit ihm hat sie 16 Jahre beim österreichischen Musik- und Kulturfestival Carinthischer Sommer und sechs Jahre bei den Lenker Festwochen in der Schweiz zusammengearbeitet. Pahlen würdigt Helga Hemala-Fischer in seinen handgeschriebenen Widmungen als große Künstlerin. Sein Lexikon über die Opern der Welt und viele weitere seiner gut 60 Bücher bewahrt Helga auf. „Menschen hinterlassen Spuren in deinem Herzen.“
Über die Grenzen hinaus
Seit die Ballettschule gegründet wurde, ist Helga Hemala-Fischer nahezu täglich dort im Einsatz. Dass sie am 10. September 1991 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen bekommen hat, schreibt sie besonders ihrem Engagement für die Jugend zu. Der damalige Kultusminister Hans Zehetmair lobte Helga Hemala-Fischers Verdienste an Kunst und Kultur sowie ihr ausgeprägtes pädagogisches Geschick und ihre mitreißende Begeisterung.
„Wir haben den Namen Eggenfelden mit dem Ballett über die Grenzen Niederbayerns hinausgetragen“, ist Helga Hemala-Fischer überzeugt. Beispielsweise in das südfranzösische Carcassonne, mit dem Eggenfelden seit Jahrzehnten eine Städtepartnerschaft hat. 40 Tanzeinlagen hatte die Ballettschule seit 1973 für die gemeinsamen Festlichkeiten bereits erarbeitet.
Auch im polnischen Breslau hat man getanzt. Es war der Ballettabend „Aschenbrödel“, der mit einem über 50-köpfigen Ensemble dargeboten wurde. Die Begeisterung des Publikums zeigte sich von nicht enden wollendem Applaus bis hin zu stehenden Ovationen.
Im Theater an der Rott sind die legendären Märchenvorstellungen hervorzuheben, die nahezu immer ausverkauft waren, und das bei keineswegs wenigen Vorstellungen. 30 Mal wurde „Pippi Langstrumpf“ aufgeführt, ebenso häufig das „Dschungelbuch“. Die Inszenierungen waren auf die Bühne gebrachte Kinderträume. Unzählige Tänze, detailverliebte Kulissen, aufwendige Kostüme, die Handlungen zauberhaft. „Diese einfachen Dinge, die so zu Herzen gehen wie ein Märchen, können den Menschen, ob groß oder klein, immer noch Freude bereiten“, ist Helga Hemala-Fischer überzeugt. 2015 hatte sie mit „Dornröschen“ das 38. Märchen seit 1965 auf die Bühne gebracht und damit das letzte am Theater an der Rott.
Inzwischen organisiert Helga Hemala-Fischer mit ihrer Ballettschule eigene Veranstaltungen. Seit einigen Jahren finden beispielsweise Aufführungen im großen Kursaal von Bad Füssing sowie im Artrium im nahegelegenen Bad Birnbach statt. Doch ist es über die Jahre nicht einfacher geworden, mit Kindern und Jugendlichen solche Produktionen zu erarbeiten. Die Freizeitmöglichkeiten sind auch auf dem Land zahlreicher geworden, die schulischen Verpflichtungen intensiver. Um choreographieren zu können, braucht Helga ihre Schüler mehrmals die Woche für Proben. Ohne die gesamte Gruppe vor sich zu haben, wird es schwierig, etwas auf die Beine zu stellen. „Es ist, als würde man einen Kuchen backen. Alle Zutaten müssen vorhanden sein, sonst kommt nichts Ordentliches dabei heraus.“
Als ihr Mann noch lebte, war das Haus der Fischers stets für jeden offen. So manches Ensemblemitglied verbrachte beispielsweise Weihnachten bei der Familie. Die Generalprobe für die Operette hatte immer am 22. Dezember stattgefunden, am 24. Dezember wurde dann nachmittags noch ein Märchen gespielt. Da blieb für auswärtige Kollegen keine Zeit mehr, abends nach Hause zu fahren. Jeder, der alleine war, wurde herzlich aufgenommen. „Da war richtig Leben hier“, erinnert sich Helga Hemala-Fischer.
Heute sind die Begegnungen im Ballettsaal ihr Lebensmittelpunkt. Das Zuhause ist ein Rückzugsort geworden. Die Zimmerbrunnen plätschern leise. Helga Hemala-Fischer besitzt viele Bücher, sammelt leidenschaftlich Mineralien, Steine und Steinfiguren und genießt das Vogelgezwitscher, die Blumen und den Seerosenteich in ihrem Garten.
Das Lampenfieber spielte immer mit
Der kleine Teddybär sitzt auf dem Schminktisch, Chalcedon und Rhodonit, die Steine der Redner, stecken in einer Tasche ihres Kostüms. Dennoch: Frei von Lampenfieber und Selbstzweifeln war Helga Hemala-Fischer auch nach über tausend Vorstellungen nicht.