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Lebensläufe. Monika Bormeth
Читать онлайн.Название Lebensläufe
Год выпуска 0
isbn 9783947171378
Автор произведения Monika Bormeth
Жанр Философия
Издательство Bookwire
Von der Schweiz ins Rottal
Adi Fischers Weg hatte mittlerweile in eine ganz andere Richtung geführt, ins niederbayerische Rottal. Eine Gruppe von Sängern der Liedertafel Massing war von der Vorstellung der Operette „Die Gold‘ne Meisterin“ in Salzburg so angetan, dass sie im Anschluss den Regisseur am Bühnentürl erwarteten und mit einem Sängerspruch empfingen. Weil die Massinger selbst in absehbarer Zeit eine Aufführung der „Gold‘nen Meisterin“ planten, baten sie Adi Fischer um Unterstützung. Er sagte sofort begeistert zu. „Für solche Projekte war er immer zu haben“, sagt Helga Hemala-Fischer rückblickend. Dirigent und Kapellmeister der Liedertafel Massing war damals Otto Hofmeister – zugleich Architekt des sich bereits im Rohbau befindlichen, ersten landkreiseigenen Theaters Deutschlands: das Theater an der Rott. Der damalige Landrat Ludwig Ostermeier erwies sich nicht nur federführend bei der Etablierung dieser Kulturstätte, er war es auch, der Adi Fischer die Intendanz anbot. Anfangs nur für zwei Spielzeiten – es sollten 33 weitere folgen.
Von der ersten Minute an war Luzern für Helga Hemala eine neue Heimat. Berge, Seen, Sonne und Begegnungen, die sie ein Leben lang prägen sollten. So zum Beispiel ihre erste Unterkunft bei einer älteren Dame, die wie eine Mutter für sie war. Es dauerte eine Weile, bis Helga das Schicksal von Frau Mühlemann erfuhr: Deren Tochter – auch sie wäre zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt gewesen – lebte nicht mehr. Sie war gestorben, nachdem sie den Kampf gegen die Leukämie verloren hatte. Als Frau Mühlemann Helga eines Tages mit dem Namen der verstorbenen Tochter ansprach, offenbarte sich die ganze Geschichte. Das Schicksal dieser Mutter hat Helga Hemala-Fischer nie losgelassen. Seit langer Zeit unterstützt sie nun schon die José Carreras Leukämiestiftung, zugunsten derer sie seit ein paar Jahren auch Benefizauftritte mit ihren Ballettschülerinnen veranstaltet.
Adi Fischer, mittlerweile geschieden, hatte inzwischen längst erkannt, dass er nicht ohne Helga leben wollte und machte ihr einen Heiratsantrag. Die Hochzeit fand am 22. Dezember 1962 statt. Tags zuvor hatte Adi in Eggenfelden noch einen Auftritt der Wiener Sängerknaben zu betreuen und Helga spielte in Luzern im Stück „Einen Jux will er sich machen“ von Johann Nestroy passenderweise bereits die Rolle der „Frau von Fischer“. Ihr Liebster kam wegen des üppigen Schnees erst kurz vor der Trauung an, zudem waren die Eheringe nicht rechtzeitig geliefert worden, sodass die beiden kurzerhand ein paar Messingringe im nächstbesten Kaufhof erstanden. Die Hochzeit fand am Vormittag statt, mittags gab es ein feines Essen und bereits am Nachmittag stand Helga wieder auf der Bühne. Als „Aschenbrödel“, beseelt von dem Gedanken, ihren Prinzen im wahren Leben nun für immer an ihrer Seite zu wissen. Abends sang sie den Liebesgott Amor in der Premiere der Operette „Orpheus in der Unterwelt“ von Jaques Offenbach.
Künftig lebte das Paar eine Fernbeziehung über 500 Kilometer. Es zeichnete sich ab, dass eine Entscheidung im Raum stand. Helga wollte nicht, dass ihr Mann die Intendanz in Eggenfelden aufgab und beschloss, Luzern zu verlassen. Ihr Rückzug löste eine Welle des Bedauerns beim Publikum aus. Eine Gruppe Theaterbesucher kündigte gar an, man habe Beziehungen zur Polizei und wolle dafür sorgen, dass die beliebte Schauspielerin und Soubrette die Stadt nicht verlassen dürfe.
Jeder Abschied ist ein bisschen wie Sterben. Dass ihr Fortgang aus Luzern eine schwierige Entscheidung war, ist Helga Hemala-Fischer heute noch anzumerken. Dass sie das niemals aussprechen würde, ist klar für sie. Schließlich beinhaltete dieser Abschied auch einen Neubeginn. Sie war bei ihrem Adi. Nichtsdestotrotz fuhr sie zumindest einmal im Jahr auf Gastspiele in Luzern, Innsbruck oder Bern oder auf Tournee.
Das Ende ihrer Spielzeit in Luzern war überschattet von einem traurigen Ereignis. Am 16. Mai 1965 starb Eduard Hemala. „Helgele, eines Tages werd‘ ich dich auf der Bühne sehen“, hat ihr der Vater stets gesagt. Es kam nie dazu. Helga Hemala-Fischer stand trotz Todesnachricht an diesem Sonntagabend auf der Bühne. „Ist das nicht eine Ironie des Schicksals?“, hat sie damals in ihr Tagebuch geschrieben, angesichts der Tatsache, dass ausgerechnet die Operette „Das Land des Lächelns“ mit dem bezeichnenden Liedtext „… lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen…“ aufgeführt wurde.
Familie und Kinder
Am 29. Oktober 1969, an ihrem 29. Geburtstag, erfuhr Helga Hemala-Fischer, dass sie Mutter werden sollte. Die Worte ihres Mannes klingen ihr noch heute in den Ohren: „Was wird aus My fair Lady?“ Es war das erste Mal, dass Adi Fischer ein Musical in das Programm des Theaters an der Rott aufgenommen hatte – und seine Frau sollte die Hauptrolle der Eliza Doolittle spielen. Mittlerweile war sie, wie damals in Luzern, fester Bestandteil der Aufführungen in Eggenfelden. Das Publikum verehrte sie. Also hat sie die Eliza gespielt, bis zum sechsten Monat ihrer Schwangerschaft. Bei der Premiere war sie so schwer erkältet, dass sie kaum das Orchester hören konnte. „Ich habe dennoch gespielt“, sagt sie. „Danach saß ich stundenlang auf der Bettkante und habe geweint.“ Das Kind zu bekommen, stellte sie niemals in Frage, hatte sie doch immer von sechs Kindern geträumt. Am 12. Juni 1970 kam ihre Tochter Claudia Christine Fischer zur Welt.
Adi Fischer als Bühnenpartner: Diese Rollen waren für Helga Hemala-Fischer immer mit besonderer Emotion verbunden.
1972 bekam die Familie erneut Zuwachs. Alexander Otto Fischer wurde am 29. März geboren. Bis zum Ende des siebten Monats ihrer Schwangerschaft stand Helga Hemala-Fischer auf der Bühne. Eine ihrer letzten Aufführungen war die Titelrolle im Schneewittchen. Während sie im gläsernen Sarg lag, die Hände auf dem Bauch gefaltet und bemüht, den Bauch beim Atmen kaum sichtbar zu heben oder zu senken, machte sich Alexander in ihrem Inneren gerne bemerkbar. „Der achte Zwerg“, sagt sie mit einem Lachen.
Als sie 1980 noch einmal schwanger wurde, behielt Helga Hemala-Fischer es vorerst für sich. Einzig die mittlerweile zehnjährige Tochter Claudia machte sie zu ihrer Vertrauten. Ließ sie den Kopf an ihren Bauch legen und das Baby spüren. Helga wollte die Schwangerschaft und das aufkeimende Muttergefühl einfach nur genießen, ohne stets an ihre Bühnenverpflichtungen, die sie sowieso wahrnahm, erinnert zu werden. Sie wartete lange. Erst als sie während einer Aufführung einen Kostümwechsel verneinte, in dem Bewusstsein, dass ihr das erforderliche Kleid nicht mehr passen würde, waren alle im Bilde. Am 11. August 1980 wurde Barbara Lucia Fischer geboren.
Helga Hemala-Fischer hat auf ihren Mann zählen können. „Wenn ich im Ballettsaal zu unterrichten oder zu choreographieren hatte, hat Adi in dieser Zeit die Kinder versorgt.“ Hatten beide Aufführungen, wurden die Kleinen einfach ins Theater mitgenommen, wo sie in der Kostümschachtel hinter der Bühne schliefen. Helga und Adi hatten immer versucht, den Spagat zwischen Bühne und Elternrolle zu meistern.
Anfangs in Eggenfelden zu Hause, zog die Familie schließlich nach Hebertsfelden, wo Helga Hemala-Fischer heute noch wohnt. Ihre drei Kinder leben in Wien und in München und sind mittlerweile alle in künstlerischen Berufen tätig. Claudia ist Sängerin und Regisseurin, Alexander arbeitet als Musik- und Tanzpädagoge sowie als Zauberer und Barbara hat sich der Kunst des Malens verschrieben.
Ein Ort, um die Sorgen hinter sich zu lassen
1965 begann für Helga Hemala-Fischer beruflich ein zusätzliches Kapitel. Es war die Geburtsstunde ihrer Ballettschule, in der sie heute noch jeden Werktag zugegen ist, unterrichtet und Aufführungen organisiert.
Auf dem Spielplan des Theaters an der Rott stand im September 1965 die Operette „Rose von Stambul“ von Leo Fall. Für die Choreographie brauchte Helga Hemala-Fischer junge Balletttänzerinnen. Woher nehmen? Helga sah sich in den örtlichen Gymnastikgruppen des Turnsportvereins um, wählte die Begabtesten aus und studierte mit ihnen die Tänze ein. Es war der Beginn eines Triumphzugs. Durch Helga Hemala-Fischer entstand ein Ensemble, das in den folgenden Jahren in Opern, Operetten, Musicals, Märchen und Ballettabenden eingesetzt werden konnte.