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Feenders. Jürgen Friedrich Schröder
Читать онлайн.Название Feenders
Год выпуска 0
isbn 9783839267387
Автор произведения Jürgen Friedrich Schröder
Жанр Контркультура
Издательство Автор
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Am 1. Januar 1934 trat das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in Kraft. Während der NS-Zeit wurden etwa dreihundertfünfzigtausend Menschen »von Amts wegen« sterilisiert, wobei mehrere Tausend bleibende gesundheitliche Schäden erlitten oder zu Tode kamen.
Offiziell begann die Vernichtung des im NS-Jargon »lebensunwerten Lebens« am 1. September 1939, zeitgleich mit dem Kriegsbeginn. Ebenso offiziell eingestellt wurde dieses Euthanasieprogramm nach öffentlichen Protesten, denen vor allem der katholische Bischof von Münster Clemens August Graf von Galen im August 1941 eine nicht zu überhörende Stimme verlieh.6
Bei weiteren derartigen Todesfällen außerhalb dieser Zeit liegt zumindest der Verdacht nahe, dass man auch hier im Sinne der NS-Ideologie verfuhr.
Es gab unterschiedliche Arten des Umgangs mit Menschen, die an geistigen Behinderungen litten, oder unheilbar Kranken. In manchen Anstalten brachte man diese gezielt mit Giftinjektionen oder Gas um, in anderen »Pflegeeinrichtungen« ließ man sie ohne jede medizinische Hilfe dahinvegetieren oder schlicht verhungern.
Schon in der psychiatrisch-neurologischen Wochenschrift Nummer 34 aus dem Jahr 1936 war Folgendes zu lesen: »Sehr interessant und in Deutschland wohl nur noch einmal in Schleswig vorkommend, sind die im Dorf Neusandhorst7 entstandenen drei Pflegehäuser, die von Bauern betrieben werden, und wo der Stallraum des niedersächsischen Bauernhauses in kleinste, ärmliche Schlafkabinen für Geisteskranke umgebaut ist. Jeder Bauer hat ca. zwanzig Patienten. Es sind Fälle, die sonst als Familienpfleglingsfälle von den Anstalten einzeln vergeben werden. Hier haben die Erbhofbauern diese in eigener Regie – ohne ärztliche Kontrolle – genommen. Es muss ein ganz gutes Geschäft sein! …«
6 Für die drangsalierten und verfolgten Juden fand sich leider keine Stimme, die ein solches Gewicht gehabt hätte.
7 Nordöstlich von Aurich.
7 – Ein elektrisches Problem und eine interessante Begegnung
Leer, Mittwoch, 15. März 1939
Die letzte Stunde, der Englischunterricht, fiel wieder aus. Dr. Gebhardt war noch immer krank. Georg hatte schon in entsprechender Voraussicht seinen Schulranzen mit einem Teil bestückt, das dort eigentlich nichts zu suchen hatte. Er rannte in Windeseile die Treppen des Ubbo-Emmius-Gymnasiums herunter, wäre auf einem Absatz beinahe mit dem Direktor kollidiert – »’tschuldigung« – und spurtete zu seinem Fahrrad. Das Elektrogeschäft lag nur zwei Straßen weiter. Wenn er sich beeilte, konnte er es noch schaffen, bevor der Inhaber seinen Laden zur Mittagspause zusperrte.
»Moin, Fräulein Degenhardt. Ist der Chef auch da?«
»Moin, Georg! Ich schau mal!« Sie öffnete die Tür der angrenzenden Werkstatt: »Chef? Kundschaft!« Marlene Degenhardt nickte Georg freundlich zu und verschwand wieder in ihrem Kontor.
Gleich darauf stand der Inhaber des kleinen Elektrogeschäftes im Laden. »Moin, Georg, du bist ja völlig aus der Puste!« Cornelius Holtkamp schaute ihn an. »Wer ist denn hinter dir her?«
»Niemand, Herr Holtkamp, moin erst mal! Ich hab nur ein Problem. Vielleicht können Sie mir helfen.«
»Es geht bestimmt um deinen Detektorempfänger, richtig?«
»Richtig! Ich hab die Antenne gewickelt, Messingstifte in ein Brett geklopft und die Bauteile nach dem Bauplan im ›Jugendfreund‹ darauf zusammengelötet.«
»Und jetzt sagt dein Radio keinen Mucks«, stellte Cornelius Holtkamp fest.
»Genau!«
»Gib mir das gute Stück mal rüber. Ich schau’s mir an.« Holtkamp verschwand mit Georgs Radio in der Werkstatt. Einige Minuten später tauchte er wieder auf.
»Und? Haben Sie den Fehler gefunden?«
»Ja, aber nicht so hastig, junger Mann. Wir gehen das Ganze einmal der Reihe nach durch. Die Bauteile sind alle in Ordnung. Spule, Gleichrichter, Kondensator und der Lautsprecher. Und deine gewickelte Antenne ist schon mal ein kleines Kunstwerk. Zusammengebaut und gelötet hast du es sehr ordentlich. Der Sender kommt gut herein, denn du kannst ein solches Radio ja von dessen Leistung betreiben und brauchst keinen Stromanschluss …«
»Ja, das weiß ich, Sie haben es mir wirklich sehr gut erklärt!«
»Kann es sein, dass du ’n klein büschen ungeduldig bist?«
»Nee, Herr Holtkamp, das täuscht. Ich muss nur unbedingt wissen, warum das Ding nicht funktioniert!«
Cornelius Holtkamp schmunzelte. Er mochte den wissbegierigen Jungen, der seinen Eltern mit Ausdauer klargemacht hatte, dass sein höchstes Glück darin bestünde, die Bauteile für ein einfaches Radio zu bekommen, wie es im Bauplan des »Neuen Deutschen Jugendfreundes« abgebildet war. Helfried Feenders hatte sich schließlich erweichen lassen und war eine Woche zuvor im Geschäft von Cornelius Holtkamp aufgetaucht, um die Teile zu kaufen. Georg hatte schon einen Tag später im Laden gestanden und dem Inhaber ein wahres Loch in den Bauch gefragt, vor allem im Hinblick auf die richtige Länge des Antennenkabels, abgestimmt auf den nächsten Rundfunksender. Immerhin waren sage und schreibe sechzig Meter des dünnen lackierten Drahtes auf einen kleinen Holzstern zu wickeln!
»Also, die Ursache ist recht einfach!« Cornelius Holtkamp gab Georg einen blanken Draht. »Schau dir diese Lötstelle einmal genauer an!« Er zeigte mit dem Finger auf den einen Anschluss des Kondensators. »Siehst du etwas?«
»Nee!«
»Jetzt überbrücke deine Lötstelle einmal mit dem Draht!«
Georg tat, wie ihm gesagt. Ein Knacken war im Lautsprecher zu hören, ein leichtes Rauschen und kurz darauf recht deutlich die Worte: »… eine Sendung des Großdeutschen Rundfunks. Sie hören jetzt …«
»Es geht!« Georg strahlte über alle vier Backen. »Ich habe nur eine kalte Lötstelle fabriziert!«
»Sehr gut erkannt, junger Mann! Kannst gleich in meine Werkstatt gehen und die Sache in Ordnung bringen!«
»Au prima, Herr Holtkamp!« Georg nahm sein Radio, wischte um den Tresen herum und rannte in die Werkstatt.
»Nimm den Lötkolben – der ist schon heiß – und entlöte die beiden Drähte! Anschließend schabst du sie schön blank …«
»… um die Oxidschicht zu entfernen!«, ergänzte Georg. »Na, das ist mal ’n Lötkolben, ein elektrischer – nicht wie dieses olle Riesending zu Hause, das ich erst im Feuer heißmachen muss!«
Einige Minuten später verließ Georg freudestrahlend den Laden, nachdem er sich bei Cornelius Holtkamp wohl mindestens dreimal bedankt hatte. Der stand hinter seiner Eingangstür und sah dem Jungen lächelnd nach.
*
Normalerweise fuhr Georg mit seinem Rad direkt zu dem Weg, der an der Bahnlinie zwischen Leer und Emden verlief. Heute aber, da er von dem Elektrogeschäft kam, bog er auf die Heisfelder Straße ein. Sonst hätte er ein Stück in Richtung Innenstadt zurückfahren müssen.
An der kürzlich neu erbauten Dapolin-Tankstelle, die schon fast in Heisfelde lag, gab es einen kleinen Volksauflauf. Georg, neugierig geworden, stellte sein Fahrrad an einer Hauswand ab, zerrte seinen Schulranzen herunter – da war schließlich sein neues Radio drin – und arbeitete sich durch die Menge.
Da standen sie! Gleich vier Wagen hintereinander. Schwarz lackiert und mit einer Karosserie, wie sie sonst kein anderes Auto aufzuweisen hatte. Nicht kantig und eckig, sondern – ja, wie ein längs halbiertes Ei, das auf seiner Schnittfläche