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schwarzen Haaren.

      Jelly wirft Tobias einen fragenden Blick zu. «Aber Finn ist doch vom Fest so früh verschwunden ...»

      «Ja, eben», meint Tobias. «Zuerst lässt derKerl uns einfach stehen. Und dann taucht er Stunden später wieder auf und knallt sich ein Whiskey-Red Bull nach dem anderen rein. Ohne ein Wort zu sagen.» Tobias zuckt mit den Schultern. «Keine Ahnung, was gestern mit ihm los war.»

      Also ist Finn zum Fest zurück, überlege ich still. Und weil er dort so viel getrunken hat, ist er nun völlig erledigt. Deshalb habe ich ihn auf dem Handy nicht erreichen können ...

      Und schon ist sie wieder da, die quälende Frage, die sich langsam in meinem Hirn ausbreitet und es erlahmen lässt. Diese eine Frage: War es wegen der Schweinehand?

      Gedanklich spule ich zum Anfang zurück, während Finn neben mir seinen Rausch ausschläft. Von Weitem höre ich Jellys helles Lachen. Tobias scheint ziemlich verrückt nach ihr zu sein. Und sie nach ihm. Wie die beiden da so auf der Decke liegen und herumknutschen ... als ob sie sich seit einer Ewigkeit kennen würden. Dabei kennen sie einander erst seit ein paar Tagen. Durch Finn. Und mich. Und jetzt haben sie den größten Spaß miteinander, und alles an ihnen sieht leicht und unbeschwert aus. Typisch Jelly! Sie ist wie eine von diesen geleeartigen Bohnen, die es in allerlei Farben und Geschmacksrichtungen gibt. Die sind außen süß und innen auch. Und immer für eine Überraschung gut. Und so ist auch Jellena. Wie eine Jelly-Bean.

      Bei mir hingegen ist alles anders. Viel schwieriger.

      Dass Finn mich vor ein paar Wochen an der Bushaltestelle angesprochen hat, wundert mich immer noch. Zuerst dachte ich, er wolle sich nach Lena erkundigen. Wie es ansonsten der Fall ist, wenn mich Jungs von der Schule ansprechen. Weil sie durch mich an Lena herankommen wollen. Oder an Jelly. Manchmal holt Jelly mich nämlich von der Schule ab, wenn wir in die Stadt ins Kino wollen oder shoppen gehen. Da können sich die Jungs das Gaffen auch nicht verkneifen, wenn Jelly mich abholt.

      Bei Finn aber war das anders. Ich kannte ihn nur flüchtig. Ich wusste, dass er zwei Schulklassen über mir ist und in die 7e geht. Mehr nicht. Man kann nicht alle kennen. Ist ja eine Riesenschule. Über tausend Schüler mindestens. Und trotzdem ist er mir aufgefallen. Mit seiner ruhigen Art. Und dem klaren Blick. Dass ich ihm aber auch aufgefallen bin ...?

      Jedenfalls stand ich an dem Tag an der Haltestelle und wartete auf den letzten Bus des Tages, der die große Runde um den See drehen und im Dorf halten würde. Die meisten Schüler waren längst zu Hause. Fast alle wohnen in der Stadt. Oder ihre Busverbindung ist günstiger als die nach Tieglitz. Irgendwann hörte ich, wie das schwere Schultor ins Schloss fiel. Und als ich mich fragte, wer um diese Zeit in der Schule noch herumgeistern würde, stand er plötzlich vor mir: Finn. Und lächelte mich an. Wir quatschten eine Weile. Ganz locker. Einfach so. Dies und das. Über die Schule. Und über die Lehrer. Welche cool und welche uncool sind. Dann kam der Bus. Tieglitzer Moorsee – Große Runde stand in roten Lettern auf dem Anzeigenblatt.

      «Das ist meiner», sagte ich und schulterte meine Tasche. Finns Antwort darauf überraschte mich. «Meiner auch», sagte er und ließ mir den Vortritt, als er mit mir in den Bus einstieg.

      Erst einige Zeit später begriff ich, wer Finn überhaupt war. Nämlich der Sohn von Raphaels Chef. Also der Sohn vom neuen Elektrocenterbesitzer, dessen Familie erst kürzlich hierher gezogen ist. Ab da fing die Sache an kompliziert zu werden.

      Wieder höre ich, wie Jelly lacht. Ganz dicht neben mir. «He, wo bist du denn mit deinen Gedanken», flötet sie und stupst mich an. «Wir gehen zum Imbissstand und holen uns was zu trinken. Kommst du mit?»

      Ich schüttle den Kopf. Da beginnt sich neben mir etwas zu regen. Es ist Finn, der zum Leben erwacht. «Habt Erbarmen und bringt dem halb Verdursteten eine Cola mit, ja?», krächzt er mit belegter Stimme. «Oder noch besser, zwei!» Er kramt einen Fünfeuroschein aus der Hosentasche und drückt ihn Tobias in die Hand.

      «Geht klar, Alter», grinst Tobias und macht sich mit Jellena in Richtung Imbissbude davon. Händchen haltend.

      Als die beiden im Unterholz verschwinden, dreht sich Finn auf meine Seite. Dabei streift seine Hand mein Knie. Ein Schauer rieselt mir über den Rücken.

      «Wie geht’s?»

      «Gut», sage ich.

      «Und Brummer?»

      Oh! Er hat es nicht vergessen! Tomatensuppenfarbe schießt mir ins Gesicht. «Auch gut. Glaube ich zumindest. Ich war heute noch nicht im Stall!»

      Finn sieht mich mit gespielt entgeisterter Miene an. «Was?», raunt er heiser. «Du kannst unseren Brummer doch nicht so vernachlässigen. Wofür haben wir ihm schließlich das Leben gerettet?»

      «Wegen zukünftiger Schnitzel?», rutscht es mir heraus. Finn aber lacht mich an und drückt mir einen sanften Kuss auf die Lippen. Mein Herz schlägt einen Purzelbaum und alle Zweifel sind mit einem Mal wie weggeblasen.

      Als ich wieder die Augen aufschlage, fragt er: «Kommst du mit? Ich brauche Abkühlung.» Er greift nach meiner Hand und zieht mich in Richtung Seeufer. Als wir auf den Felsen klettern, halten wir uns immer noch an den Händen. So springen wir auch. Gemeinsam. Händchen haltend ins tiefe schwarze Loch.

      Als wir auftauchen, lacht Finn: «Außer dir kenne ich kein einziges Mädchen, das sich traut, von diesem Felsen zu springen!» Er zieht mich zu sich rüber und schaut mir dabei ruhig in die Augen. «Ganz schön cool, finde ich!»

      «Hab ich bei meinem Bruder gelernt. Mehr oder weniger freiwillig.» Ich muss ebenfalls lachen. «Irgendwann bin ich dann von selbst gesprungen. Ab da fand ich es auch gut. Vorher nicht so ...»

      Finn legt seinen Arm um mich. Dann küssen wir uns noch einmal. Und noch einmal. Und erst als wir ganz schrumpelige Fingerspitzen haben, beschließen wir, aus dem Wasser zu gehen.

      Inzwischen sind Tobias und Jelly mit zwei eiskalten Colas zurückgekommen. Finn drückt mir eine davon in die Hand. Dabei sieht mich Jelly triumphierend an. «Also doch», flüstert sie mir ins Ohr.

      Ich runzle die Stirn und weiß nicht, was ich sagen soll. Der Nachmittag ist einfach zu schön! Zu schön, um kaputt gemacht zu werden. Nur damit ich die Fassade aufrechterhalten kann. Meine Fassade. Und während wir am Seeufer sitzen, Jelly mit Tobias, und ich mit Finn, verschwende ich nur flüchtig einen Gedanken daran, was wäre, wenn jeder wüsste, dass ich in Finn verliebt bin. Denn ich, Hannah Seibner, bin in Finn Delorn verliebt. Das ist so klar wie Papas Birnenmost. So klar wie eine seiner beschissenen Bauernregeln, die besagt: Ist der Johannihimmel hell und klar, wird es wohl ein heißes Jahr. Und ist der Himmel über unseren Köpfen nicht gerade hell und klar, und vor allem blau? Ja, blau ist er. So blau wie selten.

      Auch nach zwei Wochen will die Hitzewelle nicht nachlassen. Die Getreidefelder sind mittlerweile zu goldgelben Teppichen herangereift. Daneben strotzen grüne Maisäcker. Wie ein buntes Mosaik sieht das aus. Besonders, wenn der Bus an ihnen vorüberzieht. Gelb, Grün, Gelb, Grün ... und hie und da ein Sprenkel Rot von den Mohnblumen, die am Straßenrand wachsen.

      Die Hitze im Bus ist unerträglich. Auch Lena neben mir schwitzt. Ihre Locken kleben an der Stirn und lassen Lena irgendwie hässlich aussehen. Ein ungewohntes Bild. Lena ist ansonsten immer schön. Immer perfekt. Als ob sie meine Gedanken erraten hätte, wischt sie sich über die Stirn und versucht, Ordnung in ihre Frisur zu bringen. «Wie gut, dass wir nur noch ein paar Tage Schule haben», stöhnt sie, und fängt an, am Fenster herumzunesteln. Vergeblich versucht sie, es einen Spaltbreit zu öffnen. «In einer Woche sitze ich schon auf Ibiza und trinke Cocktails am Strand.» Sie lacht kurz auf. Als sie aber merkt, dass sich das Fenster nicht öffnen lässt, verstummt sie. Griesgrämig wendet sie sich ab und zu mir hin. «Und was wirst du so in den Ferien machen?», will sie wissen.

      «Was schon», murmle ich. «Bei der Ernte helfen und so. Was halt im Sommer auf einem Hof so anfällt. Da ist nix mit Urlaub.»

      Lena verzieht ihren himbeerroten Glitzermund zu einem versöhnlichen Lächeln. «Ach ja, stimmt. Sorry, habe ich ganz vergessen.» Eilig hängt sie dran: «Dann schreibe ich dir eine Karte. Eine ganz schöne.

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