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der Moment dafür gekommen.

      Während ihres Studiums hatte sie ein Referat über einen modernen Roman halten müssen und viel zu spät mit der Arbeit daran begonnen. Dann war sie in der Bibliothek auf einen Artikel gestoßen, der das Werk auf geniale Weise zu interpretieren schien. Wovon auch immer getrieben – Eitelkeit, Stolz, der Aussicht auf eine gute Note – sie präsentierte diese Erkenntnisse am nächsten Tag im Seminar als ihre eigenen. Mit mehr Zeit wäre sie sicherlich auch selbst darauf gekommen, redete sie sich ein. Ihre Kommilitonen schienen beeindruckt, und der Professor klatschte sogar in die Hände – eine Geste, die ihr gleich verdächtig hätte vorkommen müssen. Natürlich stellte sich heraus, dass er den Artikel kannte, und seine Pupillen glänzten hart wie Gewehrkugeln, als er sie fixierte und erklärte: Man könne irren in Lehre und in Forschung. Man dürfe es sogar. Aber das geistige Eigentum anderer sei sozusagen heilig, und so sei für jemanden wie sie, Mata, kein Platz in seinem Seminar. Jetzt waren auch die Blicke aller anderen zu ihr herübergeschossen, und Mata hatte ohne ein weiteres Wort ihre Unterlagen zusammengeschoben und war zum Ausgang gegangen. Dann hatte sie leise die Tür hinter sich zugezogen, ohne sich noch einmal umzusehen.

      Sie fühlte jetzt fast dieselbe Hitze in sich aufsteigen wie damals, aber vielleicht lag das auch an der Luft hier im Pub, die sogar die Scheiben hatte beschlagen lassen. Sie sah zu Boden und zählte die Zigarettenstummel, die dort ausgetreten worden waren.

      Ausgerechnet Franny brach den Bann: „Wie tapfer von Dir, uns das zu erzählen! Und du hast doch bestimmt daraus gelernt.“ Sie legte ihre Ärmchen um Mata und drückte sie.

      Cecilia machte große Augen, sonst nichts, und Megan steckte sich erneut eine Zigarette zwischen die Lippen. Dann nahm sie sie wieder heraus und sagte: „Ihr Deutschen macht mich fertig. Immer gleich die volle Ladung. Es sollte l-u-s-t-i-g sein. Und du kommst mit sowas!“.

      „Jetzt lass sie doch.“ Franny zündete für Megan ein Streichholz an. „Peinlich war es in jedem Fall, also beschwer dich nicht. Soll ich jetzt?“.

      „Ganz bestimmt nicht!“. Megan beugte sich über die Flamme. „Womöglich bietest Du etwas ähnlich Trostloses dar. Lieber erzähl ich eine Geschichte, bei der Ihr Euch garantiert vor Lachen in die Hose macht. Also, ich komme nachts von dieser Party, mit einem total süßen Typen im Schlepptau, den ich erstaunlicherweise dazu gebracht habe, mich nach Hause zu fahren. Auf dem Weg zu seinem Wagen muss ich plötzlich ganz dringend Pipi. Aber ich will auf keinen Fall zurück zur Feier und dort aufs Klo, denn dann verliert er womöglich die Geduld und saust alleine los. Natürlich ist weit und breit kein Gebüsch in Sicht, kein Vorgarten, nur Häuserfronten und parkende Autos. Und Ben immer schön neben mir.

      Aber ich wittere meine Chance, als wir zu seinem Auto kommen. Er öffnet mir die Beifahrertür und geht dann im leichten Schlingerkurs um den Wagen herum. Ich schiebe blitzschnell den Rock hoch und den Slip runter, geh in die Hocke, und los geht’s. Inzwischen hat er seine eigene Tür geöffnet und will wissen, was ich da mache. Alles klar, ruf ich zu ihm rüber, mir ist nur mein Lippenstift unters Auto gerollt. ´Weiber`, hör ich ihn sagen, während er sich hinter das Steuer schiebt. Beim Aufstehen verlier ich fast das Gleichgewicht, fummele den Rock wieder runter und lass meinen Hintern erleichtert auf den Beifahrersitz plumpsen. Er sieht zu mir rüber, und ich ziehe eilig die Beine. Dabei schweben meine Füße in der engen Karre einen Moment lang in der Luft, und was baumelt da zwischen meinen himmelblauen Pumps: Der verdammte Slip, den ich vergessen hab hochzuziehen.“

      „Nicht so laut!“, zischte Cecilia, aber Megan war glücklicherweise nicht zu bremsen Für Mata war es sowieso schon schwer, sie über Frannys Kopf hinweg zu verstehen, und jetzt hatte. das schräge Paar neben ihr auch noch zu streiten begonnen. Sie hätte sich gern auf die andere Seite von Megan gestellt, aber dort saß ein Mann mit einem gelben Schal und las Zeitung.

      „Ganz kurz hoffe ich, er hat nichts bemerkt und zwänge die Füße am Handschuhfach vorbei nach unten.“

      Cecilia stöhnte leise.

      „Aber ich bin nicht schnell genug, denn Ben lässt den Wagen an und sagt: ´Nette Idee, Baby, ich fürchte nur, das wird heute nichts mehr. Ich bin einfach zu müde`. - Tja, und das war´s dann. Der Typ hat mich zwar noch nach Hause gebracht, aber wiedergesehen habe ich ihn nicht.“

      Auch ihre Geschichte wurde erstmal mit Schweigen quittiert, und Megan fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. „Ja, was hätte ich denn tun sollen? Vielleicht sagen: Oh, so war das nicht gemeint, ich habe nur schnell an dein Auto gepinkelt und dann vergessen, den Slip hochzuziehen?“. Sie lachte jetzt: „Ihr solltet Euch im Übrigen mal sehen – drei Nonnen im Schlafzimmer von Marquis de Sade!“.

      Auch Mata musste jetzt lachen, sie fühlte sich plötzlich ganz leicht. Ein Mann in Lederjacke und buntem Bandana presste sich neben sie an den Tresen und gab in schottischem Singsang eine lange Bestellung auf. Sie rief den anderen zu: „Sollen wir auch noch etwas ordern?“.

      Aber Cecilia blickte streng auf ihre Armbanduhr und schüttelte den Kopf: „Für mich nicht. Barry erwartet mich bei Kettner´s.“

      Barry war ihr langjähriger und eher langweiliger Boyfriend. Irgendwann sollte er sie von der Mutter erlösen, mit der sie seit dem Tod des Vaters allein in dem Haus in Hampstead wohnte. Aber bisher hatte er noch keinen Antrag gemacht, obwohl er als Anwalt nicht schlecht verdiente, wie sie gern betonte. Nun warf Cecilia Kusshände in die Luft. „Bis Montag dann!“.

      „Ja-ha-ha“, trällerte Franny, und dann, als Cecilia verschwunden war: „Jez hat sie ganich bezahl.“

      Megan stand energisch auf. „Das nächste Mal müssen wir unbedingt auch etwas essen. Ich bring dich nach Hause, Franny, und zwar sofort.“ Sie fischte einen Geldschein aus ihrer Umhängetasche und hielt ihn Mata hin. „Übernimm du das heute bitte“, sagte sie mit Blick auf Tom. Mata nickte, umarmte beide und sah ihnen dabei zu, wie sie durch die Menge zum Ausgang gingen. Dort schlüpfte Franny brav in ihre Jacke und winkte noch einmal mit heftig wippender Hand herüber, bevor Megan sie zur Tür hinausschob.

      III

      Ihre Barhocker waren sofort von dem Kopftuch-Mann und seinen Freunden eingenommen worden, und nun war es an Mata, sich wieder einen Platz an der Bar zu erobern. Als sie endlich bezahlt hatte, übertönte ein Satz in hart geschliffenem Englisch das weiche Schottisch um sie herum: „Could we have another two, please.“

      Sie drehte sich um und stand direkt vor dem gelben Schal. Die Augen darüber musterten sie ernst, und der Mund sprach nun aktzentfrei deutsch. „Der eine wäre für Sie, wenn Sie nichts dagegen haben.“

      „Sehr nett, aber danke, nein.“ Sie hatte schon schönere Männer gesehen, und ganz jung schien er auch nicht mehr zu sein.

      Sein Blick blieb beharrlich.

      „Ich bin hier fertig“, fügte sie hinzu, aber er wich nicht zur Seite: „Sie sind fertig? Wie kann das sein, nachdem Sie ihren Freundinnen gerade noch eine weitere Runde vorgeschlagen haben?“.

      „Und Sie haben gelauscht!“. Sie versuchte, sich an dem Fremden vorbeizuschlängeln.

      „Sagen wir einmal so – ich konnte nicht umhin, zu hören.“ Er schien zu schmunzeln. „Und ich muss zugeben, dass es äußerst unterhaltsam war.“

      Mata hielt in ihrer Bewegung inne und überlegte, wann sie den Mann zum ersten Mal bemerkt hatte. Die Vorstellung, dass er Zeuge ihrer eigenen Erzählung geworden war, war beschämend. Sie zwang sich, ihn anzusehen. Seine Augen waren hellgrau, und auf seiner Wange entstand ein Grübchen, als er jetzt sagte: „Jetzt machen Sie doch nicht so ein Gesicht. Sie haben die absurde Geschichte doch nicht erzählt!“.

      Mata atmete aus und ließ zu, dass er sie am Arm nahm und zu seinem Platz mit der aufgeschlagenen Zeitung führte.

      „Oder sind Sie etwa böse, weil ich ihren Akzent erkannt habe? Dabei würde ich mich einfach so gern einmal wieder in meiner Muttersprache unterhalten.“ Er klopfte einladend auf seinen Barhocker.

      Mata gehorchte und setzte sich. Der Mann rollte die Zeitung zusammen und steckte sie in die Tasche seines Nadelstreifenanzugs. Dann hielt er ihr eines der Gläser hin,

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