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Parolen beschmiert. Dabei hatte sich der hier anwesende Hüne als besonders unangenehmer Zeitgenosse erwiesen. Silberstein war in der Vergangenheit jedes Mal erschauert, wenn er ihn gesehen hatte.

      »Wo will denn der Jud’ so schnell hin?«, hörte er den Riesen überlaut sagen, so dass auch andere Passanten auf ihn aufmerksam wurden. »Das hier …«, er zeigte dabei auf ein kleines, weiß verputztes Fachwerkhäuschen, das rechts am Anfang der Brücke errichtet worden war, »… ist der alte Zollposten. Jeder, der früher die Brücke nutzte, musste eine Gebühr entrichten. Für Juden gilt das noch heute!«

      Silberstein versuchte, die drei nicht zu provozieren und erhob keinen Widerspruch, obwohl alles in ihm aufschrie. Würde er dieses Aufeinandertreffen heil überstehen?

      Er hatte ein mulmiges Gefühl im Magen, als er antwortete: »Ja, ja. Natürlich, wie viel verlangen Sie denn?«

      »Lass mich mal nachdenken, Jud’. Die Zollgebühr errechnet sich prozentual. Es kommt also darauf an, wie viel Geld du mitführst. Lass mal sehen, was du dabei hast!«

      »Ja, selbstverständlich.«

      Der Kaufmann kramte daraufhin umständlich in den Taschen seines Mantels und zog schließlich seine Geldbörse hervor.

      Die drei SA-Angehörigen waren noch einen Schritt näher an ihn herangetreten und umringten ihn von allen Seiten, als ihm der Wortführer die Geldbörse entriss und diese öffnete. Nachdem er einen Blick hineingeworfen und den Inhalt grob abgeschätzt hatte, verkündete er:

      »Nicht schlecht, das Sümmchen. Wen hat unser Jud’ denn um soviel Geld betrogen? Werdet ihr jüdischen Raffgeier euch denn nie ändern? Seit Jahrhunderten bringt ihr mit eurer Geldgier ehrliche Deutsche um ihr wohlverdientes Auskommen. Glaubst du allen Ernstes, dass das ewig so weitergeht? Der Führer wird euch einen Strich durch die Rechnung machen und unter euch Juden aufräumen! Die große Zeit des Judentums ist in Deutschland vorbei, wir werden schon mit euch fertig werden! Weil ihr Ratten schon Generationen meiner Vorfahren um ihr Geld betrogen habt, muss ich einen Aufschlag berechnen. Die Gebühr beträgt in diesem Fall einhundert Prozent.«

      »Wie bitte?«

      Silberstein konnte es nicht glauben. Die SA-Männer wollten ihm sein komplettes Geld wegnehmen. Das war krimineller Straßenraub, und er konnte nichts dagegen tun.

      »Ich habe heute lediglich einen Vorschuss für einen Auftrag bekommen. Sie können mir doch nicht meinen gerechten Lohn stehlen«, protestierte er.

      Dabei hatte er reflexartig versucht, nach seiner Geldbörse zu greifen. Daraufhin bekam er von einem der Männer einen Schlag ins Gesicht und war für einen Moment benommen. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was gerade geschah. Schon hatte ihn die Faust ein zweites Mal getroffen und er ging angeschlagen zu Boden. Sein Musterkoffer glitt ihm dabei aus der Hand und der Inhalt quoll teilweise heraus, weil sich der Koffer beim Aufschlagen auf dem Straßenpflaster geöffnet hatte.

      Einer der drei gab dem Gepäckstück einen Tritt, so dass dieser über das Pflaster schoss und sich Stoffproben, Stecknadeln und Maßband weiter auf der Brücke verteilten.

      Vorübergehende Passanten versuchten das Geschehen zu ignorieren und eilten mit abgewandten Gesichtern vorbei. Bevor sich die SA-Männer mit ihrer Beute von ihm abwendeten, gab ihm einer von ihnen noch einen kräftigen Tritt in die Seite, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Silberstein stöhnte vor Schmerz auf.

      Doch dann war es endlich vorbei. Sie ließen von ihm ab und er hörte sich entfernende Schritte. Er atmete tief durch und spürte dabei einen stechenden Schmerz in seinem Brustkorb.

      Er fühlte sich schrecklich; sein Gesicht war blutverschmiert und er fürchtete, sich eine oder gar mehrere Rippen gebrochen zu haben.

      Der erste Versuch sich aufzurichten, schlug fehl. So gut es ging, sammelte er auf dem Boden krabbelnd seine Schneiderutensilien ein. Er sah sich hilfesuchend um, doch auch jetzt noch taten die Vorbeilaufenden so, als würden sie ihn nicht sehen.

      Er robbte zum Brückengeländer und schaffte es unter großen Schmerzen, sich aufzurichten.

      Mit der einen Hand den Koffer und mit der anderen Hand den eiskalten Stahl des Brückengeländers festhaltend kam er nur langsam voran; irgendwann hatte er sich an der namengebenden Nepomukstatue vorbei gehangelt, die eigentlich Reisenden und Brücken Schutz gewähren sollte.

      »Mir hast du deine schützende Hand verwehrt«, dachte er verbittert.

      Am Ende der Brücke stützte er sich an den Hauswänden der in diesem Bereich stark ansteigenden Emsstraße ab und kam die wenigen Meter bis zur Münsterstraße nur langsam voran.

      Inzwischen war es dunkel geworden, er hoffte darauf, auf dem kurzen Restweg nach Hause nicht noch einmal auf SA-Leute zu treffen.

      Was war nur geschehen?

      Er war übelst zusammengeschlagen und beraubt worden. Vor einiger Zeit noch hätte er sich unverzüglich auf den Weg zur Polizeiwache gemacht und die Täter angezeigt. Doch hatte das jetzt noch einen Sinn? Als Jude war er inzwischen so gut wie ohne Rechte – und das in seinem eigenen Land. Man würde ihn höchstens auslachen und ohne weiter tätig zu werden wieder nach Hause schicken. Es würde also nichts bringen, das Polizeirevier aufzusuchen.

      Silberstein schleppte sich langsam die Emsstraße hoch und warf einen ängstlichen Blick in die Münsterstraße, als er die Kreuzung erreicht hatte.

      Vor dem »Emskrug« waren keine braunen Gestalten zu sehen, also riskierte er es, die letzten Meter bis zu seinem Heim zu schleichen.

      An der Haustür angekommen drückte er die Klinke und musste mit Schrecken feststellen, dass diese abgeschlossen war. Er war inzwischen durchgefroren, hatte immer stärker werdende Schmerzen und sehnte sich nach seinem Sofa.

      Er hatte Gerda und den Kindern in den letzten Monaten immer wieder gepredigt, die Haustür aus Vorsicht vor judenfeindlichem Besuch stets sorgsam abzuschließen. Doch in diesem Augenblick bereute er seine Worte angesichts seiner heiklen Situation.

      Vorsichtig klopfte er an die Haustür und schaute dabei wiederholt ängstlich nach links und rechts. Glücklicherweise sah er keine SA. Doch drinnen geschah nichts, also wiederholte er sein Klopfen, diesmal etwas lauter. Endlich hörte er im Haus Geräusche und schnelle Schritte kamen näher; er wartete einen Augenblick und sprach so leise wie möglich durch das Holz der Tür: »Gerda, ich bin es. Bitte lass mich schnell ein.«

      Der Schlüssel drehte sich um und der Einlass wurde einen Spalt breit geöffnet. Gerdas besorgtes Gesicht zeigte sich kurz, bevor sie die Tür voller Entsetzen ganz aufriss. Er wankte ins Haus, bevor sie die Tür zügig hinter ihm schloss.

      Gerda schlug angesichts des blutüberströmten Kopfes ihres Mannes die Hände vor den Mund und fragte mit bebender Stimme: »Mein Gott, was ist passiert, wer hat dir das angetan?« Sie musste ihn vorsichtig stützen, als beide durch den Verkaufsraum und über die Treppe in die Wohnung gingen, die das gesamte obere Stockwerk einnahm.

      In der Küche setzte er sich unter schmerzhaftem Aufstöhnen und schilderte in kurzen Worten, was ihm widerfahren war. Immer wieder schüttelte er dabei den Kopf, als könne er es selber immer noch nicht glauben. Das Erlebte war ein einziger Albtraum!

      Gerda hatte inzwischen Alkohol und Kompressen aus der Hausapotheke geholt und kümmerte sich liebevoll um die Wunde in seinem Gesicht.

      »Was ist in diesem Land nur los? Warum machen die so etwas? Sind wir etwa Menschen zweiter Klasse? Ich halte das einfach nicht mehr aus!«, sagte sie mit verzweifelter Stimme.

      Er nahm ihren Arm und versuchte sie zu trösten: »So schnell wie sie gekommen sind, werden sie auch wieder verschwinden.

      Irgendwann ist es vorbei, dann können wir wieder ein normales Leben führen.«

      Er wusste selbst, wie hohl sich das anhörte. Seit einem Jahr waren die Nazis an der Macht und hatten praktisch alle verhaftet, die ihnen gefährlich werden konnten. Wer sollte sie nur wieder vertreiben?

      Seine Frau fing an, leise zu schluchzen. Eine Träne lief

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