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Tod eines SA-Mannes. Dieter Heymann
Читать онлайн.Название Tod eines SA-Mannes
Год выпуска 0
isbn 9783864551949
Автор произведения Dieter Heymann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Somit war ihm heute für die etwa drei Kilometer lange Strecke nach Altenrheine trotz der ungemütlichen Kälte nur die Möglichkeit geblieben, den Weg zu Fuß zurückzulegen, denn im Besitz eines Fahrrades war er nicht.
Die Große-Schulthoffs hatten ihn freundlich auf ihrem Hof begrüßt.
»Bitte kommen Sie herein, Herr Silberstein«, hatte ihn Frau Große-Schulhoff mit einem Lächeln im Gesicht empfangen. »Wir freuen uns schon seit heute Früh auf Ihren Besuch, denn neue Kleidung bestellt man sich ja schließlich nicht jeden Tag!« Ihr Ehemann war hinzugekommen und hatte dem Modekaufmann fest die Hand geschüttelt. »Schön, dass Sie da sind. Meine Frau konnte Ihren Besuch gar nicht mehr erwarten.«
Zusammen waren sie in die große Küche gegangen, wo Silberstein Maßband, Schreibblock und Bleistift aus seinem Koffer hervorgeholt hatte.
Während er bei seinen Kunden die Maße für Kleid und Anzug genommen hatte, hatten sie sich über die politische Situation in Rheine unterhalten.
»Nicht, dass ich die Roten besonders mag. Ich habe immer Zentrum gewählt, aber wer soll den Nationalsozialisten auf die Finger schauen, wenn alle Oppositionspolitiker im Falkenhof sitzen?«, hatte sich Große-Schulthoff empört.
Die nicht ungefährliche Meinung des Hausherrn wurde nicht mehr öffentlich geäußert, denn Kritik an den Nationalsozialisten wurde in der Tat nur allzu schnell mit Verhaftung und Einkerkerung im mittlerweile zu diesem Zweck entfremdeten Falkenhof bestraft. Dieser war ursprünglich zur Sicherung der tiefer gelegenen damaligen Emsfurt angelegt worden und stammte vermutlich aus dem achten oder neunten Jahrhundert. Das Gebäude war einmal karolingisches Königsgut; als »Villa Reni« erbaut, galt sie als die Keimzelle Rheines. Später als Adelssitz genutzt, würden sich die früheren Bewohner wohl angesichts der heutigen Funktion des Gutes als Folterstube im Grabe umdrehen.
Große-Schulthoff hatte weiter gesprochen: »Was den Menschen Ihres Glaubens in diesen Tagen an Hass entgegen schlägt, ist skandalös. Was haben Sie den Nationalsozialisten getan? Warum diese Hetze gegen Ihre Religion? Was bringt es, alle Juden aus dem Reich zu vertreiben? Ich habe angesichts unserer Regierung kein gutes Gefühl. Passen Sie nur gut auf sich und Ihre Familie auf, Herr Silberstein!«
Frau Große-Schulthoff hatte extra einen Kuchen gebacken, der zusammen mit einer Kanne Kaffee serviert worden war.
»Bitte greifen Sie zu, Herr Silberstein. Es kommt von Herzen«, hatte sie mehrfach beteuert.
Zum Apfelkuchen war geschlagene Sahne serviert worden, für einige Zeit hatte der Geschäftsmann angesichts dieser Köstlichkeit seine Probleme vergessen können.
Leider sollte sich die zusätzliche Stunde unbeschwerten Beisammenseins mit netter Unterhaltung jetzt bitter rächen.
»Verflucht, es wird schon dunkel«, schoss es ihm durch den Kopf. Gleich würden sie losmarschieren und er war noch nicht zuhause. Vermutlich machten sich seine Frau und die beiden Kinder schon Sorgen.
Er versuchte seine Schritte nochmals zu beschleunigen, als er die Hindenburgstraße, die bis vor wenigen Monaten noch Gasstraße hieß, überquerte und in die Ibbenbürener Straße einbog. Nach kurzer Zeit war er bereits in der Emsstraße, die ihn zur Nepomukbrücke führen würde.
»Vielleicht schaffe ich es noch, bevor sie sich treffen; es ist ja nicht mehr weit«, machte er sich selbst Mut. Wegen der nasskalten Witterung eilten die Menschen mit schnellen Schritten von der Straße in die warmen Geschäfte, um dort ihre Einkäufe zu tätigen.
Silberstein war durch sein zügiges Tempo dennoch ins Schwitzen gekommen. Zum Glück – da war sie schon, die Brücke über die Ems. Dahinter nur noch einige dutzend Meter hoch bis zur Münsterstraße, dort nach links abbiegen und er hatte es geschafft.
Plötzlich sah er sie, sie schauten genau in seine Richtung. Sein Herz setzte vor Schreck aus, denn sie wussten nur zu genau, wer er war …
Im »Emskrug«, einem im rustikalen Stil eingerichteten Lokal, war es zu dieser Zeit noch ruhig. Das Tagesgeschäft war verhalten gewesen, einige wenige Ältere hatten sich zu Skatrunden an den Tischen zusammengesetzt, die Arbeiter kamen auf ein Feierabendbier und ein Schwätzchen vorbei. Wirt Alfons Hergemöller hatte sich für den Abend eine zusätzliche Bedienung organisiert, die gerade eingetroffen war. Hier würde die SA heute den Jahrestag der Machtübernahme feiern und dementsprechend viel Arbeit anfallen. Die Männer der Sturmabteilung galten als rohe, trinkfeste Gesellen. »Hoffentlich gibt es am Abend nicht schon wieder eine Schlägerei«, dachte Hergemöller. Er hatte in der Vergangenheit so seine Erfahrungen gemacht.
Die 19-jährige Johanna war die Tochter eines Bekannten und versuchte sich im »Emskrug« ein paar Groschen zu verdienen. Sie hatte ihre Aushilfsstelle als Kellnerin vor einigen Wochen probeweise angetreten. Anfangs sehr zurückhaltend, verrichtete sie ihre Arbeit inzwischen zur vollsten Zufriedenheit ihres Chefs. Sie war bei den Gästen schnell beliebt, wozu sicherlich neben ihrem freundlichen Wesen auch ihr sehr hübsches Äußeres beitrug.
Gerade hatte sie damit angefangen, die Gläser zu spülen, als sie die ersten braunen Uniformen hereinkommen sah.
»Heil Hitler! Alfons, mach uns mal drei Bier und drei Kurze«, hörte sie einen der neu Angekommen rufen. Das Trio machte es sich am Tresen bequem.
»Ist schon in Arbeit«, hörte sie Alfons antworten.
»Heute Abend werden wir allen zeigen, wer im Reich das Sagen hat. Erinnert euch nur daran, wie schnell wir mit den Roten fertig geworden sind«, warf der Wortführer in die Runde und erntete lauten Zuspruch.
Der Wirt war noch damit beschäftigt, die Getränke einzuschenken, als Johanna erneut einen kalten Luftzug spürte. Die nächsten SA-Angehörigen betraten das Gasthaus.
»Heil Hitler«, erklang es von allen Seiten.
Weitere Getränke wurden bestellt und Zigaretten angezündet. Schnell bestimmte die SA den Geräuschpegel im Gasthaus.
»Auf unseren Führer und unseren Stabschef«, erklang es von einem anderen SA-Mann und Gläser wurden mit einem vielstimmigen »Prost« aneinander gestoßen.
Stabschef Ernst Röhm, oberster SA-Mann und enger Vertrauter Hitlers, hatte die Sturmabteilung nach einem längeren Südamerikaaufenthalt ab 1931 zu einer breit angelegten Organisation ausgebaut und dabei die Mitgliedszahlen vervielfacht. Mit seiner paramilitärischen Truppe hatte Röhm die politischen Gegner terrorisiert und damit nicht unerheblich zur Machtübernahme der Nationalsozialisten beigetragen. Der Stabschef hatte dabei seine ganz eigenen Vorstellungen für das zukünftige Deutschland und machte seine Forderungen in letzter Zeit immer öfter und lauter geltend. Die nächsten Monate würden zeigen, inwieweit Hitler seinen Wünschen entgegen kam.
Während lauthals über die führende Rolle der Sturmabteilung im Reich, die Visionen und Forderungen Röhms diskutiert wurde, betraten immer mehr Uniformierte die Wirtschaft. An die Wände des Raumes waren Standarten, Fackeln und eine Fahne gelehnt, die später für den Marsch gebraucht würden.
»Hallo meine Süße. Du wirst ja immer hübscher!«
Johanna schreckte hoch. Ihr war bewusst, dass sie oftmals mit neugierigen Blicken des männlichen Geschlechts bedacht wurde, denn ihre weiblichen Reize zeigten sich mit zunehmendem Alter immer deutlicher. Sie hatte langes, blondes Haar, das sie heute zu einem Dutt gebunden hatte. Doch der Mann, der sie angesprochen hatte, konnte ihr Vater sein. Er hatte gelichtetes Haar und ein faltiges Gesicht. Zudem verursachte er mit seinem ungepflegten Äußeren und einem widerlichen Mundgeruch Ekel bei ihr.
Johanna versuchte ihn zu ignorieren und konzentrierte sich auf die bereits gespülten Gläser, die sie Hergemöller anreichen musste.
Doch in diesem Moment spürte sie sogar seine Hand auf ihrem für das Spülen entblößten Arm.
»Was meinst