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Tod eines SA-Mannes. Dieter Heymann
Читать онлайн.Название Tod eines SA-Mannes
Год выпуска 0
isbn 9783864551949
Автор произведения Dieter Heymann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Ewald, lass die Johanna in Ruhe und halte sie nicht von der Arbeit ab«, versuchte der Wirt seiner attraktiven Angestellten zu helfen.
Doch der Mann gab sich so schnell nicht geschlagen.
»Ich wette, ich bin nicht der Erste, der es bei dir versucht. Wir könnten viel Spaß zusammen haben.«
Entsetzt zog sie ihren Arm zurück, als eine laute Stimme durch das Gastzimmer schrie: »Nimm deine Finger weg von Johanna!« In der Gaststube wurde es schlagartig ruhig. Die verbliebenen übrigen Gäste schauten sich beunruhigt an und nahmen noch schnell einen Schluck aus ihren Gläsern, um das Lokal notfalls zügig verlassen zu können, falls die Situation eskalieren sollte.
Der andere Mann näherte sich langsam der Theke. Wie alle Angehörigen der SA war er mit brauner Hose und passendem Hemd mit Krawatte bekleidet und trug eine rot-weiße Armbinde mit schwarzem Hakenkreuz am linken Ärmel. Er war etwa Mitte zwanzig, hatte dunkles, zurückgekämmtes Haar und sah kräftig aus.
»Oh je«, dachte Johanna. »Gleich schlagen sie sich um mich, das hat mir gerade noch gefehlt.«
Dabei hatte sie absolut kein Interesse an dem arrogant wirkenden Erwin Jansen, der sich gerade aufspielte. Mit dem schmierigen Ewald Schmalstieg, der sie berührt hatte, würde sie schon alleine fertig werden.
»Wag es noch einmal sie anzufassen und du wirst mich kennen lernen! Die steht nicht auf alte Böcke wie dich. Die braucht was Jüngeres!«
Sie verdrehte angesichts dieser schrägen Worte die Augen. So mussten sich die Frauen auf einem arabischen Markt fühlen, auf dem sie meistbietend versteigert wurden!
Der Ältere hatte von Johanna abgelassen und wandte sich, sein Bier in der Hand, seinem Konkurrenten zu. Er wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als Sturmführer Alois Walbusch dazwischen ging: »Ruhig Blut, Jungs. Vertragt euch, wir wollen doch keinen Streit. Heute sind wir genau ein Jahr die Herrscher über unser Vaterland, deshalb haben wir doch wohl Wichtigeres zu tun als uns um einen Rock zu schlagen. Ich will, dass ihr euch auf eure Aufgaben konzentriert und keinen Ärger macht!«
Walbusch war Ende vierzig und hatte sich bei vielen Schlägereien mit den im katholischen Münsterland allerdings nicht sehr zahlreichen Kommunisten als sehr standhaft erwiesen und sich daher in der Sturmabteilung nicht nur seinen Führungsposten, sondern auch den damit verbundenen Respekt erarbeitet. Das war wohl der Grund, warum beide Streithähne einen Augenblick verharrten und sich mit unverständlichem Gemurmel voneinander abwandten.
»Achtung, alle: Das Horst-Wessel-Lied!«, forderte der Sturmführer, um die Situation weiter zu beruhigen.
Sein Plan ging auf, denn sofort erklang aus vielen Kehlen: »Die Fahnen hoch, die Reihen dicht geschlossen …«, die Hymne der NSDAP, die nach ihrem Verfasser benannt worden war. Sturmbannführer Horst Wessel war vor vier Jahren von einem KPD-Mitglied ermordet worden und danach von der Partei zu einem Märtyrer hochstilisiert worden.
Johanna atmete durch und verrichtete wieder ihre Arbeit. »Das ist gerade noch mal gut gegangen«, dachte sie dankbar.
Die SA-Männer waren für ihre Trinkfestigkeit bekannt und so hatte sie in der Folgezeit eine Menge zu tun.
Als sie nach einiger Zeit wieder aufblickte, öffnete sich die Tür und zwei weitere, etwa zwanzigjährige Uniformierte betraten den »Emskrug«. Sie lief rot an, als sie Paul Kemper und Felix Baumann erkannte.
Während Paul sich gleich den übrigen Kameraden zuwandte, schaute Felix ihr in die Augen und nickte ihr kaum merklich zu. Sie kannte Felix seit ihrer Schulzeit, er war einige Klassen über ihr. Schon damals schwärmte sie für ihn. Er war schlank, hatte dunkles, kurzes Haar und wirkte fast schüchtern. In seiner Gegenwart hatte sie immer das Gefühl, er denke gerade über irgendetwas nach. Das alles hatte wohl bewirkt, dass sie ihn in aller Heimlichkeit geradezu anhimmelte. »Männliche Poltergeister«, wie sie Männer wie Erwin Jansen für sich nannte, hatte sie noch nie gemocht. Felix Baumann hatte sie allerdings zu ihrer großen Enttäuschung nie richtig wahrgenommen, obwohl sie sich immer wenn sie ihn sah Mühe gab, zumindest einen Blickkontakt zu ihm herzustellen. Sie war für ihn vermutlich einfach noch ein Kind, das nicht weiter beachtenswert war. Ihr Verhältnis hatte sich erst geändert, als sie sich vor einigen Monaten wiedergesehen hatten; sie waren sich zufällig im Spätherbst in der Innenstadt über den Weg gelaufen. »Jetzt oder nie«, hatte sie sich gedacht und all ihren Mut zusammen genommen, um ihn anzusprechen. Er hatte freundlich reagiert und sie hatten eine geraume Zeit auf der Straße zusammengestanden, um miteinander zu reden. Seit diesem ersten Wiedersehen unterhielten sie sich stets eine Weile, wenn sie sich durch Zufall trafen. Felix war sehr an Literatur interessiert und hatte ihr verraten, seine große Leidenschaft für Bücher mit seiner Anstellung in einer Buchhandlung auch zu seinem Beruf gemacht zu haben. Sehnsüchtig, leider aber bis heute vergeblich wartete Johanna auf eine Einladung ins Kino, zum sonntäglichen Spaziergang oder dergleichen. Lag es an seiner Schüchternheit? Sie glaubte, ihr Interesse an ihm genügend durchblicken lassen zu haben. Vielleicht musste tatsächlich sie die Dinge in die Hand nehmen und wenig damenhaft die Initiative ergreifen.
Für Johanna war es eine Riesenüberraschung gewesen, als sie Felix im »Emskrug« erstmals in der braunen Kleidung der SA sah. Er passte so gar nicht zu einer Horde roher Schlägertypen. Felix rechtfertigte seinen Eintritt in den Sturm damit, von einem nicht näher benannten Freund, vermutlich Paul, dazu überredet worden zu sein, in der Parteiorganisation mitzumachen. Zwar verabscheue er Gewalt, aber das Gefühl der Gemeinschaft und Kameradschaft gefalle ihm ausgesprochen gut.
Zudem werde ihm das Gefühl vermittelt, seinen Teil zu den großen Veränderungen im Reich beizutragen.
Nachdem der Trubel im Gasthaus noch einige Zeit weitergegangen war, ergriff Sturmführer Alois Walbusch wieder das Wort und forderte seine Kameraden dazu auf, die Gläser leer zu trinken. Es sei Zeit, zum Treffpunkt aufzubrechen.
Als fast alle abmarschbereit waren, öffnete sich noch einmal die Eingangstür und drei Braunhemden traten ein.
Schon beim Eintreten rief einer der Neuankömmlinge mit lauter Stimme: »Dem Isidor haben wir’s gezeigt. Der verzieht sich für die nächste Zeit in sein Rattenloch!« Der wohlbeleibteste von ihnen, ein Hüne von fast zwei Metern, hatte gesprochen und erntete dafür Gelächter. »Der wollte doch glatt über die Ems, ohne Wegezoll zu zahlen. Als wir mit ihm fertig waren, hatte er zwei blaue Augen und eine leere Geldbörse«, verkündete er seinen johlenden Sturmleuten.
Dann drehte er seinen massigen Körper zum Tresen: »Schnell Alfons: Bevor wir gehen, noch eine Runde für alle; der Jude bezahlt schließlich!«
Dabei wedelte er unter dem Gegröle der anderen mit der erbeuteten Geldbörse.
Während die Gruppe ihn hochleben ließ, wandte er sich einem Braunhemd zu seiner rechten zu und flüsterte ihm leise ins Ohr: »Die Kameradschaftskasse hätte es ja wohl nicht mehr hergegeben, nicht wahr, Rudolf?« Der Angesprochene verzog das Gesicht und lief rot an. Außer der Getränke umher reichenden Johanna hatte niemand diese Bemerkung gehört.
Schnell waren Heinrich Plagemann, Adolf Meyering und Ludger Bröker von ihren Kameraden umringt und mussten noch vor dem Abmarsch in allen Einzelheiten erzählen, wie sie einem Juden Geld abgepresst hatten.
Bernhard Silberstein erstarrte vor Schreck. Schnell zog er seinen Mantelkragen hoch und seinen Hut tiefer ins Gesicht, doch es war nicht mehr rechtzeitig genug. Sie waren bereits auf ihn aufmerksam geworden. Wenn er sie nur vorher schon gesehen hätte, hätte er sich noch nach links wenden können, denn dort war in einigen hundert Metern Entfernung die Hindenburgbrücke, über die er ebenfalls die Ems überqueren konnte; hinter der Brücke hätte er nur noch rechts in die Münsterstraße einzubiegen und sich am »Emskrug« vorbei zu mogeln brauchen. Doch dieser Gedanke war ihm erst gekommen, als es bereits zu spät war. Sie waren schon fast bei ihm – drei braun gekleidete Männer, deren Gesichter nichts Gutes verhießen.
Viele Male hatte dieses Trio in den letzten Monaten vor seinem Geschäft gestanden und seine Kunden durch Einschüchterungen und oftmals auch durch Beschimpfungen oder gar Drohungen davon