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Oh nee, Boomer!. Uli Hannemann
Читать онлайн.Название Oh nee, Boomer!
Год выпуска 0
isbn 9783947106653
Автор произведения Uli Hannemann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Anstelle der Eulenarie könnte man auch kürzer sagen: Man schmort im eigenen Saft. Aber kurz ist immer blöd, wegen des Zeilengelds. Also, wo war ich gerade …? Dum di dum di dum … genau: die Werkstofftonnen. Werden nicht mehr abgeholt. Alles andere schon noch regelmäßig: Restmüll, Papier und Biomüll (keine Eulen und Käserinden – das lockt Ratten an!), nur eben nicht der Plastikmüll. Soll das eine Strafe für unzulässige Durchmischung sein? Aber die wäre ja auch irgendwann mal abgebüßt.
Ich rufe bei der auf der Tonne angegebenen Nummer an, doch dort meldet sich nur der Anrufbeantworter: »Hallo! Hier ist der Anschluss von Monika, Michael und Mathilda Müllabfuhr. Wir sind leider gerade auf Tour oder in der Deponie. Sie können uns jedoch nach dem Piepton eine Nachricht hinterlassen …«
Und dann bricht es doch aus mir heraus. All die Sottisen, Kalauer und Banalitäten, die ich schon fast einen halben Tag lang zugunsten des heiligen Ernstes unterdrückt habe, sprudeln nun haltlos auf das Tonband der redlichen Müllmenschen: meine Erlebnisse mit Lehrlingen an der Supermarktkasse, Backfachverkäuferinnen, Bettlern, Balkontomaten und Fahrraddieben; Geschichten, deren grundlegende Vanität jedem Leser die Tränen der Vergeblichkeit in die Augen treiben muss. Aber ich kann einfach nicht anders.
Knastgespräche
Sonntagmittags gehen wir gewöhnlich für wenigstens ’ne Stunde raus. Wir zwingen uns dazu, in der Regel auf mein Betreiben hin. Man muss nun mal an die frische Luft. Die Leute sagen, dass man sonst ziemlich sicher stirbt. Wenn nicht gleich, dann später.
Die kürzeste Runde, also die Notroute bei schlechtem Wetter, führt von der Wohnung meiner Frau Q. aus durch den Görlitzer Park, links rum am Sportplatz vorbei, am Schlesischen Busch noch mal links rüber zur Schlesischen Straße und dort dann zurück. Eine Stunde dauert das auch nur deshalb, weil ich am Sportplatz immer zwanghaft stehen bleiben und den Amateurspielern beim Kicken zugucken muss. Ich kann nicht anders, Fußball wirkt auf mich wie ein Magnet.
Was mich zugleich fasziniert und anwidert, ist das ständige Gepöbel gegen den Schiedsrichter. Er kann es niemandem recht machen. Vielleicht macht er auch mal Fehler, doch die Spieler können ja selbst nichts. Tapsig stolpern sie über den Platz, der Ball schussert wie eine Flipperkugel mal hier- und mal dorthin. Sie sind weder fit noch talentiert oder technisch gut ausgebildet, Breitensportler eben. Aber der Schiedsrichter muss natürlich Bundesliganiveau haben. Nicht um alles in der Welt wollte ich seinen Job machen – sollen sich die undankbaren Psychopathen doch untereinander anschreien und in die Fresse hauen.
Wenn ein Tor fällt, bin ich zufrieden. Dann setzen wir unseren Weg fort. »Ächz«, sagt Q., und sie sagt wortwörtlich »ächz«, denn wir sind beide kulturell von Donald Duck und Asterix geprägt: »Ächz, verdammt, können wir jetzt vielleicht mal wieder rein?«
Sie will Serie gucken. Teechen. Sofa. Die Füße hochlegen für den Rest des Tages. Oder das scheißschwierige Rätsel im SZ-Magazin lösen. Mit mir zusammen, aber ich sitze meist nur blöd daneben. So kann sie mal wieder ihre geistige Überlegenheit beweisen. Toll, Glückwunsch, dabei ist das überhaupt nicht nötig. Ich weiß zum Glück, welche Qualitäten ich habe und welche nicht. Ich habe auch kein Problem damit, dass bei uns im Grunde fast so ein traditionelles Geschlechterverhältnis herrscht, bloß eben mit vertauschten Rollen. Sie ist eher so die Checkerin. Sie bekommt auch für einen ähnlichen Job viel mehr Geld, was allerdings tatsächlich nicht so schwer ist: Jede Laus verdient mehr als ich. Der »Loser Pay Gap« geht in der Diskussion hinter all den anderen Pay Gaps stets ein wenig unter.
Aber gut ist, dass ich als beobachtender Rätseladjutant überhaupt nichts tun muss. Ich kann ja auch nicht viel. Ich muss einfach nur schön sein. Sonst nichts. Der Mangel an Gestaltungsmöglichkeiten macht mein Leben wunderbar unkompliziert.
»Knurr«, sagt sie. »Jetzt ist es aber wirklich langsam genug.«
»Nur noch diesen kurzen Schlenker«, bettle ich: Schlesischer Busch und dann zurück. Also wie immer. Um die freudlose Chose spielerisch aufzulockern, stellen wir uns vor, wir wären im Knast und dürften nur einmal am Tag ’ne Stunde raus für eine Pflichtrunde an der frischen Luft. Im Grunde ist es ja auch so. Unser Dasein ein Knast, der Winter als Strafverschärfung. Der Hofgang immer im Kreis – Görli, Sportplatz, Schlesische –, über uns der schon mittags nach Weltuntergang aussehende ewig dunkelgraue Himmel. Fehlt nur noch der Maschendraht davor.
Die Atmosphäre wird komplett, als wir den Wachturm auf dem ehemaligen Mauerstreifen passieren. Um die Hofgangssituation zu simulieren, improvisieren wir Knastgespräche. Unsere schwere Jugend. Die doofen Wärter. Wie man aus altem Toastbrot Schnaps brennt. Wofür wir einsitzen.
Natürlich färben wir die Schilderungen unserer Vergehen auf eine Weise ein, die uns und unsere Taten clever, hart und irgendwie cool aussehen lassen soll. Ein gutes Standing in der Anstaltshierarchie kann überlebenswichtig sein. So musste ich einen Nazi umbringen, der meiner Schwester im Kaufladen den Wagen in die Hacken geschoben hat. Das ging nicht anders – jeder Ehrenmann hätte genauso gehandelt. Meine Frau wiederum hat im großen Stil Silberbesteck geklaut, um ein Waisenhaus in Laos zu finanzieren. Hat ihre Freiheit geopfert, um ein wenig Glanz in stumpfe Kinderaugen zu zaubern. Der Winter ist immer die härteste Zeit hier. Zum Glück werden wir beide im Frühjahr entlassen.
»Wenn ich rauskomme, werde ich als Erstes ein paar Rechnungen begleichen«, sage ich und versuche, meine Stimme rau und gefährlich klingen zu lassen. Das gehört nun mal zu dem Spiel.
»Was für Rechnungen?«
»Na ja: Strom, Gas, Miete, Mitgliedsbeitrag für AfD, ADAC und Alpenverein, so was eben«, sage ich. »Und du?«
»Goldene Löffel klauen«, sagt sie, und ihr Blick wird schwärmerisch. »Das wollte ich schon immer.«
Diesseits jeder Hoffnung
Bis vor Kurzem gab es für Alkoholismus offiziell nur eine Lösung: aufhören, und zwar komplett und für immer.
Doch das neue Zauberwort heißt »Kontrolliertes Trinken«. Im von zehntausend Konsumeinheiten zum groben Sieb perforierten Gehirn des Betroffenen bleibt von diesem Wortpaar immerhin noch »trinken« hängen. Das klingt doch gleich viel besser als die böse Nulldiät: saufend trocken werden, oder besser gesagt, halbtrocken – das ist doch wunderbar! Erzprotestanten, Guttempler, Langweiler, Miesepeter, Betschwestern, Gesundheitsapostel, Sauertöpfe, Panikmacher, Besserwisser, Krümelkacker, Askesefaschos: All diese zutiefst verhassten Protagonisten der Nüchternheit können uns gepflegt am Hobel blasen. Wer so lebt, ist doch schon gestorben.
Nun sitze ich bei Frau Dr. alk. Dipl.-Psych. Verena Parder-Wedde in Rummelsburg, neben mir noch vier weitere Kandidaten der Altersklasse 50 bis 69. Wo