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sie ausgedient. Hochmut kommt vor dem Fall.

      »… oder sogar vom Aussterben bedroht«, fährt der Erzähler fort. Ein Fischotter guckt traurig und auch irgendwie nachdenklich: Wie lange wird es ihn und seinesgleichen noch in freier Wildbahn geben? Mit schlechtem Gewissen drücke ich mich tiefer in den Kinosessel. Wie oft habe ich sommers unbedacht in Badeseen gepinkelt und den Ottern so den Lebensraum vergällt. Wenn ich mir vorstelle, wildfremde Leute kämen zu mir nach Hause und schissen mir einfach ins Wohnzimmer: Da wäre ich aber unter Garantie auch gefährdet!

      Doch es gibt ja noch Krombacher. »Es wird Zeit, dass wir gemeinsam etwas dagegen tun«, wird die trinkfreudige Gemeinde der potenziellen Käufer aufgerüttelt. Untersuchungen haben ergeben, dass die Anzahl geposteter und gelikter kleiner Eulen mit fortschreitender Abendstunde sowie steigendem Blutalkoholgehalt dramatisch explodiert. In diese tiefe Kerbe menschlicher Schwäche schlagen nun die Bierbrauer. Für sich und für die Natur. Eine klassische Win-win-Strategie.

      Auftritt Igel (goldig) und Biene (nützlich). Sie sind zu klein, um die im Wald stehen gelassenen Flaschen einzusammeln und zum Pfandautomaten zu bringen. Aber der Mensch kann das tun, der Krombacher-Konsument, und der Erlös fließt in den Erhalt der Tierwelt.

      Nicht ohne Stolz setze ich die an der Kinokasse erworbene Bierflasche an den Mund. Ich zeige Verantwortung. Meine ganze Verachtung gilt den Limotrinkern um mich herum. Warum hassen sie die Tiere so? Für die meisten Arten dürfte der Bierverzicht tödlichere Folgen haben als der Klimawandel. Es ist im Grunde, als würde man einem Rehkitz die Mate-Pulle direkt über den Schädel ziehen – das käme im Endeffekt aufs Gleiche raus.

      »Das große Krombacher-Artenschutzprojekt beginnt«, ertönt nunmehr der zentrale Slogan – es erhebt sich der Adler, es flattert der Schmetterling. Mehr Symbolik war nie. »Mit jedem Kasten Krombacher geben Sie bedrohten Tierarten in Deutschland ein sicheres Zuhause.«

      Während ich noch überlege, ob die Unterbringung in leeren Bierkästen denn überhaupt artgerecht wäre, wird erneut der Otter eingeblendet. Er wirkt noch missmutiger als zuvor. Anschließend sieht man eine Luchsmutter mit Jungtier, dann zwei junge Luchse, die miteinander raufen. Spielerisch erlernen sie das Töten. So ähnlich dürften auch kleine Soldaten an ihr blutiges Handwerk herangeführt werden.

      »Jetzt schützen und genießen«, erklärt der Sprecher. Das könnte eine Werbung für Kondome sein, ist es aber nicht. Ein unendlich klarer Wasserfall rauscht mächtig zwischen Bäumen, er steht seit jeher für das Reinheitsgebot. Es geht immer noch um Bier.

      »Ein Kasten ist gleich ein Stück Heimat.« Damit auch jeder versteht, dass das ein und dasselbe ist, wird »1 Kasten = 1 Stück Heimat« in Schrift und Ziffern eingeblendet: eine Gleichung mit zwei sehr Bekannten. Vor unserem inneren Auge öffnet sich die ganze Weite der deutschen Provinz. Eine Bushaltestelle. Ein paar Jugendliche. Darüber, welchem politischen Spektrum sie anhängen, wollen wir von hier aus nicht (vor-) urteilen. Ein Kasten Bier. Heimat eben.

      Direkt vor mir fangen auf einmal drei junge Leute an, mitten in die Werbung hineinzuquasseln. Das gibt es doch nicht. Wir Alten haben über Jahrtausende hinweg die Zivilisation aufgebaut: die alten Ägypter, die alten Griechen, die alten Römer. Die Jungen reißen sie während nur eines Reklamespots wieder ein. »Pscht«, mache ich erst, dann lauter: »Ruhe bitte!« Ich bin fest entschlossen, die Sanktionsspirale auf Kopfnüsse zu steigern, sollten sie mir keine andere Wahl lassen. Denn gleich wird sich hier vor unseren Augen das Schicksal der heimatlichen Tiere entscheiden.

      Zum dritten Mal blickt der Otter traurig in die Kamera. Es ist immer derselbe. Offenbar gibt es nur noch einen. Die Lage ist ernst. Trinken, schnell! »Jeder Kasten zählt«, brummt daher die Stimme aus dem Off. Schließlich sind Biertrinker und Tiere ja auch Leidensgenossen. Sie sitzen im selben, dem Untergang geweihten Boot. Denn nicht nur jede dritte Tierart ist gefährdet, auch jeder dritten Bierart droht die Extinktion. Obwohl es jeden Tag neue gute Gründe dafür gäbe, sich haltlos zuzuschütten, schrumpft die Zahl der Biertrinker in Deutschland seit Jahren besorgniserregend. Auch da zählt also jeder Kasten. Wir saufen nicht nur für Luchsbabys, wir tun es auch für uns selbst. Der deutsche Trinker stirbt vielleicht früh, aber er stirbt niemals aus.

       Der Mann in der Andropause: Der dritte Frühling

      Auf einmal scheint er mich unerwartet doch noch zu ereilen: der dritte Frühling. Den ersten (die Adoleszenz mit Anfang dreißig) und den zweiten (die Midlife-Crisis mit Anfang vierzig) habe ich mit Schrammen an längst nicht nur der eigenen Seele überstanden und glücklich hinter mir gelassen. Doch neuerdings, o Freude, o Wunder, tritt Freund Pinselchen auf einmal wieder merklich öfter in Aktion, heidewitzka, bis zu fünf Mal muss ich manche Nacht aufs Klo. Meist kommt dann aber nicht viel – wenigstens das hat noch ein bisschen was von Honeymoon-Syndrom. Dafür bin ich oft nicht fertig, wenn ich fertig bin, sondern könnte gleich noch mal. Das Nachtröpfeln ist der Orgasmus des alten Mannes.

      »Too much information«, werden jetzt mal wieder die Zartbesaiteten nölen. Aber besser too much information, so lautet meine Devise, als too wenig. Wer too much information fürchtet, hat doch die letzte Neugier auf das Leben und die Welt verloren. Der ist im Grunde wie tot. Wie Sagrotan hat die Angst vor der Vergänglichkeit des Fleisches alles Sinnliche in ihnen abgetötet – solchen Leuten gilt mein ganzes Mitleid.

      Dabei gibt sich mein Urologe doch so viel Mühe, es ist fantastisch: Blut, Urin und Schnickschnack, alles wird schön überprüft. Nichts ist gut, Kontrolle ist besser, denn leider bin ich genetisch meine eigene Zeitbombe. Eines Tages, so sagt der Urologe, wird die wohl hochgehen. Na, der macht mir aber Spaß, palim-palim, helau.

      Der Urologe ist mir wie ein Freund. Alle anderen habe ich über die Jahre hinweg vergrämt oder schlicht vernachlässigt. Ich bin ein merkwürdiges Arschloch geworden, wie die meisten in meinem Alter. Dabei können wir doch nichts dafür, dass wir alles besser wissen und als Einzige die Dinge realistisch sehen. Auf dem Gipfel ist es einsam.

      Apropos Arschloch. Hose runter, Ultraschall. Er ist gründlich und erklärt mir alles: Hier sorgt Sand in der Niere für Urlaubsgefühle, dort liegt die Prostata, dreieinhalb Zentimeter, alles in Ordnung. Über seinen spannenden Ausführungen vergesse ich fast, dass er die ja noch abtasten muss. Inside Deep Ass. Dazu lege ich mich auf die Seite, und er zieht einen Handschuh über. Und noch ein Scherz: »Erst die Arbeit, dann das Vergniegen.« Er ist Pole.

      Bei der Gelegenheit fällt mir wieder ein, wie lustig ich das englische Wort für Polen finde: Poland. Haha. Poland. Hahahaha. Im Alter wird man nicht nur immer klüger, sondern auch immer witziger. In Poland gibt’s zwei Berge / und auch ein tiefes Tal / im Tal da wohnen Zwerge / die bauen ’nen Kanal. Kurz habe ich überlegt, ob ich das K in Klammern setzen soll: »(K)anal«. Ich habe dann drauf verzichtet, denn der typische Witz des Alters ist subtil. Mein Humor ist eine Rose im Oktober. Noch einmal entfaltet sich die ganze Pracht, doch der Höhepunkt kündigt zugleich den Abschied an.

       Eulen nach Athen

      Mal was Sinnvolles schreiben. Das ist schon lange mein heimlicher Wunsch. Wie so ein Schriftsteller mit Rollkragenpullover. Sechs Uhr morgens, Stehpult, Wasserglas. Ein Essay, das schwerblütig mit »meines Erachtens« beginnt und mit »die Geschichte wird über uns richten« endet. Statt meiner üblichen Lyrics wie »gestern an der Kasse bei Edeka hab ich voll gepupst, hihi haha – Arschloch, K/Fotze, ficken« endlich mal ein inhaltlich wie sprachlich brillantes Meinungsstück zu komponieren, das die Leserin zum Nachdenken und am Ende vielleicht sogar zum Handeln bewegt.

      Denn das neue Jahrzehnt beginnt, wie das alte endete: mit Meldungen über Kriege, Katastrophen, Krankheiten und Klimawandel. Daher geht mir mein eitles Geschnatter zunehmend selbst auf die Nerven, diese notorische ZDFisierung einer geschriebenen Kleinkunst, die immer harmlos ist und niemals aneckt nach dem Motto: Kleine Geschichten aus der großen Stadt – wäre doch schön, wir hätten sie nicht aufgeschrieben.

      Und so war ich zuletzt immer froh, wenn ich ausnahmsweise mal einen Auftrag für einen echten Artikel mit einem richtigen Thema bekam. Hauptsache, irgendwas mit Haltung.

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