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sie denn darauf, fragt Großvater leicht empört.

      Sie hat gesagt, sie ist nicht meine richtige Mutter und kann mich deshalb nicht lieb haben. Ellen ist der Meinung, dass meine richtige Mutter in Afrika ist und mich mehr lieb haben würde, wenn ich zu ihr könnte.

      Ellen weiß gar nichts, sagt Großvater, und seine Stimme zittert ein wenig. Wer ist diese Ellen eigentlich, ist sie deine Freundin?

      Ja, ich glaub schon, antwortet Fanni.

      Für mich klingt das nicht nach einer echten Freundin, sondern nach einem ziemlich dummen Mädchen. Die müsste die Rute zu spüren bekommen, sagt Großvater außer sich vor Wut.

      Was ist die Rute, will Fanni wissen.

      Na, das ist eine Strafe, allerdings eine ziemlich schlechte. Ich habe als Kind die Rute bekommen, wenn ich etwas angestellt hatte. Deinem Papa habe ich sie nur ein Mal gegeben, und auch das tut mir leid. Man darf natürlich keine Kinder schlagen, das ist mehr so eine Redensart. Ellen plappert wahrscheinlich nach, was ihr die Erwachsenen beigebracht haben, und versteht ihr Gerede selbst nicht. Sag es sofort der Kindergärtnerin, wenn Ellen wieder so einen Unfug redet, ja?

      Ja.

      Deine Mutter ist deine Mutter und hat dich von allen auf der Welt am meisten lieb, mehr, als jeder andere Mensch dich lieb haben könnte. Ist es nicht so?

      Doch. Bist du mir böse?

      Natürlich nicht, aber auf Ellen bin ich ein bisschen sauer. Was für ein Blödsinn die Leute erzählen. Davon gibt es auf der Welt mehr als genug.

      Stimmt. Heute beißen die Fische irgendwie nicht.

      Anscheinend nicht. Gehen wir schwimmen?

      Ja! Lass uns Mama fragen, ob sie mitkommt.

      JOEL

      Es ist nicht leicht, Emma von der Insel wegzulocken. Dennoch bin ich sicher, dass die Isolation sie nur noch ängstlicher macht und ihre Angst dann mit der Zeit auch Fanni ansteckt, falls das nicht schon geschehen ist.

      Wir können nicht ewig auf der Insel bleiben. Wenn man Menschen lange meidet, wird es immer schwerer, ihnen gegenüberzutreten. Auch Fanni muss lernen, die Reaktionen und Beleidigungen der Leute zu ertragen und richtig mit ihnen umzugehen. Einen anderen Weg gibt es nicht, wir können das Verhalten der anderen nicht beeinflussen, lediglich Fanni stark genug machen, sodass sie damit leben kann, anders zu sein.

      Ich selbst glaube schon aufgrund meiner Arbeit, dass Rassismus durch Begegnungen verschwindet, dadurch, dass sich die Leute an Menschen mit unterschiedlichem Aussehen gewöhnen und infolge ihrer eigenen Erfahrung sehen, dass die Hautfarbe keine Rolle spielt. Das hat auch Emma vor der Adoption geglaubt, wir sprachen ausführlich darüber und fragten uns, wie wir mit Rassismus umgehen würden, ob wir ihn ertragen könnten. Wir beschlossen, ihn zu ertragen, aber Emma hat unsere Abmachung nicht eingehalten. Inzwischen will sie Fanni nur noch vor der Welt verstecken. Oder will sie sich selbst vor der Welt verstecken, ist es das?

      Schließlich halte ich den Stillstand auf der Insel nicht mehr aus und zwinge Emma, mit zum Einkaufen zu kommen. Eigentlich fahre ich gern allein zum Laden, aber ich will, dass Fanni mal von der Insel herunter und unter Leute kommt, damit sie sieht, dass es dort nichts zu befürchten gibt.

      Fanni ist begeistert, dass sie uns begleiten darf und ein Eis bekommt, endlich vergisst sie einmal die Angst, die Emma um sie herum gesät hat.

      Börje, der alte Ladeninhaber, begrüßt uns fröhlich. Er sieht aus wie sechzig, ist aber angeblich schon achtzig, bei den Schärenbewohnern ist das Alter schwer zu schätzen, sie werden schnell alt, hören dann aber mit dem Altern auf. Börje geht gebückt, ist jedoch flink und hat stets dieselbe abgewetzte Kapitänsmütze auf. Nur die Pfeife fehlt, oder aber sie ist sein geheimes Laster und wird erst hervorgeholt, wenn der Herbst kommt und die Sommergäste die Schären verlassen haben.

      Er fragt mich oft nach Fanni und Emma, und ich behaupte jedes Mal, sie fühlten sich auf der Insel so wohl, dass sie zum Einkaufen nicht mitkommen wollten. Börje weiß, dass ich lüge, nickt aber höflich. Die Schärenbewohner gehören selbst zu einer Minderheit, wenn auch nur einer sprachlichen, sie würden Fanni nie schief anschauen. Es scheint, als würden sie ihre Hautfarbe nicht einmal bemerken. In den Schären kommen und gehen alle möglichen Leute, so ist es schon immer gewesen, hier ist das keine große Sache. Allen wird geholfen, alle sind auf die gleiche Art dem Meer ausgesetzt, und das Meer wählt nicht nach Hautfarbe aus, wer ertrinkt.

      Der Ladeninhaber tätschelt Fanni auf dem Anlegesteg freundlich den Kopf und fragt sie, ob sie schon fischen war. Sie unterhalten sich über die Fische, die Fanni gefangen hat, und darüber, wie man den Räucherkasten verwendet. Ich betanke das Boot und plaudere dabei mit Börje über das Knacksen des Motors und über eine Inspektion. Das Leben kommt mir endlich mal wieder normal und leicht vor. Fanni ist fröhlich und gesprächig, aber als wir in das Geschäft gehen, macht eine bescheuerte Frau eine Bemerkung über Negerkinder. Sie trägt zu enge Shorts und Schuhe mit hohen Absätzen. In den Schären!

      Ich zügle meinen spontanen Impuls, der Frau auf die Schnauze zu hauen, und warte, dass Emma etwas Spitzes sagt, so wie es ihre Art ist. Aber Emma schweigt.

      Das macht mich noch rasender. Wie kann sie darüber hinwegsehen, warum verteidigt sie Fanni nicht mehr und stopft den Rassisten nicht das Maul?

      Ich schaue Emma zornig an und sage betont laut: »Hier in den Schären hat sich inzwischen jede Menge neureiches Pack eingenistet. Die sollten wieder verschwinden.«

      Im Laden gehe ich zu dicht an der Frau vorbei und stoße sie an der Schulter an, während Emma und Fanni Gemüse holen. Als sich die Frau wütend umdreht, meine ich bloß: »Oh, sorry. Leuten, die hier nicht hergehören, stößt leicht mal etwas zu.«

      Die Frau verlässt mit ihrer Familie so schnell wie möglich das Geschäft.

      EMMA

      Am Abend umrunde ich mit Fanni die Insel. Das ist eine gemeinsame Angewohnheit von uns geworden. Sie hüpft von Stein zu Stein, bleibt ab und zu stehen, um Fische und Schnecken in den Kuhlen zu betrachten, und dabei redet sie pausenlos über das, was sie sieht. Ich horche genau hin, ob sich der Besuch im Laden irgendwie auf sie ausgewirkt hat, ob sie über das, was passiert ist, sprechen will. Aber Fanni konzentriert sich darauf, ihre Umgebung zu beobachten, und scheint sich an den Vorfall gar nicht mehr zu erinnern. Ich will ihn ihr nicht unnötig ins Gedächtnis rufen. Jetzt sind wir in Sicherheit.

      Ich freue mich an ihrem Geplapper, nicht immer habe ich den Nerv, mir alles anzuhören, aber wenn sie spricht, hält sie das Rauschen fern und hilft mir, die Kopfschmerzen zu vergessen.

      Ich habe Angst vor dem Zeitpunkt, wenn das Geplapper aufhört. Wenn sich Fanni von uns zurückzieht, über ihre wichtigsten Gedanken nur noch mit ihren Freundinnen redet, ihre Zimmertür mit Schlüssel und Drohungen zusperrt. Wie schrecklich kurze Zeit sie so klein ist wie jetzt!

      Hier aber gibt es nur uns. Diese Welt hat Grenzen. Hier das Land, dort das Meer. Niemand kommt ohne Erlaubnis und unbemerkt an diesen Ort. In der Ferne tuckert ein Motorboot, ich starre es eine Weile an. Es fährt vorbei, verschwindet zwischen den Inseln. Dann ist es wieder still.

      Unsere Runden nennen wir Müllspaziergänge. Wir sammeln den Müll, der angeschwemmt worden ist, untersuchen Plastikstücke und überlegen, woher sie wohl kommen, wem sie gehört haben und warum sie ins Meer geraten sind. Oft gibt es überhaupt keinen Müll, aber bei starkem Wind kann man vor allem am Südufer alles Mögliche finden. Einmal ist ein kleiner Apparat aus Metall angetrieben worden, den Fanni zum Spielen mitgenommen hat. Gemeinsam mit Joel hat sie ein Spielfunkgerät daraus gebaut, mit dem sie Seenot spielt und den Schiffen Kommandos gibt. Sie hat noch immer weniger Ansprüche als die Kinder meiner Bekannten und ist deshalb ein Kind, das gut zu uns passt. Joel bastelt mit ihr neue Spielsachen aus aufgelesenen Plastikteilen und Schrott, und die seltsamen Konstruktionen sind für Fanni kostbarere Schätze als Mitbringsel von Reisen.

      Fanni und ich kennen jeden Felsspalt am Ufer. Noch ist das Wasser klar, man sieht mehrere Meter tief bis auf den Grund. Fanni fragt

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