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guten Erfahrungen mit Frauen gemacht, meine Mutter eingerechnet. Aber allmählich verstand ich, dass Emma eine Frau mit Prinzipien war: Sie würde mich eher verlassen als mich betrügen.

      Als wir einmal über meine Eifersucht stritten, sagte sie: »Du brauchst überhaupt nicht eifersüchtig zu sein. Ich habe mit Männern von allen Kontinenten gefickt und muss das nicht mehr tun. Die Männer sind überall gleich, aber du bist der Beste von ihnen.«

      Dieser Logik war schwer zu widersprechen, und ich wollte das Thema auch nicht vertiefen, geschweige denn mehr von den verschiedenen Kontinenten hören. Von da an versuchte ich, meine Eifersucht für mich zu behalten, auch wenn ich Emma für die faszinierendste Frau der Welt hielt und es unfassbar fand, dass nicht alle Männer das sahen.

      EMMA

      Als wir noch kein Ehepaar waren, erklärte Joel, er wolle nie heiraten. Das habe mit der Ehe seiner Eltern zu tun, behauptete er. Menschen sollten freiwillig zusammen sein und nicht, weil ein Vertrag sie aneinander bindet. Sein Vater wäre womöglich gegangen, hätte er nicht das Eheversprechen zu sehr in Ehren gehalten. Bullshit, sagte ich. Das ist bloß Bindungsphobie und Angst vor Frauen, das kenne ich.

      »Wegen der unglücklichen Ehe deiner Eltern können wir also nicht heiraten, ja?«, fragte ich gereizt, als das Thema erstmals zur Sprache kam.

      Ich war kein Hochzeitsfreak, aber wenn ein Mann erklärte, er wolle nie heiraten, wurde das Thema akut. Während der gesamten Anfangszeit unserer Beziehung hatte ich Joel immer wieder gesagt, ich sei nicht der Typ braves Frauchen, darum hätte ich auch nicht im Ausland geheiratet. Joel quittierte das mit der Feststellung, er sei nie an diesem Frauentyp interessiert gewesen. Dieses Einverständnis verband uns lange, und ich kann deshalb nachvollziehen, dass meine Heiratsfantasien für ihn wie aus dem Nichts kamen.

      Auch darüber diskutierten wir: Liebst du mich also nicht mehr, natürlich liebe ich dich, aber das hat nichts mit Ehe zu tun, die meisten Menschen, die verheiratet sind, lieben sich nicht, sind aber zusammen, weil eine Scheidung kompliziert ist, aber glaubst du denn nicht, dass wir bis ans Ende unseres Lebens zusammenbleiben, das klingt, als würdest du nicht daran glauben, weil du dich nicht traust, zu heiraten, doch, das glaube ich, aber für mich klingt es so, als würdest du nicht an die Liebe glauben, sondern bräuchtest Beweise dafür, wegen der anderen Leute.

      Und so weiter. Vor dem Kind hatten wir Zeit für solche Auseinandersetzungen. Auch über das Kinderthema diskutierten wir unnötig. Mit Fanni kam schließlich auch die Ehe, weil es so einfacher war.

      Das Thema Ehe war inzwischen so weit in den Hintergrund geraten, dass wir heimlich auf dem Standesamt heirateten und anschließend nur eine kleine Überraschungsparty für unsere engsten Freunde gaben. Das war ganz schön und änderte nichts. Joel hatte recht gehabt.

      Er hatte oft recht. Wenn man vernünftig denkt, laufen die Dinge richtig, aber man fühlt nichts dabei.

      FANNI

      Wann stirbt ein Mensch, fragt Fanni Großvater, als sie an ihrer geheimen Stelle die ersten Blaubeeren des Sommers entdecken.

      Das weiß man nicht genau, antwortet Großvater. Normalerweise dann, wenn ein Mensch sehr alt ist und lange gelebt hat und schon ein bisschen müde geworden ist.

      Und wann sterben Mütter, will Fanni wissen.

      Großvater lächelt. Bei Müttern ist es das Gleiche, entgegnet er.

      Aber Großmutter ist vor langer Zeit gestorben. Ich erinnere mich nicht mehr an sie, sagt Fanni. Wohin geht ein Mensch, wenn er stirbt, kommt er ins Universum?

      Ja, so dürfte es sein, so kann man es wohl sagen.

      Kommt er von dort wieder zurück?

      Nein. Darum macht der Tod die Erwachsenen ein bisschen traurig.

      Aber wie kann man ihn dann noch sehen, wenn er nicht aus dem Universum zurückkommt, fragt Fanni, und ihre Augen füllen sich mit Tränen.

      Großvater ist wieder einmal bewegt, die Empfindsamkeit des kleinen Mädchens erschüttert ihn ein ums andere Mal. Ist es möglich, die Empfindsamkeit eines Kindes zu bewahren, wäre das überhaupt gut, wie soll Fanni mit ihrer Empfindsamkeit in diesem Land zurechtkommen, ohne nach und nach vollkommen zu zerbrechen?

      Man kann ihn dann auch nicht mehr sehen, antwortet Großvater, aber man kann sich immer an ihn erinnern.

      Vermisst du Großmutter?

      Ja, erwidert Großvater. Ich vermisse sie oft sehr, eigentlich jeden Tag.

      Fanni streckt Großvater die kleine, von den Heidelbeeren blaue Hand hin. Ich gebe dir die größte, dann bekommst du bessere Laune, sagt sie und hält ihm eine schon etwas angedrückte Beere hin.

      Danke, sagt Großvater und lässt sich von Fanni die Blaubeere in den Mund stecken. Die schmeckt aber gut. Da bekomme ich gleich bessere Laune.

      EMMA

      »Fanni redet ein bisschen zu viel vom Tod«, sagt Joel, als wir einmal still zusammen auf der Terrasse sitzen. Das geschieht leider zu selten, obwohl wir auch deswegen hergekommen sind, wegen uns, weil wir dafür jetzt mehr Zeit haben und Fanni uns nicht mehr permanent braucht.

      »Das ist typisch für ihr Alter«, antworte ich und ahne bereits, wohin das Gespräch führen wird. Muss dieser schöne Augenblick mit solchen Themen kaputt gemacht werden? Wenn einmal gute Stimmung zwischen uns herrscht, wissen wir sie nicht mehr zu wahren, sondern ruinieren sie abwechselnd.

      »So typisch ist es auch wieder nicht. Was du ständig redest, bringt sie durcheinander. Eine Fünfjährige sollte spielen und sich nicht den Kopf über den Tod zerbrechen.«

      Ich schweige. Wir sind unterschiedlicher Meinung, auch darüber. Joel geht den unangenehmen Wahrheiten des Lebens aus dem Weg, er hat sich noch immer nicht vom Tod seiner Mutter erholt, darum ist es für ihn schwer, über den Tod zu sprechen. Ich selbst glaube nicht, dass Kinder durch irgendwelche Themen einen Knacks abbekommen, sondern nur dadurch, dass man sie vermeidet oder dass gelogen wird.

      Und schließlich bringt Joel das heraus, worum er schon seit Wochen kreist, weshalb er den Mund oft aufgemacht, aber ebenso häufig wieder zugemacht hat: »Wir sollten von hier wegfahren.«

      »Nein«, entgegne ich strikt, denn das ist die einzige mögliche Antwort.

      Joel sitzt still da, starrt auf die Terrassenbretter und schlägt zornig eine Mücke tot, die sich auf seine Hand verirrt hat.

      Solch eine Stille herrscht mittlerweile oft zwischen uns, angespannt, voller heruntergeschluckter Sätze und Gefühle, verschwiegener Konflikte.

      Wann ist das passiert? Es gibt keinen Grund dafür, wir hatten nie schwere, ermüdende Babyjahre, die eine Kluft zwischen uns aufgerissen hätten, Fanni hat immer gut geschlafen und ist ein unkompliziertes Kind, vielleicht sogar zu problemlos und anpassungswillig.

      Wir sollten entspannt nebeneinandersitzen können, ohne etwas zu sagen, so wie es Paare tun, die lange zusammen sind, so wie Großvater und ich beieinandersitzen. Es ist seltsam, dass ich inzwischen besser mit dem Vater meines Mannes schweigen kann als mit meinem Mann.

      »Vielleicht fahre ich dann mal allein in die Stadt, bevor ich hier selbst noch verrückt werde«, sagt Joel schließlich.

      »Fahr nur«, antworte ich versöhnlich. »Wir Verrückten kommen schon klar.«

      Aber Joel findet auch das nicht lustig, ich weiß nicht, was ihn überhaupt noch zum Lachen bringt.

      EMMA

      Joel fährt in die Stadt, kommt von dort aber ebenso unruhig zurück, wie er abgefahren ist. Er hat ein geliehenes SUP-Board mitgebracht und unternimmt damit fast jeden Tag einsame Touren auf dem Meer, um sich zu bewegen. Ich weiß, dass er sich nach Abwechslung sehnt, nach dem Meer oder nach der Stadt, der Sommer ist zu lang, und normalerweise unternehmen wir mehr, sind nicht nur auf der Insel.

      Normalerweise. Aber nicht jetzt.

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