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irgendetwas Bekanntes an ihm zu entdecken.

      »Daniel«, stellt er sich freundlich vor und grinst. In seinen Wangen erscheinen kleine Grübchen. Ich starre ihn hingerissen und vermutlich reichlich blöde an und kapiere immer noch nichts. »Daniel Hartmann. Weißt du nicht mehr, wir waren im Kindergottesdienst in derselben Gruppe. Und haben uns nach Kräften geärgert.«

      Ich forsche in meinem Gedächtnis nach einem Daniel, der mich vor vielen Jahren geärgert haben könnte, und finde einen blonden, verstrubbelten Zehnjährigen, der nicht stillsitzen konnte und die nervöse Kinderstundentante, die uns biblische Geschichten erzählen wollte, regelmäßig in den Wahnsinn trieb.

      »Der Daniel? Du hast deine Kaugummis in meine Haare geklebt!«, stammele ich. »Du warst das? Ich meine, du bist das?«

      »Daran erinnerst du dich noch?« Er lächelt. »Und ich habe gehofft, meine Schandtaten wären in Vergessenheit geraten.«

      »Du hast immer am meisten Bibelverse auswendig gekonnt und die Belohnung gekriegt – die ich haben wollte!«

      Dieses Lächeln. Wie kann aus einem unausstehlichen Bengel so etwas werden – wie das da? Ich bin damals wirklich froh gewesen, als seine Familie weggezogen ist, und habe ihn keine Sekunde vermisst.

      »Wenigstens konnte ich sie wirklich auswendig. Du hast dir den Vers in die Hand geschrieben und abgelesen.«

      Er ist es wirklich. Ich kenne ihn von früher. Und – es ist merkwürdig, aber ich habe ja erzählt, wie es mit mir und Gesichtern funktioniert – sobald ich weiß, dass ich ihn kenne, ist er auf einmal gar nicht mehr so attraktiv. Er ist immer noch blond und groß und an seinem Lächeln hat sich nichts geändert. Aber schlagartig hört er auf, sexy zu sein.

      So ist das bei mir. Manchmal habe ich Angst, was passiert, wenn ich Tom jemals besser kennenlerne. Werde ich dann auch aufhören, ihn attraktiv zu finden, und er wird ganz normal und durchschnittlich auf mich wirken?

      »Also dann, wir sehen uns«, sagt Daniel und verschwindet in der Menge.

      Mit ihren Tabletts in den Händen erscheinen meine Freundinnen. Sie sehen an mir hoch und runter, als hätte ich mich in der Zwischenzeit in ein Gespenst oder sonst etwas Unheimliches verwandelt.

      »Du baggerst Mr. Hübsch und Blond an?«, fragt Kim fassungslos.

      »Ich dachte, du bist unsterblich in Tom verliebt«, rügt Steffi streng.

      »Bitteschön, du kannst ihn haben«, sage ich. »Er heißt Daniel.«

      »Hast du ihn auch nach seiner Handynummer gefragt?«

      Ich könnte es ihnen erzählen. Dass ich ihn von früher kenne. Dass er mich angesprochen hat und nicht ich ihn. Aber eigentlich gefällt es mir ziemlich gut, wenn sie mich für mutiger halten, als ich bin. Manchmal finde ich es ganz schön schwer, mit ihnen mitzuhalten. Da muss ich ja nicht herausposaunen, dass dieser Daniel mir vor ein paar Jahren Kaugummi in die Haare geklebt hat. Meine Mutter hat es herausschneiden müssen und es hat zig Monate gedauert, bis die Strähne nachgewachsen ist.

      »Bitteschön«, wiederhole ich, während ich mich zu einem Tisch durchschiebe, an dem gerade ein paar Plätze frei werden, »tu dir keinen Zwang an.«

      In der Klasse spricht Steffi von nichts anderem als dem schönen Blonden. Sie geht einem geradezu auf die Nerven damit und kritzelt seinen Namen auf die Tischplatte, mit tausend Kringeln und Herzchen und so. DANIEL. Ich könnte ihr seinen Nachnamen verraten, mache ich aber nicht.

      Herzchen. Kringel. Herzchen. Kringel. Schleife.

      »Muss das sein?«, fragt Mandy genervt.

      Ich entdecke einen Radiergummi auf dem Boden und bringe ihn sofort zum Einsatz, obwohl Steffi mitleiderregend seufzt. Aber Herzchen auf dem Tisch? Ich bin ja durchaus romantisch veranlagt, aber das geht zu weit. Obwohl ich es vielleicht auch übertreibe, was Tom angeht – meine Gedichtmappe ist ebenfalls von oben bis unten verziert -, lasse ich die anderen wenigstens nicht mitleiden. So etwas würde ich nie tun.

      Der Lehrer vorne erzählt irgendwas und ich schweife in Gedanken ab und ertappe mich dabei, dass ich ein Gesicht auf den Heftrand zeichne. Allerdings kann ich nicht besonders gut zeichnen und man erkennt nicht, wer es sein soll.

      Ein Glück.

      Nach einem anstrengenden Sportprogramm will ich nach Hause fahren und muss feststellen, dass meine Reifen platt sind. Lernt dieser miese kleine Hendrik denn gar nichts? Und dabei habe ich ihn heute und gestern und überhaupt seit wer weiß wie vielen Tagen verschont! Weil ich es vergessen habe. Vielleicht auch, weil ich es vergessen wollte. Das habe ich jetzt davon!

      »Ich habe eine Pumpe«, sagt Steffi. Aber die nützt mir nichts. Der Reifen ist zerstochen. Auch das noch. Wie kann er es wagen! Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu schieben. Hundemüde und viel zu spät komme ich zu Hause an und lande wie immer in einem Tollhaus, wo sämtliche Geschwister herumschreien und Lärm machen. Es hört sich an, als wären es zehn Kinder und nicht zwei.

      Ich überlege, ob ich Tabita mit ein paar dezenten Andeutungen über ihre Lesegewohnheiten erschrecken soll, entscheide mich aber dagegen. Das spare ich mir lieber für eine Situation auf, in der es nützlicher ist. Ich verkrümele mich in mein Zimmer, doch der Hunger treibt mich in die Küche. Der Salat ist wohl doch etwas wenig gewesen. Ich habe mir vorgenommen, etwas abzunehmen, um vielleicht so Gnade vor Toms Augen zu finden. Nur ein oder zwei Kilo, mehr nicht.

      Meine Mutter putzt gerade das Küchenfenster und singt dabei. Ich kann mir eigentlich keinen Grund vorstellen, warum man beim Putzen singen sollte. Außer vielleicht, man ist verliebt. Aber bitte, sie und Papa sind seit achtzehn Jahren oder so verheiratet. Ihre Ehe ist quasi volljährig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mir nach einer solchen Ewigkeit noch zum Singen zumute wäre.

      »Ach, Miriam«, sagt sie. »Du erinnerst dich doch noch an die Hartmanns aus unserer Gemeinde? Die sind wieder da.«

      Erzähl mir was, was ich noch nicht weiß.

      »Ach«, meine ich.

      »Du weißt doch noch, dieser Junge mit dem Kaugummi?«

      »Wie könnte ich das jemals vergessen«, knurre ich, während ich den Kühlschrank nach einer essbaren Jogurtsorte durchsuche. Blaubeere? Pfirsich-Maracuja? Gibt es keinen Schokoladenjogurt? Ich beschließe, mir einen Toast zu machen.

      »Also, die sind wieder zurück. Dietmar wurde versetzt. Die Firma hat den anderen Standort wieder dichtgemacht.«

      »Aha«, sage ich.

      »Die Tochter macht zurzeit ein Freiwilliges Soziales Jahr, frag mich nicht wo.«

      Als wenn ich das vorgehabt hätte.

      »Und der Junge ... Mist, jetzt habe ich vergessen, wie er heißt.«

      »Daniel«, werfe ich hilfsbereit ein.

      »Stimmt. Daniel. Den wirst du ja dann heute Abend im Life and Hope treffen. Du gehst doch hin?«

      »Ich bin so müde. Ich hab echt keine Lust auf so eine langweilige Jugendgruppe. Ich wollte mich eigentlich mit Mandy und den anderen Mädels treffen.«

      »Langweilige Jugendgruppe?« Sie zieht die Brauen hoch. »Du überraschst mich, Miriam. Das wird bestimmt spannend.«

      Meine Mutter kann sich nicht vorstellen, wie man eine kirchliche Jugendgruppe langweilig finden könnte. Dass Goliath, der Englisch-Checker, die Gruppe »Life and Hope« genannt hat, ändert nichts daran, dass man herumhockt, zu Gitarrengeklimpere öde Lieder singt und sich eine staubtrockene Bibelarbeit anhören muss.

      Es ist mir schon mehrmals gelungen, nicht hinzugehen, indem ich Müdigkeit und schulische Überarbeitung vorgeschützt habe. Doch bei einem Pastor als Vater wird von einem erwartet, dass man dabei ist, und wenn ich keinen Ärger haben will, kann ich die Life and Hope-Folter nicht zu oft ausfallen lassen.

      Manchmal überlege ich, wie es wohl ankommen würde, wenn ich hingehe und

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