ТОП просматриваемых книг сайта:
Vollmilchschokolade und Todesrosen. Franziska Dalinger
Читать онлайн.Название Vollmilchschokolade und Todesrosen
Год выпуска 0
isbn 9783862567416
Автор произведения Franziska Dalinger
Издательство Bookwire
So was aber auch!
»Miriam?«, fragt Michael. »Hast du auch etwas mit Gott erlebt? Willst du uns daran teilhaben lassen?«
Sei ein braves Mädchen, beschwöre ich mich. Hör auf. Sei still. Du wirst deine Meinung NICHT sagen.
Wann habe ich aufgehört, ein braves Mädchen zu sein?
»Das ist doch lächerlich«, platze ich heraus. »Meint ihr, den anderen, die nicht beten, passiert das nicht? Wo bitte ist da der Unterschied?«
»Ich gebe die Frage weiter«, sagt Michael, was ich nicht ungeschickt von ihm finde. »Wo ist der Unterschied? Was meint ihr?«
»Ähm.« Maren, die Einser-Schülerin, runzelt die Stirn. »Ich bin immer total aufgeregt vor einer Arbeit. Wenn ich bete, bin ich nicht ganz so nervös. Aber das heißt natürlich nicht, dass ich nicht lernen würde.«
»Ich hab nichts getan«, gibt Nele zu. »Ich hatte es vergessen, dass wir den Test hatten, ehrlich. Und dann hab ich gebetet, dass trotzdem alles gut geht. Nächstes Mal werde ich dafür ackern, versprochen!«
»Wirst du nicht«, behaupte ich, und sie grinst verräterisch.
»Mein Vater ist total fertig«, erzählt Kati leise. »Und Mama sagt, wenn wir uns nicht auf Gott verlassen könnten, wüsste sie gar nicht, was wir tun sollten.«
Gleich muss ich heulen – nein, nicht wirklich.
»Aber ihr betet und betet und es geschieht kein Wunder«, sage ich. »Ihr denkt bloß immer, dass es kommt, aber es passiert überhaupt nichts.«
Michael mustert mich mit einem feinen Lächeln. Ich möchte denken, dass ihm dieses Lächeln schwerfällt, dass es ihn ärgert, was ich sage, aber sein Lächeln wirkt echt und wird immer breiter. Aus welchem Grund auch immer, er ist sehr zufrieden mit dem, was ich von mir gebe.
»Glaubst du nicht, dass Gott uns hilft?«, fragt er. Es klingt nicht wie eine Frage, auf die es nur eine einzige, richtige Antwort geben darf.
»Doch«, versichere ich schnell, »aber nicht so.«
Wann habe ich aufgehört, an Wunder zu glauben? War es hier, in der Jugendgruppe, als ich mir den tausendsten Bericht darüber anhören musste, wie Gott einen Schnupfen geheilt hat oder für eine Zwei plus gesorgt hat?
»Vielleicht gibt es Wunder. Aber das sind keine.«
»Vielleicht?« Tine schnappt nach Luft.
Was würde sie erst sagen, wenn ich damit herausrücke, was ich wirklich denke? Darüber zu diskutieren, wie Gott ist, bringt sie schon auf die Palme. Darüber zu sprechen, ob es ihn überhaupt gibt, wäre zu viel für die Life and Hope-Leute. Das weiß ich natürlich. Vor allem, wenn die Frage von mir kommt. Wenn wir jetzt hier einen von »draußen« sitzen hätten, jemanden, der noch nie den Fuß in eine Kirche gesetzt hat, und der würde fragen: Woher soll ich denn wissen, ob Gott wirklich existiert?, dann würden sie sich riesig freuen über die Gelegenheit, alle Gottesbeweise aufzuzählen, die ihnen nur einfallen. Aber ich bin die Tochter vom alten Weynard. Ich kenne alle Argumente. Was soll man mit jemandem tun, der das alles kennt und trotzdem nicht überzeugt ist?
Mich vor die Tür setzen – arme, verstockte Sünderin?
Ich verlege mich lieber auf die andere Diskussion. Darüber, wie Gott ist.
»Für euch«, sage ich, »ist Gott doch nur der Weihnachtsmann. Der euch auf dem Schlitten durch die Gegend zieht. Und wenn ihr quengelt, dreht er sich um und gibt euch ein paar Kekse, damit ihr still seid.«
»Aber ...« Tine öffnet den Mund und bringt kein Wort heraus.
»Interessanter Vergleich«, findet Michael und nickt anerkennend.
»Wir müssen selber gehen«, sage ich. »Wir werden nicht gezogen. Wir müssen selbst durch den Schnee.« Meine Stimme versagt. Wir werden nasse Füße bekommen, will ich hinzufügen. Und frieren. Und stolpern. Und fallen. Aber wir müssen selbst gehen. Wir müssen selbst gehen!
»Als ich meine Uhr gesucht habe«, fängt Victoria an, »habe ich überall nachgeschaut. Ich habe mich nicht hingesetzt und darauf gewartet, dass sie mir aus einer Wolke in den Schoß fällt.«
»Ist es ein Wunder, wenn man etwas findet, dass man lange gesucht hat?«, fragt Michael in die Runde.
»Für mich war es eins«, meint Victoria etwas lauter. Sie ist beleidigt, weil ich nicht begeistert bin, was ihr tolles Wunder angeht.
Langsam macht mir diese Stunde Spaß. Nicht, weil Victoria beleidigt ist und Tine nach Worten sucht. Oder ... na ja, ein bisschen doch.
»He, da kommt ja noch jemand«, sagt Michael plötzlich. Durch die milchige Glastür sieht man eine hochgewachsene Gestalt, die im Vorraum ihre Jacke aufhängt. Unwillkürlich schlägt mein Herz schneller, denn ich weiß, wer das ist.
Michael kann sein Glück kaum fassen, dass noch jemand zu seinem kleinen, erlesenen Life and Hope-Stamm gestoßen ist. Zu seinem Gitarrengeklimpere, den öden Liedern und der traubstockenen – äh, staubtrockenen Bibelarbeit. Und unserer spannenden Diskussion über die kleinen Wunder des Alltags.
»Ein neues Gesicht«, strahlt er entzückt.
»Hi«, sagt Daniel lässig.
Ich hätte nicht so ruhig bleiben können, wenn zwanzig Leute einen neugierig anstarren. Ich wäre mindestens rot geworden. Oder ich wäre vor allen gestolpert. Dann hätte ich mich auf einen der Stühle gesetzt, niemanden angeschaut und gehofft, dass sie mich vergessen.
Falsch, Messie, rüge ich mich. Früher bist du so gewesen. Fräulein Pink. Fräulein Unsichtbar. Aber das ist schon lange her. Und außerdem bin ich hier in der Kirche nie so unsichtbar gewesen wie in der Schule. Das ist ein Heimspiel für mich. Ich weiß, wie man hier punkten kann.
Inzwischen bin ich viel selbstsicherer, wenn ich es nicht gerade vergesse. Was gerade jetzt, als Daniel mir gegenüber im Stuhlkreis Platz nimmt, der Fall ist. Himmel, ich fühle mich wie damals im Kindergottesdienst, als ich mit Schrecken darauf gewartet habe, welche Streiche er sich einfallen ließ, um Tante Dings ... ich komme nicht auf den Namen! ... zu ärgern.
Daniel betrachtet neugierig die kleine Versammlung. Es sind natürlich fast alles Mädchen. Tine blinzelt und sagt halblaut: »Kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken.«
Wetten, dass sie ihn noch nicht erkannt hat?
Ich versuche, mir darüber klar zu werden, ob Tine hübsch ist oder nicht, aber bei ihr ist das besonders schwer. Leute, die lächeln, sind eigentlich fast immer schön, aber Tine lächelt so gut wie nie. Dann gibt es aber auch die besonders Attraktiven, die haben es nicht nötig zu lächeln. Der Typ »eiskalte Schönheit«. Das sind die, die von den Jungs von ferne angeschmachtet werden. Das wäre ich gerne. Ich meine, wär doch cool, wenn alle in einen verliebt sind, ohne dass man irgendetwas dafür tun muss.
Die dreißig Mädchen im Raum starren den Neuankömmling an. Ich zähle sie alle doppelt, denn auf einmal und ganz unerwartet kommen sie mir alle ziemlich attraktiv vor, jede auf ihre Art.
Reichlich Auswahl, wenn man ein nettes Mädchen sucht, das Bibelsprech beherrscht.
Ich frage mich unwillkürlich, ob er deswegen wohl hergekommen ist, was ich den anderen Jungs der Life and Hope-Gruppe ohne weiteres zutraue. Unter so vielen Mädels müssen rein statistisch betrachtet doch wenigstens ein paar gut Aussehende dabei sein. So richtig beurteilen kann ich das nicht – wie gesagt, bekannte Menschen kommen mir alle irgendwie gleich vor. Bekannt eben.
Ich versuche, Daniel so zu sehen, als würde ich ihn heute das erste Mal im Leben treffen, aber es gelingt mir nicht. Er ist immer noch blond – mittelblond, würde ich sagen. Draußen in der Sonne wirken seine Haare viel heller. Aber auch hier drinnen hat er immer noch dieses Grinsen, das einen vor lauter Erwartung ganz kribbelig macht.
»Das, äh, oh«, stottert Michael. Bestimmt