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Vollmilchschokolade und Todesrosen. Franziska Dalinger
Читать онлайн.Название Vollmilchschokolade und Todesrosen
Год выпуска 0
isbn 9783862567416
Автор произведения Franziska Dalinger
Издательство Bookwire
»Äh, oh ...«
»Daniel.«
Ich bin froh, dass er es selbst sagt. Aus Michaels Mund würde es lange nicht so gut klingen.
»Ja, natürlich. Also, Daniel. Ich bin Michael und leite diese, äh ... Wir haben gerade eine interessante Unterhaltung. Aber vielleicht stellen wir uns alle erst mal der Reihe nach vor, ja? Name und ein paar Worte darüber, wer wir sind, Hobbys oder so.«
Ich hasse es, wenn man reihum was sagen muss. Wenn ich irgendein Trauma habe, ist es vermutlich ein Stuhlkreistrauma. Man kann genau abzählen, wann man dran ist und sich überlegen, was man sagen will. Und wenn man dann an der Reihe ist, sagt man spontan etwas ganz anderes.
Miriam, will ich sagen. Und dann rufen die anderen bestimmt: Das ist die Tochter vom Pastor.
So läuft es eigentlich immer.
Dummerweise sage ich stattdessen: »Vollmilchschokolade. Todesrosen. Ich meine, äh, das ist es, was ich mag. Also, das bin nicht ich. Ich bin Miriam.«
Die anderen starren mich an, als wäre ich völlig verrückt geworden. So haben Steffi und Kim mich gemustert, als sie mich in der Mensa im Gespräch mit Daniel ertappt haben.
»Und, äh, mehr sage ich nicht«, füge ich schnell hinzu, bevor mich irgendjemand fragen kann, was das zu bedeuten hatte.
»Das ist Miriam. Die Tochter von Manfred«, erklärt Angelika, die zwei Plätze weiter sitzt. Es klingt ganz beiläufig, als würde das ausreichend erklären, warum ich vielleicht ein bisschen irre bin.
Stimmt ja auch irgendwie.
Dann geht es weiter, als wäre nichts passiert.
Aber das ist es. Warum habe ich das bloß gesagt? Ich hätte sagen sollen: Mein Hobby ist Musik hören und mit meinen Freundinnen zusammen sein. Stattdessen habe ich preisgegeben, was ich am allerliebsten auf dieser Welt mag.
Vollmilchschokolade. Schokolade ist beides: Genuss, zartschmelzend, der einem auf der Zunge zergeht, und Sünde. Jeder, der auch nur ein Gramm zu viel auf der Hüfte sitzen hat, weiß das. In frommen Kreisen ist Sünde natürlich etwas anderes. Aber für mich ist Schokolade das Wunderbare und das Schreckliche zugleich. Freude und Reue. Genuss und Schuldgefühle. Man kann es nicht lassen und man will es auch nicht. Was wäre das Leben ohne Schokolade?
Schokolade zeigt mir immer, wie kompliziert das Leben ist.
Und Rosen. Todesrosen? Das fragt sich doch jeder, der das hört. Aber ich bin die Tochter vom Pastor. Ich war schon auf unzähligen Beerdigungen. Ich hab zugeguckt, wie die Leute dunkelrote Rosen ins Grab werfen, auf den Sarg. Oder eine Handvoll Blütenblätter. Meistens sind sie dunkel.
Rosen und Tod. Rosen und Liebe. Auch das gehört zusammen und auch das ist der Beweis dafür, wie kompliziert das Leben ist und wie schön und wie fürchterlich.
Miriam und Messie. Auch das geht eigentlich gar nicht zusammen. Wer Miriam kennt, würde niemals denken, dass ich auch Messie bin. Und wer Messie kennt, würde nicht erwarten, wie brav und nett ich sein kann.
Jetzt zum Beispiel. In die Diskussion kommen wir nicht mehr richtig rein. Michael schlägt vor, dass wir noch was singen, und ich schmettere ein Lied über Jesus, obwohl ich gerade darüber nachdenke, wie ich dem kleinen fiesen Jungen, der aussieht wie Harry Potter, morgen seine Hausaufgaben abnehmen soll. Bisher habe ich es irgendwie vergessen und Mandy ist mittlerweile ziemlich sauer. Immerhin habe ich es versprochen und sie hat sich auf mich verlassen.
Mir ist ziemlich unwohl bei dem Gedanken, aber da muss ich durch. Sogar hier bei den Hopis predigt Michael gerne, dass man seine Versprechen halten sollte.
Nach dem Singen greift er noch mal das Thema auf. »Was erwarten wir von Gott?«
Ich höre mir die Antworten an, aber ich kann mich nicht konzentrieren und bekomme nur die Hälfte mit.
Irgendwie überstehe ich diesen Abend. Ich wünsche mir, dass Daniel mich auch mal anschaut. Immerhin habe ich etwas Ungewöhnliches von mir gegeben und dachte, er würde mich darauf ansprechen. Nachfragen, was das zu bedeuten hat. Aber das tut er nicht. Nur Angelika, die stößt mich nachher an und grinst bis über beide Ohren. »Schokolade? Rosen? War das ein Wunschzettel für jemand Spezielles?«
Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ob er sich das wohl auch fragt? Sofort ist mir das Ganze oberpeinlich. Wenn Daniel jetzt glaubt, ich hoffe, dass er mir Süßigkeiten und Rosen schenkt? Oh Mann, oh Mann. Jetzt bete ich doch lieber, dass er mich nicht auf meine kryptischen Worte anspricht.
Den ganzen Abend warte ich auf ... irgendetwas. Dass etwas passiert. Ein heimlicher Blick zum Beispiel. Es ist echt wie früher, als ich noch davor gebibbert habe, welchen Streich sich Daniel als Nächstes ausdenkt. Es zerrt an meinen Nerven. Und trotzdem wäre ich um nichts in der Welt nach Hause gegangen. Ich bleibe bis ganz zum Schluss, als Michael absperrt.
»Miriam?«, fragt er. »Ist noch was?«
Ich erzähle ihm hastig von meinen kaputten Reifen, und er verspricht, sich darum zu kümmern, ganz ohne lästige Fragen zu stellen. Dann stolpere ich unter dem weichen Nachthimmel nach Hause. Es sind nur ein paar Schritte vom Gemeindehaus zu unserer Haustür, aber ich wünsche mir, jemand würde mich rufen und diese wenigen Schritte mit mir zusammen gehen.
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