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Kapitel 21.

       Kapitel 22.

       Schokolade mit Rosen – das Rezept

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      1.

      Bei einem Überfall sollte man eigentlich keine Schokolade essen. Ich weiß ja. Es sieht irgendwie unpassend aus. Die Situation ist ernst, auch wenn mich ein unbezähmbarer Drang überkommt, laut zu lachen. Niemandem ist wirklich nach Scherzen zumute, außer Mandy, aber die ist eben in jeder Lebenslage völlig locker. Ich bin eher ... verkrampft. Und da stehe ich und knabbere an meiner Tafel Vollmilchschokolade mit Lavendelblüten. Lavendel soll ja angeblich die Nerven beruhigen.

      »Steck endlich die blöde Schokolade weg. Oder willst du ihm was anbieten?«, zischt Kim.

      Ich habe es ja gewusst. Schokoladefuttern bei einem Überfall wirkt nicht halb so cool, wie es einem vorkommt. Aber ich brauche etwas, um meine Nerven zu beruhigen. Dringend.

      Ich bin Überfälle nicht gewöhnt.

      Steffi stößt mich in die Seite. »Jetzt fall nicht in Ohnmacht, klar?«

      Der Junge ist klein für sein Alter. Er hat strubbeliges blondes Haar, eine runde Harry-Potter-Brille und bleiche Haut mit Sommersprossen. Der Schreck bewirkt, dass seine Augen hinter den Brillengläsern noch größer werden, und seine Hände zittern so, dass er beinahe mitsamt seinem Fahrrad umfällt.

      »Du schämst dich, hoffe ich«, sagt Mandy. Es klingt zufrieden. Trotzdem tritt sie mit dem Fuß kräftig gegen die Speichen des Vorderrads.

      »Ja, klar, tu ich, tu ich«, stammelt der Junge. Auf seiner Stirn glänzen winzige Schweißtröpfchen und sammeln sich über seinen Augenbrauen, aber er wischt sie nicht fort, denn er ist damit beschäftigt, sich am Lenkrad festzuklammern.

      »Das solltest du auch.« Mandy tritt ganz nah vor ihn hin, bis ihre Nase fast gegen seine stößt. »Wo ist das Geld, Hendrik? Du wolltest den Schaden bezahlen, schon vergessen?«

      Der Kleine ächzt leise, während er in seiner Jackentasche wühlt und einen zerknüllten Zehn-Euro-Schein herausfischt.

      »Das ist alles?« Kim stößt ihn gegen die Schulter. »Das ist doch nicht dein Ernst.«

      »Es war nicht mehr da.« Er flüstert so leise, dass er kaum zu verstehen ist.

      »So arm können deine Eltern doch gar nicht sein.« Mandy dreht sich zu mir um. »Ist das nicht traurig? So eine arme Familie.«

      Sie wirft mir einen schrägen Blick zu. Jetzt bin ich dran. Ich hab nämlich gesagt: »Doch, ich trau mich.« Als die anderen, Mandy, Steffi und Kim, gemeint haben, ich traute mich nicht. »Doch, klar«, hab ich gesagt, und nun kann ich nicht mehr zurück. Ich stecke die Schokolade weg.

      »Das gleichst du nächstes Mal aus«, sage ich. »Du benimmst dich, ja? Guter Junge.« Mein überempfindliches Pastorentochter-Gewissen meldet sich. Ich klopfe ihm beruhigend auf die Schulter, und er fährt so hastig davon, dass sein Rad wild hin und her schlenkert. Es streift den Bordstein, kommt ins Trudeln. Mir stockt der Atem, aber er fängt sich wieder und rast die Straße hinunter. Seine Schultasche hüpft auf seinem Rücken auf und ab wie ein kleiner Affe, den er Huckepack genommen hat.

      »Bemitleidenswert«, knurrt Mandy. »So ein blöder Penner. Aber das wird ihm eine Lehre sein.«

      Mandy versteht unter Mitleid etwas anderes als ich. Sie hasst Schwächlinge. Wer sich nicht wehren kann, ist selber schuld. Wenn jemand ängstlich ist oder jammert oder nicht so recht weiß, ob man dies oder das wirklich tun sollte – das ist für sie ein rotes Tuch.

      Deshalb behalte ich meine Bedenken lieber für mich. Mandy diskutiert nämlich nicht. Entweder man ist in ihrer Nähe und findet ihre Ideen gut, oder man lässt es bleiben.

      »Sag mal, Messie, der tut dir doch nicht leid?«, fragt sie mich direkt.

      Das ist schwierig zu beantworten. Wenn man nur diese Szene kennt, wie wir den armen Kleinen um sein Geld erleichtern, könnte man denken, wir wären die Bösen. Aber angefangen hat es ganz anders. Angefangen hat es damit, dass ich diese kleine Brillenschlange dabei erwischt habe, wie er bei sämtlichen Rädern die Tachos abgepflückt und eingesteckt hat.

      Einschließlich meines eigenen. Ich habe Klein-Harry-Potter an der Schulter festgehalten, er wollte sich losreißen und hat mir vors Schienbein getreten, und dann sind meine Freundinnen gekommen und Kim hat ihn sich geschnappt. So war es, ich schwör’s. Er hat auch noch blöde Sprüche von sich gegeben und uns beschimpft, bis er gemerkt hat, dass mit Kim nicht zu spaßen ist. Kim ist sehr sportlich und eine erstklassige Boxerin und niemand, ich betone: absolut niemand sollte es wagen, sie zu unterschätzen.

      Die Tachos und Fahrradpumpen, die Hendrik noch in der Tasche hatte, haben wir auf den Weg gelegt, damit ihre Besitzer sie sich abholen konnten. Meiner war nicht dabei. Aber klar, jetzt wusste ich endlich, wo er geblieben war.

      Mandy sagte: »Wir rufen jetzt deine Eltern an, und die ersetzen uns das«, und da fing er an zu jammern, wir sollten ihnen bloß nichts erzählen.

      Hendrik ist ein mieser kleiner Dieb. Er schuldet mir immer noch Geld. Und er ist ziemlich gut in Ausflüchten und Entschuldigungen und Jammern.

      Also, habe ich Mitleid mit ihm? Verdient er es?

      Mandy wartet meine Antwort nicht ab. Sie drückt mir das Geld in die Hand und wendet sich an Steffi und Kim. »Ach, kommt, Leute. Schaut mich nicht so an. Ich bin kein Monster. Warum kann er nicht einfach seine Schulden bezahlen? Wir müssen mehr Druck machen.«

      Es waren nicht nur die Tachos. Er hat auch die Luft aus den Reifen gelassen. Der niedliche, ängstliche Hendrik ist ein hinterhältiges kleines Ungeheuer.

      »Besuch zu Hause?«, schlägt Kim vor. »Das nächste Mal nehmen wir ihm den Schlüssel ab.«

      »Das Fahrrad«, sagt Steffi. »Wenn er zu Fuß gehen muss, das wird ihm eine Lehre sein.« Steffi liebt ihr Fahrrad, auch wenn sie nicht gerade sportlich aussieht.

      »Messie?« Mandy sieht mich an und erwartet meinen Vorschlag. Es muss eine Idee sein, die die der anderen noch übertrifft. Sie hält ziemlich viel von meinen Ideen. Deswegen bin ich hier, das ist mir klar. Sie hat mich für langweilig gehalten – sie hält ja die meisten für langweilig und spießig –, bis sie gemerkt hat, dass ich recht kreativ bin. Seitdem bin ich in ihrer Clique dabei. Ich würde sie wirklich ungern enttäuschen.

      »Das Fahrrad kommt nicht in Frage«, meine ich. »Das merken doch seine Eltern. Ich weiß was viel Besseres. So einen kleinen Streber trifft man am besten, wenn man dafür sorgt, dass er seiner netten Lehrerin keine Hausaufgaben zeigen kann.«

      Mandys Gesicht hellt sich auf. »Seine Hefte?«

      »Morgen vor der Schule. Dann hat er alles fertig. Sich stundenlang Mühe gegeben. Wetten, er lernt den ganzen Nachmittag?«

      Ihr Lächeln zeigt mir deutlich, wie gut sie das findet. »Okay. Das ist deine Aufgabe. Du kommst morgen rechtzeitig und passt ihn ab. Kriegst du das hin?«

      »Klar krieg ich das hin.« Ich halte ihrem Blick stand. Hält sie mich etwa nicht für abgebrüht genug? Aber ich kann gefährlich sein, sehr gefährlich.

      Ich versuche es jedenfalls. Ich glaube, es gibt nichts Schlimmeres, als harmlos zu sein.

      Zwei Träume trage ich seit langem mit mir herum. Der eine ist, so zu sein wie Mandy. Nein,

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