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      Kaja biss sich auf die Lippen. »Ich … also, ich hatte einen Freund. Jedenfalls dachte ich das.«

      »Was ist passiert?«

      Kaja fing an zu weinen, und in einem wilden Schwall von Wörtern und Schluchzen kam die altbekannte Geschichte vom attraktiven Jungen heraus, der sich nicht entscheiden konnte und wie ein Schmetterling von einem schönen Mädchen zum nächsten flatterte.

      »Ich dachte echt, er mag mich, und dann schickt er mir eine blöde Nachricht, dass es aus ist. Eine Nachricht! Er hat sich nicht mal die Mühe gemacht, mich anzurufen. Ich komme mir so blöd vor, so … so …«

      Antonia saß längst auf der Sessellehne und hatte Kaja in ihre Arme gezogen. In diesem Moment verzieh sie ihr das zickige Verhalten der letzten Wochen, denn natürlich erinnerte sie sich noch sehr gut an ihren ersten Liebeskummer und an die Sicherheit, mit der sie damals gewusst hatte, dass ihr Herz für immer gebrochen war und dass sie sich nie, nie wieder verlieben würde.

      Kaja weinte noch lange, und Antonia ließ sie gewähren. Sie sagte auch keine Sätze wie: ‚In ein paar Wochen wirst du den Jungen vergessen haben’ oder ‚Die Zeit heilt alle Wunden’. Das half einem nicht, wenn man überzeugt davon war, dass das eigene Leben gerade in Scherben lag. Das Einzige, was sie sich erlaubte, war ein deutliches Urteil über den in Frage stehenden jungen Mann.

      »Er hat keinen Charakter und kein Benehmen, wenn er sich so verhält«, sagte sie mit großer Bestimmtheit. »Und er hat dich nicht verdient, Kaja. Mach dir klar, dass er ein Würstchen ist, denn sonst hätte er zumindest den Mut gehabt, dir ins Gesicht zu sagen, dass es aus ist zwischen euch.«

      Kaja hob ihr verschmiertes Gesicht. Da sie, im Gegensatz zu ihrer Mutter, jeden Tag reichlich Wimperntusche benutzte, sah sie eher komisch als tragisch aus, aber Antonia erlaubte sich nicht einmal die Andeutung eines Lächelns.

      »Ein Würstchen?« Kajas Stimme klang atemlos.

      »Was denn sonst?«, fragte Antonia. »Jemanden, der zu feige für eine direkte Ansprache ist, kann man nur mit Verachtung strafen. Er hat wahrscheinlich kein Selbstbewusstsein, deshalb braucht er immer neue Freundinnen.«

      Sie sah, dass Kaja schon nicht mehr ganz so verzweifelt aussah wie zuvor.

      »Alle haben mich vor ihm gewarnt«, sagte sie. »Aber ich dachte, bei mir meint er es ernst.«

      »Das nächste Mal siehst du genauer hin«, riet Antonia.

      »Das nächste Mal?«, fragte Kaja.

      »Es wird ein nächstes Mal geben, glaub mir. Und jetzt wasch dir das Gesicht!«

      Sie bekam noch einen sehr nassen Kuss auf die Wange, dann verschwand Kaja.

      Und Leon war immer noch nicht nach Hause gekommen.

      *

      Mitten in der Nacht wachte Ella auf, mit klopfendem Herzen. Sie hatte von Florian geträumt, ihm war in ihrem Traum etwas passiert, etwas Schlimmes.

      Sie schaltete das Licht der Nachttischlampe ein und setzte sich auf. Noch immer schlug ihr das Herz bis zum Hals, also stand sie auf, ging die Küche, holte Milch aus dem Kühlschrank und goss ein wenig davon in einen kleinen Topf, um sie zu erwärmen. Es war kein Laut zu hören. Verkehr gab es in der Nähe des Hauses ohnehin nicht, aber auch sonst war alles still. Sie trank die Milch und dachte nach, wie es weitergehen sollte mit ihrer Ehe. Sie liebte Florian ja, und sie zweifelte nicht an seiner Liebe zu ihr. Aber sie mussten eine Lösung für ihr Problem finden.

      Wenn sie ihm sagte, dass sie ihn verlassen würde, falls er nicht bereit war, mit ihr eine Familie zu gründen, würde er das als Erpressung auffassen – und das wäre es ja auch. Aber ihr schien, als hätte sie keine Wahl.

      Was sollte sie anderes tun? Bei ihm bleiben und sich ihr Leben lang mit dem unerfüllten Kinderwunsch quälen? Mit Florian glücklich und unglücklich zugleich sein? Sie kannte sich: Irgendwann würde das Unglück siegen, ihre Liebe zu Florian würde sterben.

      Der Traum, der sie geweckt hatte, fiel ihr wieder ein, und sie beschloss, nachzusehen, was für Nachrichten auf ihrem Handy eingegangen waren. Florian hatte ganz bestimmt versucht, sie zu erreichen.

      Sie schaltete es ein: Wie erwartet hatte Florian mehr als ein Dutzend Mal versucht, sie zu erreichen, aber er war nicht der Einzige. Abgesehen von etlichen Freundinnen und Freunden, die sich Sorgen um sie machten, weil Florian bei ihnen angerufen und nach ihr gefragt hatte, waren auch mehrere Anrufe von Dr. Laurin dabei.

      War Florian auch bei ihm gewesen oder was sonst hatten diese Anrufe zu bedeuten?

      Da er Nachrichten hinterlassen hatte, hörte sie die erste davon ab. »Frau Ammerdinger, hier ist Dr. Laurin. Ihr Mann hatte einen schweren Unfall, wir müssen ihn operieren. Es wäre gut, wenn Sie so schnell wie möglich kommen könnten.«

      Die zweite Nachricht lautete: »Frau Ammerdinger, noch einmal Laurin. Wir haben Ihren Mann operiert, er lebt noch, aber er ist nicht stabil. Ich denke, Ihre Anwesenheit würde ihm helfen.«

      Die dritte Nachricht: »Noch einmal Laurin. Der Zustand Ihres Mannes stabilisiert sich nicht, Frau Ammerdinger. Wenn Sie ihm helfen wollen …«

      Sie schaltete das Handy aus und begann, sich anzuziehen.

      *

      »Seine Frau meldet sich nicht«, sagte Leon leise zu Eckart Sternberg, als sie im Aufwachraum am Bett von Florian Ammerdinger standen. Der Zustand des jungen Mannes war noch immer kritisch, daran würde sich vermutlich im Verlauf der Nacht auch nichts mehr ändern. »Sie hat ihr Handy ausgeschaltet, wahrscheinlich sieht sie nicht einmal nach, wer sie angerufen oder ihr Nachrichten geschickt hat. Dabei könnte ihre Anwesenheit unserem Patienten das Leben retten.«

      Eckart nickte. Leon hatte ihm mittlerweile mehr über die Hintergründe erzählt. »Ich glaube, das war die schwierigste Operation, die ich bisher durchgeführt habe«, sagte er.

      »Und du hast das sehr gut gemacht«, stellte Leon fest. »Ich hätte es selbst nicht besser machen können.«

      »Wer weiß?«, fragte Eckart. »Aber ich verstehe, dass du es nicht machen wolltest. Es war die richtige Entscheidung.«

      »Geh nach Hause, Eckart, ich bleibe noch ein bisschen hier. Nicht, dass ich denke, ich könnte etwas für Herrn Ammerdinger tun, aber mir geht sein Schicksal nahe.«

      »Er muss etwas Schreckliches erlebt haben.«

      »Ja, aber was? Das ist die große Frage.«

      Eckart verabschiedete sich wenig später, Leon blieb, verließ den Aufwachraum aber ebenfalls, um Antonia anzurufen. Trotz der späten Stunde meldete sie sich bereits nach dem ersten Klingeln. In wenigen Worten erzählte er ihr, um wen es sich bei dem Notfall, der ihn in der Klinik festhielt, handelte.

      »Herr Ammerdinger?«, rief sie erschrocken. »Oh, Leon, das ist furchtbar!«

      »Ja, der Unfall hat sich kurz nach seinem Besuch bei uns ereignet. Wie es aussieht, ist er einfach auf die Straße gelaufen.«

      »Denkst du, er wollte sich umbringen?«

      »Nein, ich glaube, dass er so durcheinander und aufgewühlt war, dass er einfach losgestürmt ist. Wenn ich nur wüsste, wie ich seine Frau erreichen könnte. Er hat die OP überlebt, aber es kann durchaus sein, dass wir ihn trotzdem verlieren. Er ist instabil, und da ich weiß, dass er verzweifelt ist, habe ich keine große Hoffnung. Die Anwesenheit seiner Frau würde ihm helfen. Aber sie hat ihr Handy immer noch ausgeschaltet.«

      »Dann lass sie orten«, schlug sie noch einmal vor.

      »Ja, darüber denke ich mittlerweile ernsthaft nach. Hör mal, ich glaube, ich komme heute Nacht nicht nach Hause, ich will hier sein, falls etwas ist.«

      »Das verstehe ich. Dann gehe ich jetzt schlafen.«

      Er schickte ihr einen Kuss durchs Telefon und kehrte zu seinem Patienten zurück, dessen Zustand sich nicht verändert hatte.

      »Herr Ammerdinger«, sagte er leise,

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